Faktenwissen
Die
frühe Erdatmosphäre:
ungeeignete Bedingungen für die Entstehung des
Lebens?
Das
MILLER-UREY-Experiment - und was der Kreationismus verschweigt
Wie
unter den Bedingungen der frühen Erde die ersten Schritte
zum Leben ausgesehen haben könnten, ist in einigen Bereichen
schon entschlüsselt worden. Inzwischen haben wir für
vieles, was vor Jahren noch völlig rätselhaft
erschien, recht gut begründete Vorstellungen und Modelle. Die
heutige Wissenschaft bietet mögliche Lösungen in
Gestalt präbiotisch relevanter Synthesewege für
Probleme an, die lange Zeit unlösbar schienen, wie etwa das
Problem der Entstehung langer RNA-Ketten in wässrigem Milieu
(SZOSTAK 2009; COSTANZO 2009) oder von biologischer Chiralität
(KAISER 2009). Das MILLER-UREY-Experiment ("Ursuppen-Versuch")
liefert nur einen Baustein im Erklärungsgebäude der
chemischen Evolution, und noch nicht einmal einen eminent wichtigen. So
ist schon lange bekannt, dass MILLERs Annahme hinsichtlich einer stark
reduzierenden Atmosphäre nicht korrekt war. Diese Einsicht
wurde kürzlich noch einmal durch geologische Befunde
untermauert. Doch was ändert sich dadurch? Und was machen die
Kreationisten aus diesen Befunden?
Einführung:
MILLER-Experimente in reduzierender Atmosphäre
Es ist eine alte Vermutung, dass die Zusammensetzung der
Atmosphäre im Frühstadium der Erde vor ca. 3,8 bis
4,3 Mrd. Jahren im Wesentlichen der Zusammensetzung der
Gashülle von Planeten wie Jupiter und Saturn entsprach.
Bereits in den 1940er Jahren zog der Atmosphärenspezialist
Harold C. UREY aufgrund der damals neuesten Erkenntnisse aus den
Bereichen der Geo- und Kosmochemie den Schluss, dass die
Uratmosphäre (auch: "erste Atmosphäre" genannt) vor
allem aus
reduzierenden Gasen wie Methan (CH4), Ammoniak
(NH3) und Wasserstoff
(H2) bestanden habe. Diese Annahme erschien
plausibel, da im Kosmos
fast ausschließlich das Element Wasserstoff vorkommt, welches
reduzierend wirkt. Seine Annahmen fasste er in dem 1952 erschienenen
Buch "The planets - their origin and development" zusammen.
Unter dem Einfluss elektrischer Entladungen und UV-Strahlung konnten
die Atmosphärengase zu organischen Verbindungen wie
Aminosäuren - den Bausteinen des Lebens - reagieren, die sich
in den Urozeanen allmählich anreicherten ("Theorie der
Ursuppe"). Diese Vermutung wurde schon in den 1920er Jahren von dem
russischen Biochemiker Aleksandr I. OPARIN und dem britischen Genetiker
John B. S. HALDANE geäußert, doch die experimentelle
Bestätigung ließ bis 1953 auf sich warten. In diesem
Jahr entwarf der UREY-Schüler Stanley L. MILLER ein
Experiment, welches basierend auf den Annahmen UREYs die Bedingungen
der frühen Erde simulieren sollte: In einem Kölbchen
brachte er Wasser zum Sieden. Der Wasserdampf gelangte in einen
Rundkolben seiner Apparatur, der zuvor mit einem Gemisch aus Methan,
Ammoniak und Wasserstoff befüllt worden war. Über
Elektroden wurde eine Funkenstrecke erzeugt, um die elektrischen
Entladungen in der Atmosphäre zu simulieren, die in der
Frühzeit der Erde, hervorgerufen durch vulkanische Eruptionen
und starke Gewitter, unablässig auftraten (Abb. 1). Im Laufe
mehrerer Tage sammelten sich in der Vorlage, nebst einem teerartigen
Kondensat, bedeutsame Mengen organischer Substanzen (MILLER 1953).
