Philosophische
Analyse
Harmonisierungsversuche
zwischen Evolution und
Schöpfung
Was
sagt die Evolutionsbiologie?
Warum
hat die DARWINsche Revolution im Bewusstsein vieler Menschen bisher so
wenig Eindruck hinterlassen? Zum Teil liegt das sicher daran, dass neue
Ideen Zeit brauchen, um zu reifen und ihre Brauchbarkeit unter Beweis
zu stellen. Dies ist aber nicht die ganze Wahrheit. Wer in den letzten
Jahren und Jahrzehnten die öffentlichen Debatten um die
Evolutionstheorie auch nur am Rande verfolgt hat, der wird ihre
erstaunliche Emotionalität bemerkt haben. Die Grundideen der
Evolutionstheorie sind nicht besonders schwer zu verstehen. Trotzdem
begegnen ihr auch viele intelligente Menschen mit beachtlicher Ignoranz
und Feindseligkeit. Die Schwierigkeiten scheinen also eher
gefühlsmäßiger als intellektueller Art zu
sein. Worin aber besteht die Provokation, woher kommt die Angst vor der
Evolutionstheorie?
Zum einen behauptet die
Evolutionstheorie, dass die Menschen durch einen ungeplanten
Naturvorgang entstanden sind. Zum anderen sagt sie, dass ihre
Eigenschaften nicht nur von der Umwelt geprägt werden, sondern
auch Ausdruck der in der Evolution entstandenen Gene sind. Die Biologie
hat also sowohl "das angebliche Schöpfungsvorrecht des
Menschen zunichte" gemacht, indem sie "ihn auf die Abstammung aus dem
Tierreich" verwies, als auch die "Unvertilgbarkeit seiner animalischen
Natur" behauptet (FREUD 1916-17: 295; vgl. JUNKER 2006; JUNKER
& PAUL 2009). Damit aber geriet sie in Konflikt mit
religiösen Weltanschauungen, die die Existenz und
Eigenschaften der Menschen auf einen göttlichen Willensakt
zurückführen. Bestrebungen der letzten Jahrzehnte,
die wörtliche Interpretation der Bibel unter dem Namen
'Kreationismus' (d.h. Schöpfungslehre) neu zu
beleben, haben diesen Konflikt verschärft, aber nicht
hervorgerufen. Bis heute ist die übernatürliche
Erschaffung der Menschen ein wichtiger Glaubenssatz vieler Religionen.
Jüdische, christliche und islamische Strömungen
berufen sich dabei auf die Bibel, in der behauptet wird, dass die
Menschen vom Gott des alten Testaments erschaffen wurden und ihm
'gleich seien' (Genesis
1, 26).
Viele religiöse Menschen
haben Angst vor der Evolution, weil sie - nicht ganz zu Unrecht -
vermuten, dass eine natürliche Erklärung der
Entstehung der Menschen ihre diesbezüglichen
Glaubensüberzeugungen überflüssig macht.
Eine Möglichkeit, mit dieser Konfliktsituation umzugehen,
besteht darin, die Idee der Evolution als Irrlehre
zurückzuweisen, dies ist der sogenannte Kreationismus. Eine
weitere Strategie versucht zu zeigen, dass Evolution und
Schöpfung sich nicht ausschließen, sondern
nebeneinander bestehen können. Andere Autoren wiederum sehen
in der Evolutionstheorie und der Schöpfungslehre
komplementäre Sichtweisen, die sich ergänzen, aber
nicht widersprechen müssen. An dieser Stelle möchte
ich die Debatte über den Kreationismus im engeren Sinn, der
die biblische Schöpfungsgeschichte als historischen Bericht
auffasst, nicht ein weiteres Mal aufgreifen, sondern mich den
vermittelnden Strategien zuwenden. Wie sind diese
Harmonisierungsversuche aus evolutionsbiologischer Sicht zu bewerten?
1.
