Zur Ameisen-Mimikry
und mimetischen Tarnung bei Insekten
Spricht
die konvergente
Entstehung der Tarnvorrichtungen für einen
schöpferischen Baukasten?
Es
ist eine beliebte Strategie der Evolutionsgegner, biologische
Merkmale ins Auge zu fassen und zu behaupten, diese seien zu
komplex, als dass ihre Entstehung durch Evolution erklärbar
sei. Beispielsweise würden die
erstaunlichsten Leistungen der Tarnung
und Mimikry zu
viele aufeinander abgestimmte
Anpassungen gleichzeitig benötigen, als dass sie bei
verschiedenen
Organismengruppen (Taxa) schrittweise und mehrmals unabhängig
(konvergent bzw. parallel) evolviert sein könnten. In diese
Richtung
argumentiert beispielsweise Reinhard JUNKER von der Studiengemeinschaft
WORT UND WISSEN, auf dessen Beitrag im Rahmen dieses Artikels
eingegangen werden soll.
Tarnung
und Mimikry im Ameisennest
Um sich vor Räubern oder Angreifern zu schützen,
verfügt die Tierwelt über ein Arsenal von
Tarnvorrichtungen. Eine dieser Einrichtungen wird mit dem
Begriff Mimese
umschrieben. Darunter
versteht man das
Phänomen, dass sich das betreffende Tier optisch derart seiner
Umgebung angepasst hat, dass es mit dem Wahrnehmungs-Hintergrund seiner
Feinde verschmilzt und nicht mehr als Beute
oder Eindringling wahrgenommen werden kann.
Zu den erstaunlichsten Beispielen mimetischer Anpassung zählen
die so genannten "myrmecophilen" Tiere. Das sind
vorrangig Käfer bestimmter Entwicklungslinien, die als
"Untermieter" die Nester von Ameisen
und Termiten bevölkern. Ein Ameisennest ist eine schwierige
ökologische Nische, denn die Ameisen haben ja
zunächst einmal nichts davon, wenn Käfer ihren Bau
besiedeln. Ameisen sind äußerst wehrhafte Tiere und
befördern unerwünschte Gäste rasch aus ihrem
Bau oder bringen sie um. Eine Möglichkeit, sich dagegen zur
Wehr zu setzen, besteht darin, sich evolutiv ein
ameisenähnliches Aussehen zuzulegen. Die Käfer
mischen sich unter die Ameisenmenge und werden in Ruhe gelassen. In
manchen Nestern gibt es sogar Vertreter mehrerer
Käfergattungen, die jeweils so aussehen wie ihre gastgebenden
Ameisen – obwohl andere Mitglieder dieser Gattungen eher
wenig Ähnlichkeit miteinander haben.
Ein ähnlicher Tarnmechanismus ist die so genannte Mimikry,
wonach die Tiere optisch und in ihrem
Verhalten giftige, wehrhafte oder ungenießbare Tierarten
nachahmen oder ihren Feinden kooperatives Verhalten signalisieren. Man
kennt zum Beispiel Kurzflügler, die im Ameisenbau chemische
Signale freisetzen, die sie davor schützen, gefressen zu
werden.
Sie bieten den Ameisen Sekrete an, die dazu führen, dass sie
sogar
von ihnen in ihr Nest eingetragen werden.
Unlängst wurde darüber berichtet, dass 140 Tiere aus
ganz verschiedenen Gliederfüßer-Gattungen (Ameisen,
Käfer, Wespen, Spinnen, Wanzen) sehr ähnliche
ameisenartige Gestalten - mit Warn-Elementen an Räuber -
herausbildeten. Manche dieser Arten sind tatsächlich
ungenießbar, andere sprangen quasi auf den Zug auf, sind aber
eigentlich ungiftig.