Abb
1.: Mit einfachen Mitteln zeigte Stanley MILLER, wie sich
aus den hypothetischen Bestandteilen der ersten Atmosphäre die
Bausteine des Lebens auf der frühen Erde bilden konnten. Dazu
füllte er in einen gläsernen Rundkolben Methan,
Ammoniak und Wasserstoff ein und setzte das Gasgemisch elektrischen
Funkenentladungen aus. Wasserdampf gelangte über ein Rohr
ebenfalls in die Apparatur.
Es wird überliefert, UREY
habe angenommen, bei einem solchen Experiment würde
"Beilsteins Handbuch der Organischen Chemie herauskommen", das
heißt eine Unzahl verschiedener organischer Verbindungen, die
für Lebewesen überwiegend nicht relevant sind. Umso
größer war die Überraschung, dass genau
Gegenteiliges der Fall war: Man fand die vier häufigsten bei
Lebewesen bekannten (proteinogenen) Aminosäuren,
hauptsächlich Glycin und Alanin aber auch
Asparaginsäure und Glutaminsäure, daneben wichtige
Carbonsäuren sowie Verbindungen mit biologisch wichtiger
Funktion wie z.B. Harnstoff und Sarcosin.
In den 1970er Jahren wiederholte
MILLER mit Hilfe seiner Mitarbeiter das Experiment und konnte genauere
Ergebnisse durch bessere analytische Methoden erzielen. In
Rückstellproben aus den MILLER-UREY-Experimenten fand man drei
weitere proteinogene Aminosäuren, nämlich Serin,
Valin und Phenylalanin sowie wichtige Naturstoffe wie Harnstoff,
Ornithin und 3-Hydroxyasparagin (JOHNSON et al. 2008).
Auffällig ist, dass im
MILLER-UREY-Experiment just diejenigen proteinogenen
Aminosäuren entstanden sind, die sich sowohl bei
Vulkanausbrüchen in größter Menge bilden
als auch in Proteinen heutiger Lebewesen am häufigsten
vorkommen. Dieses spezifische Phänomen kann nur mit einer
chemischen Evolution differenziert erklärt werden - und es ist
wissenschaftlich gezeigt, dass sich Bausteine des Lebens unter
physikalisch-chemischen aus reduzierenden Atmosphärengasen
Bedingungen bilden können.
Falsche
Annahmen über die Zusammensetzung der Uratmosphäre
Obwohl die chemischen Befunde, die MILLERs Experimente erbrachten, in
der Fachwelt nicht angezweifelt wurden, gab es abweichende Ansichten
über die Relevanz von MILLERs Versuchsaufbau. Bereits 1966
wurden
die Annahmen hinter MILLERs Ursuppenexperiment von dem amerikanischen
Chemiker Philip H. ABELSON in Frage gestellt (ABELSON 1966). Er legte
dar, dass die erste Atmosphäre nicht aus reduzierenden Gasen
bestanden haben konnte. Zum einen verflüchtigt sich
Wasserstoff
schnell in den Weltraum. Andererseits werden Methan und Ammoniak durch
Sonneneinstrahlung rasch photochemisch zersetzt und mit Spaltprodukten
des Wassers zu den "neutralen Gasen" Kohlendioxid (CO2)
und Stickstoff (N2)
nebst geringen Mengen von Kohlenmonoxid (CO) oxidiert.
Außerdem
müsste eine reduzierende
Uratmosphäre
durch geologische Befunde zu untermauern sein. Beispielsweise
müssten die ältesten Gesteine eine große
Menge an
Kohlenstoff von hydrophoben organischen Verbindungen enthalten. Dies
ist aber nicht der Fall.
Die Diskussion darüber, ob die Zusammensetzung der
urzeitlichen
Atmosphäre reduzierend war oder eher "neutral",
findet vereinzelt
noch heute statt. Im Allgemeinen wird jedoch von einer nur schwach
reduzierenden oder neutralen Atmosphäre zu dieser Zeit
ausgegangen. Diese Annahme wurde unlängst durch geologische
Befunde erhärtet (TRAIL et al. 2011). TRAIL und Mitarbeiter
untersuchten so genannte Zirkone, die zu den ältesten
Mineralien
gehören, die sich auf der Erde bilden konnten. Zirkone (Abb.