Übereinstimmungen zwischen Bibel und Evolutionstheorie
Dieser Versuchung können viele religiöse Menschen
nicht widerstehen: In Anlehnung an einen Bestseller der 1950er Jahre -
"Und die Bibel hat doch recht …" - hoffen sie in den
Berichten des Alten Testaments (oder des Korans) auch Wahrheiten
über die Natur zu finden. Die biblischen Legenden sollen mehr
sein als zeitgebundene Dokumente eines urtümlichen und in
vielerlei Hinsicht irrigen Weltverständnisses und
göttliche Inspiration verraten. Obwohl viele
religiöse Menschen und auch die großen christlichen
Kirchen in Deutschland die biblischen Legenden nicht mehr in dieser
Weise wörtlich verstanden wissen wollen, wird der
zugrundeliegende Gedanke in abgeschwächter Form noch
erstaunlich häufig und prominent vertreten. So ließ
die frühere hessische Kultusministerin Karin Wolff, die als
Theologin und ehemalige Religionslehrerin nicht nur sachkundig sein
sollte, sondern sich zudem in vielfältiger Weise in und
für die Evangelische Kirche Deutschlands engagiert hat,
verlauten: "In der Debatte um die Schöpfungslehre geht es in
den Augen der Ministerin darum, die Bibel ernst, aber nicht
wörtlich zu nehmen. […] Ist es in diesem
Zusammenhang nicht eine erstaunliche Erkenntnis, wie sehr Biologie und
die symbolhafte Erzählung von den sieben
Schöpfungstagen auch übereinstimmen […]?"
(Vgl. JUNKER 2008).
Ein Einzelfall? Ein Missverständnis? Keineswegs, wie das
aktuelle Buch Was
stimmt? Evolution: die wichtigsten Antworten (2007)
des Zoologen Josef H. REICHHOLF zeigt. Der Autor leitet die
Wirbeltierabteilung der Zoologischen Staatssammlung in
München, lehrt an beiden Münchner
Universitäten und wird im Klappentext des Buches als "einer
der führenden deutschsprachigen Evolutionsbiologen"
vorgestellt. "Die Faszination des Schöpfungsberichts", so
schreibt REICHHOLF, liege "in der so dicht gedrängten
Darlegung des Ablaufs vom Anfang […] bis hin zum Menschen".
Man dürfe den Text zwar nicht "allzu wörtlich"
nehmen, aber "die Grundidee" und "die Abfolge in sechs Hauptschritten
trifft im Kern das Geschehen, so wie wir es gegenwärtig aus
der naturwissenschaftlichen Forschung heraus verstehen" (S. 120-21).
Wenn es 'erstaunliche' Übereinstimmungen zwischen den
biblischen Legenden und der modernen Evolutionstheorie geben sollte,
dann wäre dies in der Tat eine interessante Beobachtung. Was
also sind die Grundideen der Evolutionstheorie? 1) Die
allmähliche Veränderung und Aufspaltung von Arten
über lange Zeiträume. Auf diese Weise entstanden
beispielsweise im Laufe vieler Millionen Jahre die Vögel aus
den Dinosauriern und Menschen aus (anderen) Affen). 2) Die gemeinsame
Abstammung der großen Tier- und Pflanzengruppen und letztlich
aller Organismen. Menschen sind also nicht nur mit Affen verwandt,
sondern auch mit Fischen, Regenwürmern und Fruchtfliegen. 3)
Diese Veränderungen werden durch einen ungeplanten
Naturprozess bewirkt, durch die natürliche Auslese (Variation
und Selektion).