Dass es neben optischer Mimikry, die auch Nichtfachleute als Anpassung
der Gestalt wahrnehmen, noch andere Wege der Mimikry gibt, zeigen die
Ameisengrillen mit dem suggestiven Namen Myrmecophilidae
("Ameisenfreunde"). Diese Gruppe umfasst 71 Arten
in fünf Gattungen mit einer einzigen Art in Europa. Es sind
sehr kleine Heuschrecken, die gar nicht ameisenähnlich
aussehen, dennoch als Kleptoparasiten in den Nestern verschiedener
Ameisen- und sogar Termitenarten leben. In der Auswahl ihrer Wirte sind
sie wenig wählerisch und wohl nicht spezifisch. Sie scheinen
Pheromone (Lock- und Signalstoffe) der Ameisen auf ihrer Cuticula
(Außenhaut) aufzunehmen und so den Nestgeruch anzunehmen.
Daneben sind sie extrem beweglich und entkommen immer wieder den zu
beobachtenden Angriffen ihrer Wirte durch schnelles Ausweichen.
Allerdings wurden auch Tötungen beobachtet – also
eine nicht ungefährliche Lebensweise, die genau das zeigt, was
aus Sicht der Evolutionsbiologie zu erwarten ist: Zum einen gibt es
viel mehr als nur einen Weg. Zum anderen sind die Anpassungen der sich
im Wettbewerb befindenden Organismen auf beiden Seiten alles andere als
perfekt.
Konvergenzen,
Parallelismen
All diese Tarnvorrichtungen haben eines gemeinsam: Die betreffenden
Tiere entwickelten vielfach unabhängig
voneinander ganz
ähnliche Merkmale, sie haben sie also nicht von ihrem
gemeinsamen
Vorfahren geerbt. Dieses Phänomen bezeichnet man in der
Biologie
allgemein als Konvergenz
oder
als Parallelismus
(Parallelentwicklung). Von letzterem sprechen
Biologen insbesondere dann, wenn die unabhängig
erworbenen
Merkmale bei relativ nahe verwandten Arten in geographisch
getrennten Regionen auftreten.
Ein mögliches Argument gegen die Evolutionstheorie
besteht
darin, von konvergenten Entwicklungen zu behaupten, sie
würden einer natürlich-evolutionären
Entwicklung widersprechen, um sie dem Ratschluss eines
intelligenten Schöpfers zuschreiben zu
können. So
schreibt Reinhard JUNKER [1]
über die Kurzflügel-Käfer aus der
Unterfamilie der
Aleocharinae, die mindestens 12 Mal unabhängig
Tarnvorrichtungen
entwickelt haben, um unbehelligt in Ameisennestern
parasitieren zu
können:
"Ist es
eine Überraschung, dass Merkmale oder Fähigkeiten von
Lebewesen mehrfach unabhängig – konvergent
– entstehen? Aus einer Designer-Perspektive ist ein
zahlreiches Auftreten von Konvergenzen durchaus zu erwarten. Denn ein
Designer kann planen, die Zukunft gedanklich vorwegnehmen und
entsprechende Schritte einleiten, um ein Ziel zu erreichen. Es ist
nicht überraschend, wenn er sich dabei öfter
ähnlicher Mittel bedient. Natürliche Selektion kann
das alles nicht, denn sie ist genauso zukunftsblind wie die Mutationen,
die ihr das Rohmaterial liefern."
Ist
der "Ameisen-Look" der Käfer ein Hinweis auf eine
intelligente
Designer-Leistung?
JUNKER übersieht zunächst etwas Wesentliches:
Trotz ihres Ameisen-Looks sind
all diese "ameisenartigen" Käfer
taxonomisch und stammesgeschichtlich eindeutig als Käfer
identifizierbar, morphologisch wie molekular. Das heißt, die
Ameisen-Ähnlichkeit ist nur oberflächlich
(superfiziell) und spiegelt sich nicht in den genetischen Daten wider.
