Diskussionsbeitrag

Fossilien: Proteine in Dinosaurier-Knochen

Warum die Protein-Erhaltung in Fossilien nicht an der geologischen Zeitskala rüttelt


geologische Zeitmessung und Proteine

Ein beliebtes Argumentationsmuster in der kreationistischen Literatur ist die Überbetonung unerwarteter Befunde, die bei isolierter Betrachtung mit dem christlich-fundamentalistischen Dogma von einer vor 6-10.000 Jahre erschaffenen Erde in Einklang gestellt werden könnten. Während in den Realwissenschaften jede Interpretation einer kritischen Plausibilitätsprüfung unterzogen wird - dergestalt, dass man fragt: "Passt die Deutung ins Gesamtbild des in sich stimmigen Theoriennetzwerks der Naturwissenschaften?" (Prinzip der Kohärenz oder äußeren Widerspruchsfreiheit; s. VOLLMER 1995) -, tendieren die Kreationisten dazu, das von den Realwissenschaften vermittelte Gesamtbild in Frage zu stellen. Gegen eine erdrückende Beweislast halten sie an Positionen fest, die niemand akzeptieren würde, der sich nicht schon a priori für sie entschied.1)

Ein Beispiel aus der unendlichen Reihe "Gibt es empirische Hinweise für eine junge Erde?" ist ein Beitrag von Harald BINDER über gut erhaltene Proteine in Dinosaurier-Knochen (BINDER 2007). Darin stellt BINDER ausführlich den Fund von Proteinfragmenten in kreidezeitlichen Fossilien vor und erklärt, dass die Biopolymere nach dieser enorm langen Zeitspanne eigentlich längst hätten zerfallen sein müssen. Laut Experten-Meinung sollte nach einer Zeitspanne von "deutlich unter einer Million Jahre" kein Polypeptid mehr nachweisbar sein. Die Fossilien, aus denen die Proteinfragmente isoliert wurden, sind jedoch 70 Millionen Jahre alt. Nach der Bergung der Fossilien setzte, wie BINDER berichtet, der Abbau des Knochenmaterials wieder deutlich ein.

BINDER gelangt zu dem atemberaubenden Schluss, die vorgestellten Befunde stünden "im Widerspruch zu den konventionellen Altersangaben der Fossilien" und erklärt am Ende seiner Ausführungen:

"Derzeit kann jedenfalls die zeitliche Zuordnung der geologischen Systeme aufgrund der Diskrepanz zwischen etablierten Erfahrungen aus der Proteinchemie und der behaupteten extremen Stabilität von Proteinen in Fossilien beim gegenwärtigen Kenntnisstand begründet in Frage gestellt werden."

Im Klartext, BINDER plädiert für die wissenschaftliche Anerkennung einer nur wenige tausend Jahre alte Erde! Was er dabei übergeht: Der Abbau von Biopolymeren wie Proteinen ist als Datierungsmethode gänzlich ungeeignet, da dessen Geschwindigkeit von den individuellen Lagerungsbedingungen abhängt und enormen Schwankungen unterliegen kann. Deshalb kann der Erhaltungsgrad von Proteinen auch nicht als Referenzmethode zur Überprüfung konventioneller Altersbestimmungen herangezogen werden.

Eigentlich ist diese Erkenntnis banal; jeder Hausfrau ist geläufig, dass sich Nahrung im Kühlschrank länger hält als in der Wärme und in einer Schutzatmosphäre länger als an Luft. Das ist der Grund, weshalb sich Altersbestimmungen üblicherweise auf radioaktive Isotope stützen, deren Halbwertszeit von den Umgebungsbedingungen unabhängig und daher weit zuverlässiger ist. Der vorliegende Fall hat zwar nicht unmittelbar etwas mit bakterieller Verderbnis zu tun, verhält sich ansonsten aber analog zur Konservierung von Nahrungsmitteln.