2)
sind Bestandteil von Granit und anderen plutonischen Gesteinen und
bilden extrem stabile Kristalle aus Zirkoniumsilicat, die in
abkühlendem Magma auskristallisieren. In das Kristallgitter
werden
häufig andere Schwermetalle wie Uran, Hafnium und Cer
eingebaut,
die einerseits sehr präzise radiochemische Datierungen
erlauben
(so konnten die ältesten Zirkone auf 4,28 Mrd. Jahre datiert
werden), andererseits auch Rückschlüsse über
den
Oxidationsstatus der Magmaschmelzen auf der Urerde gestatten, in der
die Zirkone auskristallisierten. Da das Element Cer in zwei
verschiedenen Oxidationsstufen vorkommt, könnte das
Verhältnis beider Formen etwas über die reduzierenden
Bedingungen aussagen, und damit möglicherweise auch etwas
über die Zusammensetzung der frühen
Atmosphäre. So
wäre unter reduzierenden Bedingungen überwiegend die
dreiwertige Form (CerIII) zu erwarten. Man
findet jedoch
Verhältnisse, die Oxidationsbedingungen nahelegen, die
weitgehend
den heutigen Bedingungen entsprechen. Daraus könnte man
schließen, dass die Uratmosphäre
überwiegend aus H2O, CO2, N2
und SO2 bestand.
Und was
machen die Kreationisten aus diesem Befund?
Immer dann, wenn ein wissenschaftlicher Befund bei isolierter
Betrachtung den Anschein erwecken könnte, als spräche
er gegen Evolution, ruft dies die Kreationisten auf den Plan. So werden
die Ergebnisse von Trail et al. (2011) inzwischen auf diversen Websites
zitiert, um den Eindruck zu erwecken, es sei der wissenschaftliche
Nachweis erbracht worden, dass die Zusammensetzung der frühen
Atmosphäre ungeeignet für die Entstehung des Lebens
gewesen sei. In dieses Horn bläst auch der Chemiker Dr. Harald
BINDER von der Studiengemeinschaft WORT UND WISSEN (BINDER 2012).
BINDER stellt die Situation so dar, als sei schon immer "unbekannt"
gewesen, wie "unter mutmaßlichen Bedingungen einer
hypothetischen frühen Erde Leben entstehen konnte". Nun
scheint der Befund von TRAIL et al. (2011) zu zeigen, "dass
dafür auch keine geeigneten Atmosphären-Bedingungen
geherrscht haben".
Man muss sich aus zwei Gründen fragen, weshalb BINDER die
Erkenntnisse von TRAIL et al. für erwähnenswert
hält. Der erste Grund ist, dass "Deutungen" von
Experimentalergebnissen, die zur Rekonstruktion historischer
Verhältnisse (etwa bezüglich der Zusammensetzung der
Uratmosphäre) herangezogen werden, von den Kreationisten (im
Gegensatz zu den Naturwissenschaftlern!) doch ohnehin als nicht
beweiskräftig eingestuft werden (vgl. z.B JUNKER/SCHERER 2006,
16f.). In diesem Zusammenhang fällt auf, dass die
Studie über die Zusammensetzung der Zirkone BINDER zwar als
willkommener Anlass dient, eine reduzierende Uratmosphäre zu
verneinen. Der ebenso aussagekräftige Befund hinsichtlich des
radiometrischen Alters der ältesten Zirkone von 4,3 Mrd.
Jahren wird dagegen verworfen bzw. gar nicht erst beachtet, weil er das
Dogma von der 6000 Jahre alten Erde widerlegt. Offensichtlich gilt
für WORT UND WISSEN der Grundsatz: "Nutze die Ergebnisse der
Wissenschaft immer dann, wenn du sie brauchen kannst, verwerfe sie
aber, wenn sie mit Deiner rigoristischen Bibelauslegung unvereinbar
sind". Akzeptiert wird nur das, was qua "Offenbarung" geglaubt wird und
mit der Offenbarung kompatibel ist. Eine derart selektive, durch Dogmen
beeinträchtige Aufbereitung und Interpretation
wissenschaftlicher Befunde ist nicht
akzeptabel; religiöse Werte wie Offenbarung und
subjektive Bewertung der
Fakten (die teilweise trotz schwerster innerer Widersprüche
und erdrückender Evidenzen vertreten werden), haben in der
Wissenschaft keinen Platz.