Wenn
es dem Designer gefiel, möglichst gut getarnte
Ameisenmitbewohner zu erschaffen, wozu sollte er diesen Reminiszenzen
an Käfer mitgeben? Aus
Sicht eines Design-Szenarios lassen sich
diese nicht erklären, ohne bizarre
Ad-hoc-Hypothesen zu
bemühen. Denn die Annahme, bei der Tarnungvorrichtung
handele
es
sich um eine
Designer-Leistung, hat absurde Konsequenzen: Man
müsste voraussetzen, dass der Schöpfer
die Ameisen zunächst mit einem Fremd-Erkennungsfilter
ausstattete, damit sie die Angehörigen des eigenen Volkes von
allem Fremden unterscheiden können. Dann müsste er
Käfer mit der Fähigkeit ausgestattet haben, genau
diesen Filter auszuhebeln. Welcher Ingenieur
würde ein System entwerfen, um es im
nächsten Design-Schritt auszuschalten?
Die
Reminiszenzen haben nur aus der Perspektive
eines nicht-zielgerichteten (natürlichen) Anpassungs-Prozesses
einen Sinn, der die
ursprüngliche Form noch erkennen lässt.
Interessanterweise
(und nicht von ungefähr) hat genau diese seltsame
Käfergruppe
einmal
einen Jesuiten von der Richtigkeit der Evolutionstheorie
überzeugt; einer von uns Autoren (Hans ZAUNER) hatte
dazu
mal gebloggt [2].
Wie
entstehen Konvergenzen?
Dieser Frage kann man sich auf zwei Wegen nähern. Zum einen
kann
man fragen, welche entwicklungsbiologischen Mechanismen die
Tarnmerkmale in verschiedenen
Tiergruppen hervorgebracht haben. Welche Gene, welche
Regelkreise
waren daran beteiligt? Diesem Fragenkomplex widmet sich die Disziplin
der Evolutionären
Entwicklungsbiologie, im
Englischen abgekürzt als "Evo-Devo".
Zum anderen kann man nach dem adaptiven Wert (Selektionswert) der
einzelnen Merkmale und nach ihrer schrittweisen
phylogenetischen Entwicklung
fragen. Lässt sich die Reihenfolge ihrer Entstehung
rekonstruieren, oder reichen die vorhandenen Daten
dazu (noch)
nicht aus? Hier geht es letztlich um Ökologie.
Zu
Punkt 1:
Die "Evo-Devo-Dimension"
JUNKER schreibt, aus Sicht der Evolutionstheorie seien die
erstaunlichen Konvergenzen nur erklärlich, indem man die
Evolutionstheorie in einer Art Zirkelschluss voraussetze. Die Annahme,
bestimmte Tiergruppen besäßen eine
"inhärente Fähigkeit zum Erwerb des ameisenartigen
Körperbaus und Verhaltens", beruhe, so meint er
sinngemäß, auf einer unbelegten
Ad-hoc-Annahme:
"Denn
nur wenn man
Evolution voraussetzt,
kann man die Konvergenzen nachträglich als
'vorhersehbar' behaupten.
Doch wären diese Konvergenzen keinesfalls vorhergesagt worden,
wenn man sie nicht kennen würde! Die Vorhersage war eine
andere: Wenn überhaupt kann sich ein solches System nur einmal
evolutiv herausbilden (s. o. g. Zitat von Pennisi)."
"Dass hier (wie allgemein auch sonst) nur einer von zwei
grundsätzlich möglichen Deutungsansätzen
verfolgt wird – nämlich der naturalistische
– wird auch durch Äußerungen zweier
Wissenschaftler unterstrichen ... Diese Forscher legen – ohne
weitere Begründung – das kreative Potential, das
sich in der Flexibilität der Gestalt und des Verhaltens der
Käfer zeigt, in die Evolution: Es zeige sich die
'Virtuosität der Evolution' einmal mehr (Eldredge) und 'man
spürt, wie einem die Kraft der Evolution – der
natürlichen Selektion – in deine Augen starrt'
(Kronauer) ... Die Charakterisierungen von Eldredge und Kronauer sind
Glaubensbekenntnisse über die Kraft natürliche
Prozesse, für die es keine empirischen Belege gibt. Die
vorliegenden Indizien passen dagegen viel besser zu einem
Design-Ansatz. Wenn dieser jedoch von vornherein als
Erklärungsform ausgeschlossen wird, gerät man bei den
Erklärungsversuchen in Zirkelschlüsse und ist damit
nicht ergebnisoffen unterwegs auf der Suche nach der plausibelsten
Antwort."