Gibt es in dieser Hinsicht Übereinstimmungen? Abgesehen von
der sehr allgemeinen Aussage, dass die Organismen nicht auf einmal,
sondern nacheinander entstanden sind bzw. erschaffen wurden, findet
sich keine der evolutionstheoretischen Grundideen im Bibeltext, sondern
gerade das Gegenteil: Die Rede ist von der getrennten
Schöpfung (unveränderlicher) Tier- und
Pflanzengruppen in kurzer Zeit durch eine
übernatürliche Macht. Auch die zeitlich gestaffelte
Schöpfung der Organismen als solche entspricht ganz und gar
nicht dem evolutionären Szenario, denn es ist ja nicht so,
dass beispielsweise erst alle Pflanzen entstanden und dann verschiedene
Tiergruppen, sondern die Evolution der Pflanzen- und Tierarten erfolgt
parallel, in ökologischen Zusammenhängen. In Bezug
auf die Grundideen gibt es also keine Übereinstimmung, sondern
tiefgreifende Unvereinbarkeiten und Widersprüche.
Könnte es aber in anderer Hinsicht die behaupteten
Übereinstimmungen geben? Leider hat Karin Wolff trotz
mehrfacher Nachfragen davon Abstand genommen, ihre Aussagen zu
präzisieren. Etwas konkreter äußerte sich
Josef H. REICHHOLF: "Ersetzt man die 'Tage der
Schöpfung' durch Phasen (oder lange Zeiten) der Evolution,
kommt in der Grundidee eine recht gute Übereinstimmung
zustande" (2007, S. 121). Ist das der Fall?
Nach den biblischen Legenden beginnt die Erschaffung der Lebewesen am
3. Tag, und zwar mit den Landpflanzen. Am 4. Tag folgt dann die
Erschaffung von Sonne,
Mond und Sternen. Abgesehen davon, dass einige
Sterne um ein mehrfaches älter sind als die am ersten Tag
erschaffene Erde und die chemische Verbindung von Sauerstoff und
Wasserstoff (Wasser), sind grüne Pflanzen auf die
Photosynthese damit auf Sonnenlicht angewiesen. Durch 'lange
Zeiten' der Evolution sollen sie also ohne ihre primäre
Energiezufuhr ausgekommen sein, eine abwegige Vorstellung. Am 5. Tag
folgen Wassertiere und
Vögel. Hierzu ist zu sagen, dass sowohl
die wasserlebenden Säugetiere (Wale) als auch die
Vögel von bodenlebenden Landtieren abstammen, die zu diesem
Zeitpunkt der Bibel zufolge noch nicht existieren. Weiter sollte
beachtet werden, dass die ersten Wassertiere der Evolutionsbiologie
zufolge deutlich früher entstanden als die Landpflanzen und
nicht umgekehrt.
In der ersten Hälfte des 6. Tages werden dann die Landtiere
erschaffen. Abgesehen davon, dass es domestizierte Tiere
('Vieh') erst seit wenigen tausend Jahren gibt, ist hier zu
bemerken, dass andere genannte Landtiere älter sind als einige
'große Seetiere', die Vögel und
fruchttragende Pflanzen, die sämtlich an früheren
Tagen erschaffen worden sein sollen. In der zweiten Hälfte des
6. Tages folgen schließlich die Menschen. Hierzu ist
Folgendes zu bemerken: Zum einen ist nicht klar, welche Menschen Gott
erschaffen haben soll - die Gattung Homo (z. B. Homo erectus, ca. 2
MJ)
oder die Art Homo
sapiens (ca. 200.000 Jahren)? In beiden
Fällen aber sind Menschen nicht die zuletzt entstandene
Tierart. Im afrikanischen Victoriasee beispielsweise sind innerhalb der
letzten 100.000 Jahre 300 bis 500 neue Arten von Buntbarschen
entstanden. Dass domestizierte Tiere ('Vieh') ihren
Haustierstatus den Menschen verdanken, wurde schon erwähnt.
Was also bleibt von den 'recht guten'
Übereinstimmungen zwischen Bibel und Biologie? Nichts! Es gibt
keine Übereinstimmung, die über das hinausgeht, was
ein Zufallsgenerator auch produzieren würde. Die Behauptungen
von Karin Wolff und Josef H. REICHHOLF lassen sich nur aufrecht
erhalten, wenn man einige Punkte willkürlich herausgreift und
andere ignoriert. Mit dieser Methode ließe sich aber auch
beweisen, dass Astrologen die Zukunft voraussagen können.