Der andere Grund, warum BINDER sich den Text hätte sparen
können, ist, dass es sich bei der aus der Studie abgeleiteten
These um alles andere als um eine revolutionäre Erkenntnis
handelt. BINDER "vergisst" zu erwähnen, dass MILLERs Annahmen
über die Zusammensetzung der Uratmosphäre in der
Fachwelt schon seit langem nicht mehr vertreten werden, da nach
geochemischem Wissensstand eher eine neutrale Atmosphäre
anzunehmen ist (PLANKENSTEINER et al. 2004). Und er übergeht
stillschweigend, dass die Wissenschaft auch nicht auf die Annahme einer
reduzierenden Erdatmosphäre angewiesen ist, um die Entstehung
der Bausteine des Lebens zu erklären!
Selbst
wenn die gesamte Uratmosphäre eine nicht reduzierende
Zusammensetzung aufwies, können lokal
präbiotische
Synthesen unter reduzierenden Bedingungen effektiv abgelaufen sein
(JOHNSON et al. 2008). Reduzierte Gase und elektrische Entladungen
treten etwa bei Vulkaneruptionen auf. Ein entsprechendes Szenario
bietet die "Eisen-Schwefel-Welt" in der Tiefsee. Die Gase, die den
hydrothermalen Quellen (den bis heute existierenden "Schwarzen
Rauchern" in der Tiefsee) entsteigen, sind im Gegensatz zur
Uratmosphäre schwach bis stark reduzierend, denn es
können neben CO2, N2,
SO2 und H2O in
wechselnden
Gewichtsanteilen Gase wie Schwefelwasserstoff, Methan, Ammoniak und
Wasserstoff vorkommen. Zudem wird durch Reaktion von Stickstoff und
Schwefelwasserstoff in einer wässrigen Suspension von
Eisensulfid Wasserstoff und Ammoniak zur Verfügung gestellt,
das zu den in den MILLER-Synthesen nachgewiesenen Reaktionsprodukten
reagieren kann (WEIGAND et al. 2003). Es herrscht also weitgehend
Konsens darüber, dass das Leben nicht global, sondern in
bestimmten Nischen der Urerde entstanden ist, die passende Bedingungen
für deren Entstehung boten.
Erwähnenswert ist auch,
dass MILLERs Experimente (das dürfte auch BINDER bekannt sein)
unter vielfach abgewandelten Reaktionsbedingungen wiederholt wurden.
Keineswegs wurden dabei nur reduzierende Gase eingesetzt, sondern in
vielfältiger Variation die Randbedingungen meist nach
spezifisch irdischen Bedingungen ausgewählt. Als
Ausgangsstoffe dienten in wechselnder Kombination
Atmosphärengase wie N2, CO2,
H2O und Gase, die aus Vulkanen
oder hydrothermalen Schloten austreten (wie CO, NH3,
CH4, H2S, H2)
oder
einfache Produkte, die aus der Reaktion dieser Gase hervorgehen, wie
Formaldehyd, Harnstoff, Blausäure, Formamid oder
Cyanoacetylen. Besonders aufschlussreich ist: Fast alle
Experimentatoren meldeten Erfolge, kaum einer zog eine Niete! Auch
unter Verwendung neutraler Gase wie CO2, H2O
und N2 bildeten sich
proteinogene Aminosäuren (PLANKENSTEINER et al. 2004). Die
Ausbeute war zwar gering, da in den Experimenten oxidierende
Komponenten wie Nitrit und Nitrat entstanden, aber trotzdem eindeutig.
Allerdings lässt sich durch Zugabe von reduzierenden
Reagenzien wie zweiwertigem Eisen (Fe2+), das
nach heutigem Wissen in
den sauerstofffreien Ozeanen der Urerde reichlich vorhanden war, die
Ausbeute um ein Viel-Hundertfaches steigern (CLEAVES et al.
2008).
Es
scheint also vollkommen gleich
zu sein, auf welche Ausgangsstoffe man zurückgreift.