Der kreationistische Autor ignoriert, dass man heute die Voraussetzung
des evolutiven Ursprungs solcher Parallelismen, im Prinzipiellen und
Allgemeinen, mithilfe der Entwicklungsbiologie
begründen
kann. Man muss die Evolutionstheorie keineswegs, wie
er es unterstellt, in einem Zirkelschluss voraussetzen.
Seit Jahrzehnten ist bekannt, dass verwandte
Arten
(teils auch stammesgeschichtlich weiter voneinander entfernte Taxa)
über ein sehr
ähnliches, konserviert gebliebenes Repertoire
entwicklungsgenetischer Mechanismen
verfügen. In ihrer Embryonalentwicklung schlagen sie
häufig ganz ähnliche Wege ein. Der
Entwicklungsbiologe Condrad Hal WADDINGTON prägte
für diese vorgezeichneten Entwicklungspfade den
Begriff Chreode.
Durch
Mutationen, die
weitreichende Veränderungen hinsichtlich der Konzentration
bestimmter
Signalstoffe (z. B. Wachstumshormone) zur Folge haben,
kann die Entwicklung in andere, durch das Genom und die
entwicklungsgenetischen Mechanismen determinierten "Bahnen" gelenkt
werden.
Arten, deren entwicklungsgenetisches
Repertoire sehr ähnlich ist, werden auf solche Mutationen auf
sehr
ähnliche Weise reagieren, sodass auch die durch sie
ausgelösten morphologischen Veränderungen
umso
ähnlicher sind, je stärker sich die
Entwicklungsabschnitte
ähneln. Es entstehen, das wusste man schon vor 30
Jahren,
"Parallelentwicklungen,
die in rekapitulierender Weise die ursprünglichen
Grundzüge des Entwicklungsprogramms enthüllen"
(FUTUYMA 1990, S. 497f). [3]
Je mehr Arten sich
also genetisch ähnlich sind, umso
wahrscheinlicher ist es aus Sicht der Evolution, dass bei ihnen gleiche
detaillierte
Morphologien mehrfach parallel (konvergent) entstehen (TATTERSALL 1997,
S.
216). [4]
Wenn eine Entwicklungslinie das evolutive
Potenzial
zur Ameisen-Mimikry oder -Mimese
besitzt, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass
diese auch in anderen, verwandten Linien in Erscheinung
tritt. Dies ist kein "Glaubensbekenntnis", wie
JUNKER unterstellt,
sondern eine durch entwicklungsbiologische Einsichten
gestützte Folgerung der Evolutionstheorie.
Dass sich die
ameisenähnlichen Tarnvorrichtungen vorrangig bei
bestimmten Insekten- und Spinnen-Linien häufen,
geht auf
bestimmte Voranpassungen und Entwicklungspotenzen des Bauplans
zurück. Beispielsweise ist bei den
Springspinnen (Salticiden)
aufgrund der gestreckten Körperform, des Kopfs,
der Beinstellung und der schwarzbraunen Färbung
zufällig
schon eine gewisse Ameisenähnlichkeit vorhanden
(PALMGREN et
al.
1937, S. 106). [5]
Kurz: Entgegen JUNKERs antiquiertem Evolutionsverständnis sind
die
von ihm genannten Parallelismen kein
Argument gegen Evolution,
sondernAusdruck
entwicklungsseitig homologer Merkmale
(LANGE
2008, S. 90) [6].
In diesem Sinne stellt auch der kanadische Entwicklungsbiologe Brian K.
HALL
(2012) fest:
"…the
implication of recurrent parallel genetic changes in diverse animals is
that the parallelism reflects a deeper homology of shared genetic
pathways/networks" (S. 30f.) [7].