2.
Evolution als
Schöpfung
In den Diskussionen um Evolution und Schöpfung wird immer
wieder das Argument geäußert, dass es zwischen
beiden Phänomenen keinen Widerspruch geben muss.
Oberflächlich betrachtet ist dies richtig; die Aussage ist
aber zugleich unvollständig, in zentraler Hinsicht falsch und
zudem missverständlich. Das Problem entsteht, da das Wort
'Evolution' unterschiedlich gebraucht wird. Zum einen
versteht man darunter die zeitliche Veränderung der Arten von
Lebewesen. Solange dabei keine Aussage über die kausalen
Ursachen gemacht wird, kommt es auch nicht zu Widersprüchen
mit Schöpfungsideen, die eine übernatürliche
Ursache ('Wunder') postulieren. Zum anderen versteht man
unter 'Evolution' die wissenschaftliche Interpretation dieser
Phänomene, die moderne Evolutionstheorie. Hier aber gibt es
einen schwer auflösbaren Widerspruch, da die
Evolutionsbiologie wie die anderen modernen Naturwissenschaften aus
guten Gründen nur natürliche Ursachen akzeptiert.
Die Vereinbarkeit von Schöpfung und Evolution wird
beispielsweise im Katholizismus behauptet. 1986 schrieb der damalige
Papst JOHANNES PAUL II: "Recht verstandener Schöpfungsglaube
und recht verstandene Evolutionslehre [stehen sich] nicht im Wege:
Evolution setzt Schöpfung voraus; Schöpfung stellt
sich im Licht der Evolution als ein zeitlich erstrecktes Geschehen -
als creatio continua - dar" (SPAEMANN et al. 1986: 146). Wie er weiter
erläutert, versteht er unter einer 'recht
verstandenen Evolutionslehre' nicht die Evolutionstheorie im Sinne der
heutigen Biologie. Letztere wird als "evolutionistisches Weltbild"
ausdrücklich abgelehnt.
Die zugrundeliegende These ist also, dass Gott die Evolution in
irgendeiner Weise kontrolliert. Dieser Gedanke liegt (unausgesprochen)
auch der modernen intelligent design-Bewegung zugrunde und sie wurde
bereits zu DARWINs Zeit von einem seiner religiösen
Anhänger, dem amerikanischen Botaniker Asa Gray, formuliert
(JUNKER & HOSSFELD 2009: 147-148). Was sagte DARWIN zu
dieser Idee? Er habe, wie er an Gray schrieb, zwar "keine Absicht,
atheistisch zu schreiben." Aber, so fährt er fort, er
könne auch "nicht so deutlich Beweise für einen Plan
und für Wohlwollen auf allen Seiten von uns sehen
[…], wie andere das tun oder wie ich es wünschen
sollte." Und er fährt fort:
"Es scheint mir zu viel Elend in der Welt zu geben. Ich kann mich nicht
überzeugen, dass ein wohlwollender und allmächtiger
Gott absichtlich die Schlupfwespen erschaffen haben würde, mit
der ausdrücklichen Absicht ihrer Fütterung in den
lebenden Körpern von Raupen oder dass Katzen mit
Mäusen spielen sollten. Sicherlich stimme ich mit Ihnen
überein, dass meine Ansichten ganz und gar nicht
notwendigerweise atheistisch sind. Der Blitz tötet einen
Menschen, ob es ein guter oder ein schlechter ist,
gemäß der außerordentlich komplexen
Wirkung natürlicher Gesetze" (22. Mai [1860]; CCD 8: 223).
Die (Evolutions-)Biologie hat das Theodizee-Problem
verschärft, da eine klassische religiöse Antwort -
die Ursache für das Leid in der Welt soll die
Sündhaftigkeit der Menschen sein - ihre Plausibilität
verloren hat, insofern als die Menschen kaum für das
Brutverhalten der Schlupfwespen oder das Aussterben der Dinosaurier
verantwortlich gemacht werden können, das sich rund 63
Millionen Jahre vor dem Auftauchen der ersten Menschen ereignete.