Hauptsache ist, dass das Gemisch Kohlenstoff, Wasserstoff und
Stickstoff enthält und eine Energiequelle vorhanden ist, die
die chemischen Bindungen neu "ordnet". Es ist schlichtweg
unverständlich, wie BINDER zu der Auffassung gelangt, auf der
Urerde herrschten "ungünstige Bedingungen" für die
Entstehung der Grundbausteine des Lebens (sieht man einmal von seiner
religiösen Voreingenommenheit ab). Selbst im Weltraum (ein
"noch ungünstigerer Ort" für die Entstehung des
Lebens, wie man meinen sollte) und in bestimmten Meteoriten konnten bis
heute fast alle Grundbausteine des Lebens, unter anderem 19
proteinogene Aminosäuren, Zucker und sogar DNA-Basen,
nachgewiesen werden.
Wir sehen: Die moderne
Wissenschaft ist nicht auf MILLERs historisches Experiment angewiesen.
Es sind bis heute unzählige präbiotisch relevante
Synthesewege bekannt, die über MILLERs Versuche hinaus gehen,
etwa hinsichtlich der Synthese von Biomolekülen unter
hydrothermalen Bedingungen auf Pyritoberflächen (CODY et al.
2000), der Rolle von Mehrkomponenten-Systemen bei der Entstehung von
Biomolekülen wie Ribonukleotiden (POWNER et al. 2009), der
Bildung von Aminosäuren, DNA-Bausteinen und Metaboliten des
Citratzyklus in Meteoriten (CALLAHAN et al 2011; COOPER et al. 2011);
der Bildung langer RNA-Ketten in wässrigem Milieu (COSTANZO et
al. 2009) oder in Meereis bis zu einer Länge von 400 Gliedern
(TRINKS et al. 2005), der selektiven Unterdrückung
"unerwünschter" Nebenreaktionen unter anderem durch Phosphat
(POWNER et al. 2009), der selektiven Aufreinigung und Aufkonzentrierung
biologisch relevanter Verbindungen auf Kristalloberflächen
oder in Meereis (DASGUPTA/MO 1997; TRINKS et al. 2003) usw. Daran
gemessen sind die von BINDER verlinkten Texte über die
Entstehung von Proteinen und Nukleinsäuren nicht auf dem
neuesten Stand.
Fazit
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass heute zwar noch immer
nicht sicher gesagt werden kann, wie das Leben im Detail entstanden
ist. Dies wird vermutlich auch niemals möglich sein, denn die
Nischen und Bedingungen auf der Erde sind zu vielfältig und zu
heterogen, als dass eine einheitliche oder gar vollständige
Erklärung erreicht werden könnte. Dabei ist auch
nicht zu vergessen, dass Fließgleichgewichte,
Zufallsereignisse und ab einer bestimmten Stufe auch das Wirken von
Selektion ein einheitliches Erklärungs- und Simulationsschema
unmöglich machen. Für eine naturwissenschaftliche
Rekonstruktion der Entstehung des Lebens ist das auch gar nicht
nötig!
Ausschlaggebend für die evolutionäre Argumentation
ist nur, dass ein weiter Bereich von (irdischen und kosmischen)
Randbedingungen nach den Gesetzen der Physik und Chemie zur Entstehung
der Grundbausteine des Lebens führt. Die Entstehung von
Biomolekülen unter plausiblen Bedingungen ist
möglich. Und dabei ist auch noch zu erwähnen, dass in
Modellexperimenten und Meteoriten nicht etwa beliebige organische
Substanzen nachgewiesen wurden. Vielmehr sind es meist solche, die in
irdischem Leben eine besondere Rolle spielen. Selbst so komplexe
Biomoleküle wie Porphyrine konnten unter gleichsam
unspezifischen "Ursuppen-Bedingungen" erzeugt werden
(HODGSON/PONNAMPERUMA 1968). Auch wenn die Uratmosphäre nicht
(stark) reduzierend war, so bieten doch bestimmte Bereiche auf der Erde
sehr wohl reduzierenden Charakter. Daher ist es eigentlich
müßig, wenn heute immer noch versucht wird, die
Grundannahmen, die MILLERs historischem Experiment zugrunde lagen, zu
erschüttern. Die wissenschaftliche Karawane ist
längst weitergezogen; mehr als Strohmann-Argumente liefern
Texte wie derjenige aus der Feder Harald BINDERs daher nicht.
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Autor:
Martin Neukamm
© AG
Evolutionsbiologie des VdBiol.
16.01.2012