Sprechen
Konvergenzen für einen schöpferischen Baukasten?
Ungeachtet dessen ist JUNKERs Feststellung korrekt, dass man konkrete
Konvergenzen nicht ohne Weiteres vorhersagen kann. Detailprognosen
erforderten entwicklungsgenetische Detailkenntnisse,
die aufgrund der
enormen
Komplexität der Entwicklungsbiologie und der Einmaligkeit
jeder Spezies noch weitgehend
fehlen. So mag zum Beispiel die
Entwicklungsbiologie der Planipennia (Netzflügler)
für die
Nachahmung eines
Ameisenkörpers weniger gut geeignet sein als die
Entwicklungsbiologie von Buntkäfern. Mithilfe allgemeiner
Mechanismen lässt sich dergleichen aber
nicht beurteilen,
sodass die Konvergenzen
in den
konkreten
Fällen immer mehr
oder weniger überraschend sind.
Ist dies ein Argument gegen Evolution und
für
die Sichtweise einer Schöpfungstheorie, wonach ein Designer
die
verschiedenen biologischen Merkmale wie aus einem Baukasten frei
miteinander kombiniert? Sicher nicht, denn es ist augenfällig,
dass bestimmte Taxa (etwa einige Kurzflügler-Käfer
und
Springspinnen) sehr viel häufiger Ameisen-Mimikry und -Mimese
betreiben
als
andere (etwa Hymenopteren, Dermapteren). Anders ausgedrückt,
wir finden eine auffällige Häufung
("Bündelung") in
bestimmten Linien.
Aus Designer-Perspektive ist dies nicht vernünftig
erklärbar. Man sollte doch annehmen, dass es
einem so
intelligenten wie phantasiebegabten, womöglich gar
allmächtigen Designer freistünde, jedes beliebige
Taxon
derart umzukonstruieren,
dass es in ein "Ameisenkleid"
passt. Warum nicht Tausendfüßler? Warum
nicht Würmer
trocknungsresistent machen, ihnen sechs Beine anbauen und sie
mit ameisenkompatiblem Verhalten ausstatten?
Ohne
die Voraussetzung, der Designer müsse sich an
stammesgeschichtliche Beschränkungen halten, lassen sich die
engen Grenzen, die konvergente Bildungen gesetzt sind, nicht
erklären. In Unkenntnis des betreffenden Designers und
seinen Handlungsgrenzen ist eine derartige Voraussetzung eine
willkürliche Schutzhypothese.
Aus
evolutiver Sicht ist das
"geclusterte" Auftreten der Konvergenzen dagegen folgerichtig.
Beispielsweise
können nur jene Käfer-Linien, die das
inhärente Entwicklungspotenzial zur
Ausbildung ameisenähnlicher Strukturen in
sich tragen,
diese durch geeignete Mutationen "abrufen".
Zudem werden nicht alle Linien, die potenziell in der Lage
wären, die betreffenden Merkmale konvergent zu entwickeln,
dies
auch tun. Ohne geeignete Mutationen liegt das Entwicklungspotenzial
brach, teils über Jahrmillionen. Damit
ist, nebenbei bemerkt, die von JUNKER erwähnte Tatsache, dass
"das außergewöhnliche Aussehen und Verhalten der
Käfer erst ... Dutzende von Millionen Jahren nach der
Aufspaltung in die verschiedenen Linien entwickelt"
wurde, kein
tragfähiger
Einwand gegen die Annahme,
dass die Konvergenzen "auf Basis eines gemeinsamen genetischen
Potenzials abgerufen" wurden.
Zu
Punkt 2:
Adaptive Wege
Nach JUNKERs Ansicht können die Faktoren Selektion,
Präadaptation (günstige Voranpassungen) und
Konstruktionszwänge nicht die
Ursachen der Konvergenzen sein, sondern höchstens
"Begleiterscheinungen". Cum
grano
salis ist dies richtig:
Bevor diese Faktoren wirken
können, braucht es bestimmte Mutationen, die (etwa durch
Veränderung der Art oder Konzentration bestimmter
Signalmoleküle) das Entwicklungspotenzial abrufen.