Es gibt aber noch andere Bruchstellen, die die These 'Evolution als
Schöpfung' unbefriedigend erscheinen
lassen. Eine erste ist die Unvollständigkeit der
Harmonisierung. So schrieb beispielsweise Papst JOHANNES PAUL II. in
seiner vielgepriesenen Botschaft "Christliches Menschenbild und moderne
Evolutionstheorien" von 1996, dass vielleicht der "menschliche
Körper [...] seinen Ursprung in der belebten Materie [hat],
die vor ihm existiert. Die Geistseele hingegen ist unmittelbar von Gott
geschaffen" (JOHANNES PAUL II 1997: 382-83). Es bleibt hier
völlig unklar, wie das plötzliche Auftreten der
'Seele' mit dem kontinuierlichen Verlauf der Evolution zu
verbinden ist. So kann der Papst meines Wissens keine Antwort darauf
gegeben, wann genau die Geistseele erstmals auftrat. Bei Homo erectus
vor 2 Millionen Jahren, beim frühen Homo sapiens vor
200.000
Jahren oder später? Was ist mit den Neandertalern?
Besaßen sie schon eine Seele oder waren sie noch Tiere?
Ein zweites Problem ist die Vagheit der Aussagen über die Art
der göttlichen Kontrolle. Erfolgt diese ständig oder
nur zu bestimmten Zeiten? Wie erfolgt die Kontrolle? Durch die
Steuerung der Mutationen? Durch Einflussnahme auf die Selektion? Diese
Beliebigkeit zeigt, dass die Idee einer göttlichen Lenkung der
Evolution eine bloße Behauptung ohne Substanz ist.
Schöpfungslehren, dies kritisierte schon DARWIN,
erklären nichts, ob sie nun die getrennte Schöpfung
einzelner Arten oder eine allgemeine Lenkung der Evolution
unterstellen:
"Aus der gewöhnlichen Sicht, nach der jede Art
unabhängig erschaffen wurde, gewinnen wir keine
wissenschaftliche Erklärung irgendeiner dieser Tatsachen [der
Biologie]. Wir können nur sagen, dass es dem Schöpfer
gefallen hat zu befehlen, dass die früheren und
gegenwärtigen Bewohner der Welt in einer bestimmten Ordnung
und in bestimmten Gebieten erscheinen sollten. Dass er ihnen die
außerordentlichsten Ähnlichkeiten
aufgeprägt hat und dass er sie in Gruppen eingeteilt hat, die
anderen Gruppen untergeordnet sind."
Aber, so fährt er fort, "durch solche Aussagen gewinnen wir
kein neues Wissen, wir verbinden nicht Tatsachen und Gesetze
miteinander; wir erklären nichts" (DARWIN 1868, Bd. 1: 9).
DARWIN war,
um mit NIETZSCHE zu sprechen, "zu neugierig", um sich "eine
faustgrobe Antwort gefallen zu lassen. Gott ist eine faustgrobe
Antwort, eine Undelikatesse gegen uns Denker -, im Grunde sogar
bloß ein faustgrobes Verbot an uns: ihr sollt nicht denken!"
(NIETZSCHE [1888] 1980: 278-279).
Die Probleme der 'Evolution als Schöpfung'-Hypothese
sind offensichtlich und so ist es interessant zu beobachten, dass
dieser Harmonisierungsversuch selbst nach Ansicht seiner Vertreter
scheitert, wenn man das wissenschaftliche Verständnis von
Evolution akzeptiert. Wie der Wiener Kardinal Christoph
SCHÖNBORN vor wenigen Jahren betont hat, sei die moderne
Evolutionstheorie aus Sicht der katholischen Kirche keine Wissenschaft,
sondern Ideologie und nicht mit dem christlichen Glauben vereinbar:
"Seit Papst JOHANNES PAUL II. 1996 erklärt hat, dass die
Evolution [...] 'mehr' sei als nur eine 'Hypothese', haben die
Verteidiger des neo-DARWINistischen
Dogmas eine angebliche Akzeptanz oder Zustimmung der
römisch-katholischen Kirche ins Treffen geführt, wenn
sie ihre Theorie als mit dem christlichen Glauben in gewisser Weise
vereinbar darstellen. Aber das stimmt nicht" (SCHÖNBORN 2005;
vgl. JUNKER 2007).
