Bericht

Toleranzfreie Religion auf Rhode Island 

Die Wut einer ganzen Stadt trifft eine Schülerin

     

Kernpunkt kreationistischer Forderungen an die Biologie ist immer wieder das Prinzip der Toleranz: Die Evolutionstheorie werde seitens der Biologie mit einem hohen Maß an Intoleranz gelehrt und propagiert. Raum zum Lehren des Intelligent Designs und anderer wissenschaftlich obsoleter Vorstellungen wird stets im Namen der Toleranz und der Gleichberechtigung eingefordert. Nun sind Inhalte in der Naturwissenschaft keine Frage der Toleranz, weshalb sich eine Diskussion darüber eigentlich erübrigt, wohl aber im Bereich der Religion. Die "Toleranz" von Menschen, die mit dem an sie ergangenen Gebot der Feindesliebe weit über das übliche Maß an Duldsamkeit und Langmut hinaus gehen sollten, zeigt sich zur Zeit im nordöstlich von New York gelegenen Rhode Island, wie übereinstimmend verschiedene Medien (1,2,3) berichten. 

Jessica AHLQUIST, eine sechzehnjährige Schülerin der High School Cranston West auf Rhode Island, bestand auf dem von der US-amerikanischen Verfassung und ihren Ergänzungen garantierten Recht der strikten Trennung von Religion und Schule (man halte sich vor Augen, dass diese nicht zuletzt auch als Antwort gegen religiöse Intoleranz in Europa erarbeitet wurde). Als Ergebnis ihrer Klage sollte auf Gerichtsbeschluss ein Banner mit einem Gebet in der Eingangshalle der Schule entfernt werden - bis zur endgültigern Entscheidung der Schulbehörde hat man dieses erst einmal mit einem Tuch verhängt. 

Mit Bezug auf die atheistische Einstellung der mutigen jungen Frau hagelte es daraufhin Beschimpfungen, Verunglimpfungen, Ächtung sowie massive Drohungen (einschließlich der Androhung von Vergewaltigung) auf allen heute möglichen Kommunikationskanälen und aus allen sozialen Schichten, bis hin zu einem demokratischen (!) Abgeordneten, der sie als "teuflisches kleines Ding" bezeichnete. Und dies alles im Namen einer besonderen Auffassung von Christentum, die nur noch als pervers bezeichnet werden kann. Letztlich war der Schulweg nur noch unter Polizeischutz möglich. Daraufhin hat die geplagte junge Frau den Schulbesuch erst einmal aufgegeben und einen Antrag auf Beurlaubung bis auf weiteres gestellt. 

Wo sind denn nun all die bestürzten Kommentare derer, die im Namen der Religion nicht müde werden, Toleranz in umgekehrter Richtung zu fordern? Es steht außer Frage, dass Christen heute in vielen Ländern verfolgt, geächtet, gequält und sogar getötet werden. Aber welche Evangelikalen stellen sich bei uns medial vor die junge Frau, die, wenngleich Atheistin, ganz besondere Adressatin des Gebots der Feindesliebe des Religionsstifters aus Galiläa sein sollte - und wenn auch nur aus dem Grund, ihr, wie PAULUS es im Römerbrief in Bezug auf einen alttestamentlichen Text doch etwas entlarvend formuliert, "feurige Kohlen aufs Haupt zu sammeln"? Aber diese liegen wohl derzeit ganz allein auf den hohlen Köpfen der religiösen Rechten in den USA - auch ohne, dass sie jemand in "Old Europe" so richtig liebt.      


Literatur


(1) www.nytimes.com/2012/01/27/us/rhode-island-city-enraged-over-school-prayer-lawsuit.html

(2) www.faz.net/aktuell/gesellschaft/jung/amerika-kreuzzug-fuer-den-atheismus-11630355.html

(3) www.spiegel.de/schulspiegel/0,1518,811785,00.html
 

Autor: Stefan Schneckenburger

   

                       

           


© AG Evolutionsbiologie des VdBiol.          06.02.2012