Welche dies im Einzelfall sind, ist Teil von
Evo-Devo-Forschungsprogrammen.
Doch wie sollen
all
diese Faktoren zusammen in der Lage sein, die sehr vielschichtigen
Veränderungen
mindestens 12 mal unabhängig in
Kurzflügel-Käfern der Unterfamilien der
Aleocharinae hervorzubringen, damit diese in den
Ameisennestern erfolgreich auf Beutezug gehen können?
JUNKER:
"Das
hört
sich
auf den ersten Blick vielleicht einfacher an als es ist. Doch um gegen
Wanderameisen ankommen zu können, muss man sich einiges
einfallen
lassen. ... Um hier überhaupt eine Chance zu haben, in die
Nester
zu gelangen und dort eine Zeitlang zu verbleiben, müssen
ungebetene Besucher sich tarnen können. Den
Kurzflüglern
gelingt dies dadurch, dass sie den 'Käfer-Look' gegen ein
ameisenartiges Aussehen getauscht haben: Sie besitzen eine verengte
Taille, verlängerte Beine, Antennen mit ameisenartigen
Ellenbogengelenken und andere Besonderheiten im Körperbau.
Aber
das genügt nicht: Die flohgroßen Käfer
müssen auch
durch ihr Verhalten – z. B. einen ameisenartigen Gang
– und
durch ihren Geruch vortäuschen, dass sie Artgenossen der
Ameisen
seien. ... Als Präadaption dafür betrachten die
Forscher den
Besitz einer Drüse am Ende des Hinterleibs, durch die
unangenehm
riechende Stoffe gegen Angreifer abgegeben werden können. Doch
einige der parasitisch lebenden Käfer besitzen neue
Drüsen
und neue Funktionen, was so wenig wie die veränderte
Morphologie
und das veränderte Verhalten als Folge einer
Präadaption
gewertet werden kann."
Der Autor insinuiert hier wohl, dass eine schrittweise (konvergente)
Anpassung an den "Ameisenlook" nicht möglich sei, um
die
sozialparasitische Lebensweise zu etablieren. Aber warum nicht?
Zunächst einmal gibt es nicht den
Ameisen-Look. Sozialparasitisch lebende Insekten täuschen die
Ameisen mit teils recht unterschiedlichen Strategien. Auch
die verschiedenen Käfer-Linien, die sich einen
Ameisen-Look
zulegten, entwickelten teils recht unterschiedliche
Merkmale. Der
Schlüssel zum evolutiven Verständnis liegt in der
Erkenntnis, dass
es verschiedenste
Formen der Mimikry und Mimese gibt, und dass jeder Schritt einen
Vorteil bringt.
Eine Möglichkeit der
schrittweisen Anpassung ist die BATES'sche
Mimikry. Diese dient der Tarnung gegenüber
gut
sehenden Räubern wie Vögeln, Eidechsen etc. Sie
bringt die jeweils besten optischen Tarnungen hervor.
PALMGREN et al. (1937) wiesen in ihren
Experimenten
nach, dass Singvögel Insekten umso eher
verschmähen, je
mehr sie Ameisen ähneln.[5]Damit
ist eine graduelle Anpassung in
Richtung
zunehmender Ameisenähnlichkeit möglich.
Eine andere Form der Mimikry erlaubt es Käfern, sich
näher an einem
Ameisennest
aufzuhalten und "heimlich" von deren Schutz zu profitieren, oder
aber von Nahrung, die sie herbeischaffen oder von Abfällen,
die
sie produzieren. Da die meisten Ameisenarten kaum über
Gestaltsehen
verfügen (was ihnen in ihrem Bau sowieso nichts
nützen
würde), kommt
eine Mimikry hier eher durch eine Kombination von olfaktorischen,
haptischen (taktilen) und eventuell auch optischen Anpassungen
zustande. Dazu kommt die ameisentypische Bewegungsweise, durch die
Käfer etc. bei den ständigen Begegnungen im
Ameisenbau für die Ameisen praktisch ununterscheidbar werden.