Zwischen Schöpfung und Evolution kommt es also zum Konflikt,
sobald man letztere wissenschaftlich versteht; es handelt sich also
eigentlich um einen allgemeinen Widerspruch zwischen der
wissenschaftlichen und der religiösen Denkweise, die sich an
der (Nicht-)Existenz der Wunder entzündet. Der Konflikt
lässt sich aus religiöser Sicht also nur
lösen, wenn man sich vom wissenschaftlichen
Verständnis der Evolution distanziert und ein eigenes Modell
der Evolution entwirft. Das Vorhaben, Schöpfungslehren und die
wissenschaftliche Evolutionstheorie zu verbinden, ist damit aber keinen
Schritt vorangekommen.
3.
Evolution und
Schöpfung
Ein weiterer Vermittlungsversuch zwischen Evolution und
Schöpfung will zeigen, dass beide Phänomene neben
einander bestehen können, da sie zeitlich nacheinander
erfolgen. Diese Vorstellung liegt dem kreationistischen 'Lehrbuch' der
Evolution von Reinhard JUNKER und Siegfried
Scherer zugrunde (Evolution:
Ein kritisches Lehrbuch, 2006). Den
Autoren geht es in erster Linie um die Kritik an der Evolutionstheorie;
zugleich versuchen sie sich aber an einer Vermittlung zwischen
Schöpfung und Evolution, denn schließlich sei
"'Evolvierbarkeit' […] eine fundamentale Eigenschaft des
Lebens" (JUNKER & Scherer 2006: 5).
R. JUNKER und S. Scherer sprechen in diesem Zusammenhang von 'Mikro-'
und 'Makroevolution'. Diese Worte sollen
den Eindruck vermitteln, als gehe es hier um Evolution;
tatsächlich aber dienen sie dazu, das vor-evolutionäre
Weltbild von R. JUNKER und S. Scherer als
eine Art Evolutionstheorie zu präsentieren. Dabei greifen sie
(bewusst oder unbewusst) Vorstellungen aus dem 18. Jahrhundert auf. Die
Naturforscher dieser Zeit waren davon überzeugt, dass die
Vielfalt der 'Sorten' von Lebewesen durch ihre jeweils
getrennte Entstehung zu erklären ist (vgl. MAYR 1982; JUNKER
2004). Meist wurden angenommen, dass nur die zu einer Art
gehörigen Individuen einen gemeinsamen Ursprung haben: "Wir
zählen so viele Arten, wie verschiedene Formen im Anfang [in
principio] geschaffen worden sind" (LINNAEUS 1751, These 157). Ob zwei
Individuen zur selben Ursprungseinheit gehören, sollte an
ihrer Ähnlichkeit und an ihrer gemeinsamen Fortpflanzung
erkennbar sein. Da sich teilweise Individuen kreuzen ließen -
Pferde und Esel beispielsweise -, die man aufgrund ihrer
Unterschiedlichkeit verschiedenen Arten zugeordnet hatte, gab es auch
Überlegungen, ob nicht höhere Einheiten wie Gattungen
oder Familien auf einen einheitlichen Ursprung
zurückführbar sein könnten.