Trocknung, Luftausschluss, niedrige Temperaturen, die Gegenwart von Salzen oder der Einschluss in eine geeignete Hilfsstoffmatrix können die Stabilität von Proteinen deutlich erhöhen. Schon eine zusätzliche hydrophobe Wechselwirkung oder mehrere polare Kontakte können (durch stabilisierende Wasserstoff- und Salzbrücken) die Halbwertszeit der Denaturierung um mehrere Größenordnungen erhöhen. Aus übersättigter Lösung, durch Kontamination mit Staub oder in Gegenwart hoher Salzkonzentrationen können Proteine zudem auskristallisieren. In Proteinkristallen sind die Abbaureaktionen, wie z. B. Hydrolyse und Oxidation, derart verlangsamt, dass sie bei der Lagerung praktisch nicht mehr ablaufen.

Die Proteinchemie selbst liefert also das theoretische Instrumentarium zur Erklärung der Langzeitstabilität von Proteinen. Weder muss dazu die "zeitliche Zuordnung der geologischen Systeme" angetastet noch müssen "unbekannte Mechanismen" ersonnen werden, wie BINDER behauptet. Es genügt, die thermodynamischen Kenngrößen und die Geschwindigkeit der infrage kommenden Abbaureaktionen zu bestimmen und auf die Randbedingungen zu schließen, die eine Langzeitkonservierung von Proteinen begünstigen.

Kurioserweise erwähnt BINDER selbst einige der für eine Langzeitkonservierung in Betracht kommenden Faktoren, wie etwa den Umstand, dass die Fossilien "in mittelkörnigem Sandstein einsedimentiert" waren, wonach "aufgrund der Porosität … die Kontaktzeit des fossilisierenden Kadavers mit zerstörenden Flüssigkeiten … reduziert" werde. Er weist sogar auf eine Studie hin, wonach bei Ablagerungstemperaturen von unter 10°C "eine Erhaltung von Peptidfragmenten aus dem Mesozoikum möglich erscheint".

Offenbar realisiert BINDER nicht, dass er mit diesem Zugeständnis sein argumentatives Fundament wieder untergräbt, von dem aus er "die zeitliche Zuordnung der geologischen Systeme ... begründet in Frage gestellt" sehen möchte. Jedenfalls misst er den genannten Studien aus unerfindlichen Gründen in seiner Schlusssentenz keine Bedeutung mehr bei. Stattdessen zieht er sich auf den Einwand zurück, die "etablierten Erfahrungen aus der Proteinchemie" widersprächen der "extremen Stabilität von Proteinen in Fossilien".

Von welchen "etablierten Erfahrungen" und "kontrollierbaren Laborbedingungen" ist die Rede? BINDER verweist hier auf Studien, die vor allem die Kinetik der Hydrolyse in wässriger Lösung untersuchten. Aufgrund des ungünstigen entropischen Beitrags dominiert dort freilich der Protein-Abbau. Studien, die sich mit Faktoren befassen, die solche Abbaureaktionen stark verlangsamen oder sogar stoppen, bleiben bei seinem Schluss außen vor.

Es verhält sich in etwa so, als würde BINDER dem "kontrollierbaren Ranzigwerden" von Butter in der heißen Sommersonne Priorität gegenüber der Möglichkeit einer Langzeitkonservierung im Gefrierfach einräumen, um den Schluss zu ziehen, dass nach den "etablierten Erfahrungen" Butter generell eine rasch verderbliche Ware sei. Es bedarf keiner weiteren Erörterung, weshalb das Infragestellen der sich nach Jahrmillionen bemessenden Erdgeschichte anhand einer solchen Argumentation Unsinn ist.

Unter Berücksichtigung des eingangs erwähnten Kohärenz-Prinzips verlangt die wissenschaftliche Methode die Eliminierung der Hypothese, es existierten Dinosaurierfossilien, die nur wenig tausend Jahre alt seien. Angesichts der Tatsache, dass sich die unterschiedlichsten (nicht nur radiometrischen) Datierungsmethoden der Geologie und Geophysik sowie verschiedene wohlbestätigte Theorien der Naturwissenschaften gegenseitig stützen, ist die "zeitliche Zuordnung der geologischen Systeme", die den Kreationisten vorschwebt, nämlich maximal unplausibel. Weit plausibler ist es, den extrem langsamen Zerfall von Proteinen als ein auf günstige Lagerungsbedingungen zurückzuführendes Ereignis aufzufassen. Kein Naturgesetz spricht gegen die Langzeitkonservierung von Biopolymeren.