Hier ist nicht einzusehen, warum all diese Merkmale,
Strukturen oder Verhaltensweisen simultan
entstanden sein sollen.
Niemand kann ernsthaft annehmen, dass die Vorfahren der
erfolgreichsten Ameisen-Nachahmer spontan ins Innerste der
Ameisenbauten vordrangen, um sich an ihren Eiern oder Larven
gütlich zu
tun.
Eine zunehmende Annäherung an die Nester
wird schrittweise,
gegebenenfalls unter wechselnden ökologischen Bedingungen,
Verhaltens- und Ernährungsweisen, vonstattengegangen sein.
Hier gilt es zu bedenken, dass weder die Einzel-Merkmale noch
deren Kombination eine perfekte Tarnung garantieren.
Wie erwähnt
kommt es auch bei erfolgreichen Tarnungen zu gelegentlichen
Tötungen durch Ameisen. Je nach Merkmalsausstattung bietet die
ameisenähnliche Erscheinung also einen graduellen Schutz
vor Enttarnung, was eine schrittweise Optimierung erlaubt. Einzelne
Merkmale mögen präadaptiert, andere latent im Genom
angelegt
sein, wieder andere neu evolviert sein. Jeder Anpassungsschritt auf
diesem Weg bietet für
sich
schon
einen Selektionsvorteil und stellt für weitere Anpassungen die
Weichen.
Ob es sich um Motorik handelt, um Pheromonproduktion oder um
Gestaltmerkmale - es gibt eine Unzahl möglicher
Wege.
Erreichbare
Erklärungstiefen
Freilich haben wir damit noch keine Detailerklärung
für die spezifischen Anpassungen der Käfer zur Hand.
Vermutlich werden wir sie niemals haben, weil sich Ereignisse, die in
der Vergangenheit liegen, nur selten
lückenlos rekonstruieren lassen. Zudem ist es
unrealistisch,
von einer allgemeinen Theorie wie der Evolutionstheorie
(die möglichst viele allgemeine Phänomene zu
beschreiben und zu erklären hat) zu erwarten, dass sie ohne
Weiteres jedes beliebige
Detailphänomen erklären kann. Das kann sie
nur dann, wenn man zusätzliches
Wissen über die entwicklungsgenetischen Details der
entsprechenden Spezies einbezieht.
Ein solches Wissen haben wir
angesichts der enormen Artenvielfalt und der hohen Komplexität
der genetischen Wechselwirkungen derzeit nicht. Angesichts der
ungeheuren Komplexität
und wegen des für unsere Begriffe unendlichen
"Universums des Lebendigen" ist es fraglich, ob wir es je haben werden.
Gleichwohl liegt es
aufgrund des heutigen Verständnisses von Evolution auf der
Hand, dass sich die Erforschung der entwicklungsgenetischen
Zusammenhänge lohnt.
JUNKER hingegen begeht den immer gleichen methodologischen Grundfehler:
Das relativ häufige Auftreten komplexer Parallelismen ist aus
Sicht
einer bestimmten
(längst nicht mehr
zeitgemäßen) Formulierung der Evolutionstheorie
unerwartet oder unwahrscheinlich. Daraus folgt für JUNKER,
dass sie einer natürlichen Erklärung
widersprechen:
"Dass
dieser Befund sehr unerwartet ist, geht aus den Worten von Pennisi
(2016) hervor (in Übersetzung): 'Man mag denken,
dass die Anpassungen dieser Kurzflügler, wie sie nun bekannt
sind, eine unwahrscheinliche Meisterleistung der Evolution bedeuten,
die niemals wiederholt wurde. Doch damit würde man falsch
liegen, …' … Die Überraschung
ist verständlich, da Evolution wie erwähnt ein
zukunftsblinder Prozess ist. Daher kann man festhalten: Das Auftreten
komplexer Konvergenzen widerspricht einer Entstehung auf
natürlich-evolutivem Wege."