Da die Naturforscher des 18. Jahrhunderts die unabhängige
Entstehung der 'Sorten' (der Arten oder höherer
Einheiten) als den mit Abstand wichtigsten Vorgang der Biologie
bestimmten und den 'Degenerationen' - wenn überhaupt
- nur eine geringfügige, modifizierende Rolle zusprachen,
handelt es gerade nicht
um Evolutionstheorien, sondern um das
klassische Gegenmodell: die 'Konstanz der Arten'. Aus
demselben Grund werden Reinhard JUNKER und Siegfried Scherer nicht zu
Vertretern der Evolutionstheorie, selbst wenn sie evolutionäre
Veränderungen innerhalb begrenzter biologischer Einheiten
für möglich halten würden
('Degeneration' bzw. 'Mikroevolution'). Die Idee
ist also, dass Gott Urformen (z.B. die Arten) erschaffen hat, die dann
durch natürliche Prozesse in begrenztem Maße
modifizierbar sind. Mit den oben erwähnten Grundideen der
modernen Evolutionsbiologie hat all dies nichts gemeinsam. Auch dieser
Harmonisierungsversuch durch Aufspaltung der biologischen
Phänomene leistet also nicht, was er verspricht, sondern er
lässt die Widersprüche zwischen
Schöpfungsideen und der wissenschaftlichen Evolutionstheorie
nur noch deutlicher hervortreten.
4. Zwiedenken
Ein weiterer Versuch der Harmonisierung durch Aufspaltung bewegt sich
nicht auf der Ebene der Phänomene, sondern man nimmt eine
Aufspaltung der menschlichen Erkenntnismöglichkeit in zwei
getrennte 'Dimensionen' vor, die sich ergänzen aber
nicht widersprechen sollen. So hat der amerikanische
Paläontologe Stephen Jay GOULD große Mühe
darauf verwandt zu zeigen, dass es zwischen Wissenschaft und Religion
keinen Konflikt geben kann, weil sich beide Wissens- und Lehrsysteme
auf verschiedene Bereiche beziehen: Die Wissenschaft auf den
empirischen Aufbau des Universums, die Religion auf ethische Werte und
den geistigen Sinn unseres Lebens. Er persönlich glaubte "mit
all seinem Herzen an ein respektvolles, sogar liebendes Einvernehmen"
zwischen beiden Lehrsystemen (GOULD 1997: 61).
Ähnliche Thesen findet man auch in offiziellen Texten der
evangelischen Kirche. So heißt es in der Orientierungshilfe des
Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland zu
"Weltentstehung,
Evolutionstheorie und Schöpfungsglaube in der Schule":
"Umfassende und differenzierte Bildung wird erst möglich, wenn
verschiedene Weltzugänge und Erkenntnisweisen voneinander
unterschieden, aber eben auch aufeinander bezogen werden
können. Das in den Naturwissenschaften gewonnene
Verständnis von Komplementarität als der
Notwendigkeit, einander widersprechende
Erklärungsmöglichkeiten nebeneinander zu benutzen,
ist auch bildungstheoretisch fruchtbar zu machen. In der
Bildungsdiskussion der Gegenwart können dafür
Unterscheidungen wie die zwischen Verfügungs- und
Orientierungswissen stehen oder auch die Unterscheidung zwischen
verschiedenen Formen der Weltbegegnung" (EKD 2008: 18).
Hierzu ist zu bemerken, dass die angemahnte 'Unterscheidung
der Erkenntnisweisen' sogar innerhalb des EKD-Textes nicht konsequent
durchgehalten wird und durchaus auch Informationswissen über
die Welt reklamiert wird: "die Entstehung der Welt und die Entwicklung
des Lebens [sollen] letztlich auf den schöpferischen Willen
Gottes zurückgehen" (EKD 2008: 14). Das zweite Problem ist,
dass die scharfe Spaltung der menschlichen Erkenntnisfähigkeit
in zwei Dimensionen als künstlich und unverständlich
empfunden wird. So bemerkte Hansjörg HEMMINGER in seinem
EZW-Text Mit der Bibel
gegen die Evolution: "Die Rede von verschiedenen
Erkenntniskategorien, von Fragen und Antworten auf verschiedenen
Ebenen, sei abstrakt und überfordere viele Menschen. Diese
Schwierigkeit besteht und kann nicht übergangen werden"
(HEMMINGER 2007: 67).