Fazit

Üblicherweise räumt die evangelikale Studiengemeinschaft WORT-UND-WISSEN ein, ihre Argumentation sei "religiös motiviert". Sie nimmt jedoch für sich in Anspruch, der "Methodik der wissenschaftlichen Forschung" Rechnung zu tragen; schließlich könnten auch vor einem biblischen Hintergrund die "Erkenntnismöglichkeiten mit Hilfe der wissenschaftlichen Methodik … nach allen Regeln der Wissenschaftskunst ausgelotet werden" (WORT-UND-WISSEN 2008). Wie erörtert, besteht Naturwissenschaft jedoch nicht nur aus einem Rahmen zum Herumexperimentieren, in dem bestimmte "Methoden" und Standardoperationen zum Einsatz kommen. Wissenschaftliches Vorgehen bemisst sich in erster Linie daran, wie mit den empirischen Daten umgegangen wird, das heißt welche Schlüsse aus dem mithilfe der "wissenschaftlichen Methodik" gewonnenen Datenmaterial gezogen werden.

Wissenschaft ist ein rationaler Abwägeprozess, wonach Theorien bestmöglich objektiv validiert und zu einem stimmigen Gesamtbild zusammengefügt werden. Jede Hypothese muss wie ein weiteres Puzzlestück ins Gesamtbild eingepasst oder, falls dies nicht funktioniert, verworfen werden. Daran gemessen ist BINDERs Text kein vernünftiger Beitrag zur Wissensfindung: Während Naturwissenschaftler Interpretationen bevorzugen, die mit der Gesamtheit der wohletablierten Theorien harmonieren, würde BINDERs Schlussfolgerung verlangen, nahezu die Gesamtheit unserer wohletablierten geologischen und tektonischen, evolutionären, kernphysikalischen und kosmologischen Theorien in Frage zu stellen, um eine unplausible Hypothese (die Existenz eines auf "deutlich unter eine Million Jahre" zu datierenden kreidezeitlichen Fossils) zu retten.

Das wäre etwa so, als wollte man versuchen, die Relativitätsphysik mitsamt den sie stützenden Theorien aus dem naturwissenschaftlichen Theorienverbund herauszulösen, um die längst überholte Ätherhypothese wiederzubeleben, indem man sie mit einigen Ad-hoc-Hypothesen anreichert. Die Wissenschaft ging diesen Weg nicht, weil es weit plausibler erschien, die Ätherhypothese zu streichen, anstatt die gesamte Relativitätsphysik über Bord zu werfen (HEMMINGER 1988, S. 6).

Die kreationistische "Methode" ist also mit den Prinzipien einer ergebnisoffenen Wissenschaft, in der es keine a priori getroffenen Vorentscheidungen und Glaubenssätze geben kann, unvereinbar. Zumindest würde die Methodologie der Naturwissenschaften in sinnentstellender Weise verändert, wenn man ihr den Rahmen des irreversibel feststehenden Bibelworts (und damit den Glauben an eine wenige Tausende Jahre alte Erde) vorgäbe.

Literatur

BINDER, H. (2007) Proteine aus einem fossilen Oberschenkelknochen von Tyrannosaurus rex. Letzter Zugr. a. 19.08.2020

HEMMINGER, H. (1988) Kreationismus zwischen Schöpfungsglaube und Wissenschaft. EZW Orientierungen und Berichte Nr. 16, Stuttgart.

VOLLMER, G. (1995) Der wissenschaftstheoretische Status der Evolutionstheorie. In: ders.: Biophilosophie. Reclam-Verlag, Stuttgart, 92-106 (101).

WORT-UND-WISSEN (2008) Kurzcharakterisierung wichtiger Ursprungslehren. Die Position der Studiengemeinschaft Wort und Wissen. Letzter Zugr. a. 19.08.2020.




Fußnoten

[1] So erfordert das Festhalten an kreationistischen Positionen meist die Konstruktion einer Reihe unbegründeter Hilfsannahmen (zum Beispiel einen enorm beschleunigten radioaktiven Zerfall oder eine vielfach höhere Geschwindigkeit des Lichts), um unliebsame Befunde "weg zu erklären". Jede so herbeikonstruierte Annahme zieht in der Regel die Notwendigkeit weiterer Konstrukte nach sich, und so fort, bis in den Bereich vollkommener Absurdität (HEMMINGER 1988, S. 20).

Autor: Martin Neukamm