Dies ist schlicht ein Fehlschluss. Selbst wenn die
Parallelismen
die klassische Synthetische Theorie der Evolution widerlegen
würden,
folgte daraus nicht die Falschheit neuerer
Evolutionskonzepte (Evo-Devo), geschweige denn die Falschheit der
Annahme, Konvergenzen seien natürlich-evolutiv entstanden.
Erst
recht
folgt daraus nichts für Design.
Im Übrigen wird hier deutlich, wie JUNKER einer
Wissenschaftlerin im Nachgang eine Aussage unterschiebt, die sie nicht
getroffen hat - dass das Überraschende bzw. Unerwartete einer
natürlich-evolutiven Entstehung widerspreche.
Fazit
Die Tatsache, dass mimetische oder Mimikry-Merkmale und
Verhaltensweisen in einigen Tiergruppen mehrmals
unabhängig entstanden, lässt sich einerseits mithilfe
der
Evolutionären Entwicklungsbiologie begreiflich machen,
andererseits (ökologisch) als schrittweiser Anpassungsprozess
verstehen. Dass dies so häufig geschah, auch
bei weitläufigeren
Verwandten, ist zwar eine Überraschung, die
man
weiter
untersuchen kann. Doch es ist beileibe kein Widerspruch zu einer
adaptiven
Erklärung.
Die Daten passen keineswegs besser zur Schöpfungsperspektive,
wie die Kreationisten behaupten. Einerseits macht es aus teleologischer
Perspektive keinen Sinn, Ameisen mit Fremderkennungsfiltern
auszustatten, um sie sogleich wieder auszuhebeln. Zum anderen kann nicht oft
genug betont
werden, dass das Auftreten von Konvergenzen, die eine
kongruente Hierarchie der Merkmale stören, nicht zu den oft
fabulierten, "freien Merkmals-Kombinationen" eines
schöpferischen
Baukastens passt. Auch hier
geht der Punkt an die Evolutionstheorie.
Anstatt die konkreten Details aus der (Evo-Devo-) Forschung
abzuwarten und den Naturalismus in der Forschung
gründlich
auszuschöpfen, behaupten die Kreationisten a
priori, ein
"natürlich-evolutiver Weg" sei
unplausibel. Doch ein solches "Apriori-Wissen" existiert
in den Naturwissenschaften nicht – es spiegelt sich
nur in der religiösen Voreingenommenheit der kreationistischen
Glaubenswelt wieder. Damit widerlegt JUNKER
selbst die von ihm verschiedentlich aufgestellte Behauptung,
die Schöpfungsperspektive sei kein "science
stopper". Wenn JUNKERs Schlussfolgerung nicht der
wissenschaftlichen Forschung vorgreift, was
dann?
_______________________
Literatur
[1]
JUNKER,
R. (2016) Kurzflügler als "Ameisenkäfer" - eine
erstaunliche Konvergenz.
www.genesisnet.info/index.php?News=241 [2]
ZAUNER,
H. (2013) Gräbt ein Jesuit ein Ameisennest um.
http://panagrellus.de/grabt-ein-jesuit-ein-ameisennest-um/
[3]
FUTUYMA, D. (1990) Evolutionsbiologie. Birkhäuser-Verlag,
Basel.
[4]
TATTERSALL, I. (1997) Puzzle Menschwerdung. Auf der Spur der
menschlichen Evolution. Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg.
[5] PALMGREN,
P.;
AHLQVIST, H.; LANGENSKIÖLD, M.
& LUTHER, F. (1937) Zur experimentellen Prüfung der
Ameisenmimikry. Ornis Fennica 14, 96-108. [6]
LANGE, A. (2012) Darwins Erbe im Umbau. Die Säulen der
Erweiterten Synthetischen Evolutionstheorie. Königshausen
& Neumann, Würzburg.
[7]
HALL, B.K. (2012) Parallelism, deep homology, and evo-devo. Evolution
& Development 14, 29-33.
http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/j.1525-142X.2011.00520.x/epdf