Könnte es sein, dass es sich hier nicht um eine
(intellektuelle) 'Überforderung' handelt, sondern
dass das Argument selbst problematisch ist? Bei ihrer Unterscheidung
zwischen verschiedenen Wissensformen berufen sich die Vertreter der
Evangelischen Kirche auf den Philosophen Jürgen
Mittelstraß. Dieser hatte geschrieben:
"Verfügungswissen ist ein positives Wissen, ein Wissen um
Ursachen, Wirkungen und Mittel, Orientierungswissen ist ein regulatives
Wissen, ein Wissen um Ziele und Maximen". Damit lässt es
Mittelstraß aber nicht bewenden, sondern er fährt
fort: "Also gehört auch beides, Verfügungswissen und
Orientierungswissen, im Grunde zusammen. Reines
Verfügungswissen und reines Orientierungswissen gibt es gar
nicht - wer verfügt, weiß auch warum, und wer sich
orientiert, verfügt über seine Orientierungen"
(MITTELSTRASS 1989: 19). Wenn aber die 'Rede von
verschiedenen Erkenntniskategorien' sogar den als Kronzeugen
für diese Sichtweise genannten Jürgen MITTELSTRASS
'überfordert', so
wäre es vielleicht angebracht, das Argument selbst noch einmal
auf den Prüfstand zu stellen. An dieser Stelle lässt
sich jedenfalls festhalten, dass die Aufspaltung der menschlichen
Erkenntnisfähigkeit nicht nur künstlich wirkt und
schwierig zu verstehen ist, sondern auch von ihren Vertretern nicht
durchgehalten wird. Alles in allem erinnert die Forderung, 'einander
widersprechende
Erklärungsmöglichkeiten nebeneinander zu benutzen',
fatal an das ORWELLsche Zwiedenken,
an "die Gabe, gleichzeitig zwei
einander widersprechende Ansichten zu hegen und beide gelten zu lassen"
(ORWELL [1949] 1950: 196).
Fazit
Aus Sicht der Evolutionsbiologie kann keiner der genannten
Harmonisierungsversuche überzeugen, weder die Strategien der
Vermittlung noch jene der Aufspaltung führen zu einem
befriedigenden Ergebnis. Ob sich dies aus religiöser Sicht
anders darstellt, mögen ihre Vertreter entscheiden. Es gibt
aber eine naheliegende Lösung des Problems, die darin besteht,
sich zu entscheiden und entweder nur das wissenschaftliche Weltbild und
die Evolutionstheorie oder nur den Schöpfungsglauben gelten zu
lassen. Ersteres überzeugt die Mehrzahl der Biologen, zu
letzterem bekennen sich die Kreationisten. Beide konsequenten
Positionen ersparen es ihren Vertretern, sich an der Vielzahl von
Widersprüchen und Problemen abarbeiten zu müssen, die
auftreten, sobald man beiden Weltbildern gerecht werden
möchte. Und, so kann man aus Sicht der Wissenschaft
anfügen, schließlich gibt es genügend echte
Rätsel, mit denen man sich auf lohnende Weise
beschäftigen kann.
Literatur
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Burkhardt et al. Bisher 14 Bde. Cambridge: Cambridge University Press,
1985-2004.
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DARWIN, Charles. Über die Entstehung der Arten im Thier- und
Pflanzen-Reich durch natürliche Züchtung, oder
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vervollkommneten Rassen im Kampfe um's Daseyn. Faksimile der ersten
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DARWIN, Charles. The variation of animals and plants under
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JUNKER, Thomas. "Schöpfung gegen Evolution - und kein Ende?
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JUNKER, Thomas. "Die 'erstaunlichen
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zwischen Bibel und Evolutionstheorie: Was stimmt wirklich?"
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Autor: Thomas Junker
© AG
Evolutionsbiologie des VdBiol.
13.10.2009