Kommentar
Intelligent Design ungleich Intelligent
Design?
Eine
Analyse von Andreas Beyer
Am 28.07.2019 machten wir darauf aufmerksam, dass mit dem "Zentrum
für Biokomplexität und
NaturTeleologie" eine neue Intelligent-Design- (ID-)
Organisation in Österreich, und zwar ein Ableger des
"Discovery Institute" aus Seattle, heranwachse.
Vorstandsobmann Dr. Günter Bechly verwahrte sich gegen unsere
Darstellung, was wir dann als "Richtigstellung" auf
Facebook veröffentlichten. Denn
zunächst
einmal sind Eigenwahrnehmung und -darstellung eines Menschen oder einer
Organisation zu respektieren. Thomas Waschke, nach eigener Darstellung
Kreationismus- und Intelligent-Design-Kritiker, kommentierte diesen
Vorgang jedoch wie folgt:
"...
oder die harsche Reaktion der Bechly-Truppe hat denen [Anm.: gemeint
ist die AG EvoBio] die Augen geöffnet. Das könnte
eine Marschrichtung für andere Organisationen vorgeben: Nicht
einfach schlucken, was die AG treibt, sondern eine glasklare Kante
zeigen. Das scheint deren Einsicht in die Basics des Umgangs mit
weltanschaulichen Gegnern mehr zu fördern als noch so gute
Argumente."
(www.facebook.com/maryb.moritz/posts/2267763133313710)
Ohne auf Waschkes unsachlich-hämischen Stil einzugehen, sei
dies zum Anlass genommen, einmal genauer hinzuschauen: Ist dieses
"Zentrum" (www.biocomplexity.at/wer-wir-sind/)
wirklich etwas
ganz anderes als das Discovery-Institute? Was also hat es auf sich mit
der "Biokomplexität"? Hat man dort
wirklich "so gute Argumente", wie Waschke andeutet, freilich
ohne sie zu benennen?
Zentrum
für BioKomplexität & NaturTeleologie
Schaut man sich die Mitglieder (www.biocomplexity.at/wer-wir-sind/,
Zugriff 16.-28.08.2019) an, so fällt auf, dass zwar immerhin
im Vorstand zwei Biologen vertreten sind, der Beirat hingegen mit
Evolutionsbiologie wenig bis nichts zu tun hat: Zu dreien der
Mitglieder gibt es keine Informationen; Stephen C. Meyer, Michael
Denton und Ann Gauger sind Mitglieder des Discovery Institute in
Seattle (!) – so wie Bechly selber auch. Michael Chaberek
ist Dominikanermönch, Ola Hössjer ist Mathematiker,
Jonathan McLatchie ist ein christlicher Redner und Autor, Daniel von
Wachter ist Philosoph mit Schwerpunkt Religionsphilosophie. Und auf
etlichen Seiten findet sich der Hinweis "Wir werden
gesponsert durch Discovery Institute und Center for Science and
Culture". Bereits hier zeigt sich also ganz offenkundig
(a)
fachfremder Einfluss und (b) die enge Verbandelung mit der
US-amerikanischen Intelligent Design-Bewegung.
Ansonsten war die Webseite zum Zeitpunkt der Zugriffe noch sehr
fragmentarisch, allerdings tauchen hier dieselben Schlagworte auf, wie
man sie von ID-Proponenten und Kreationisten kennt: Das
"Wartezeiten-Problem" (die geologischen
Zeitspannen seien angeblich viel zu kurz für all die
erforderlichen
"positiven Mutationen", siehe Video-Analyse
von Günter Bechly – Zweifel an Darwin auf
YouTube),
"biologische
Komplexität", der "diskontinuierliche
Fossilbericht", die "kosmologische
Feinabstimmung". Und bei alledem tauchen
häufig einschlägig bekannte Namen aus der ID-Szene
auf, dabei wiederum vorwiegend Mitglieder des Discovery Institutes.
Dies alles sind sicherlich Gründe genug, das Zentrum
für BioKomplexität & NaturTeleologie als
einen Ableger des Discovery Institutes anzusprechen. Andere
Argumente als diejenigen, die schon längst aus der
Kreationisten- und ID-Szene bekannt und ebenso lange widerlegt sind,
sind nicht ersichtlich. Dies bestätigt sich übrigens
auch durch Bechlys Beitrag in "Evangelische Perspektiven
– Intelligent Design" (Bayerischer Rundfunk,
6.10.2019; www.br.de/mediathek/podcast/evangelische-perspektiven/intelligent-design/1743859).
Nun liegt es in der Hand der Mitglieder, durch wissenschaftliche (!)
Arbeit zu zeigen, dass meine Einschätzung inkorrekt
ist…
Günter
Bechly
Auf seiner Internet-Seite findet sich auch eine kurze
Darstellung von Bechlys Weltanschauung (www.bechly.at/world-view/),
in
der er sich als Theist outet; er schreibt (wortgetreue Übertragung der betreffenden Passage ins Deutsche):
"Ich weise
den Atheismus, Materialismus, Physikalismus, Determinismus,
Reduktionismus und Szientismus ebenso zurück wie den
mechanistischen Determinismus des 19. Jahrhunderts, welcher immer noch
populär unter Biologen ist. Diese Sichtweisen sind eigentlich
inkohärent, irrational, empirisch widerlegt und somit absurde
Formen pseudo-religiösen Glaubens, hauptsächlich
basierend auf schlampiger Argumentation, veraltet-überholter
Wissenschaft und seichter Philosophie (besonders unter den im Internet
aktiven Ungläubigen und den sogenannten 'Neuen Atheisten'),
und beinhalteten letztlich einen zutiefst
erbärmlich-bedrückenden Nihilismus."
Dies lässt an Deutlichkeit nichts zu wünschen
übrig. Die hier unsortiert aneinander gereihten
Kampfbegriffe und der hohe Grad an Emotionalität lassen es
zweifelhaft erscheinen, dass Bechly aus fachlichen Motiven heraus
argumentiert und dass er für einen sachlichen Diskurs
ansprechbar ist.
Auf www.bechly.at/anti-darwinism/
legt Bechly dann seinen
Anti-Darwinismus [sic!] dar. Bechly lehnt "Neodarwinismus" ab
(offensichtlich ist mit "Neodarwinismus" nicht die aktuelle
Evolutionstheorie gemeint, sondern deren Stand vor gut 100 Jahren.
Warum Bechly den Kenntniszuwachs seit damals ignoriert, bleibt unklar).
Er behauptet, dies aus wissenschaftlichen Gründen zu tun,
nennt jedoch nur sehr allgemeine Argumente (s. o. / s. u.) und zitiert
keine Fachliteratur. "Neodarwinistische
Makroevolution" sei "wissenschaftlich definitiv
widerlegt", "mechanistische und materialistische
Theorien" hätten "versagt".
Stattdessen favorisiert er "moderne Versionen von
Saltationismus, Mutationismus, Orthogenese" und
"Hopeful-Monster"-Szenarien – also
Hypothesen, die schon längst von der Evolutionswissenschaft
als unhaltbar fallen gelassen wurden. Dies alles passt nicht zu Bechlys
Anspruch, er argumentiere auf dem Boden moderner Wissenschaft.
Mehrfach lässt er durchblicken, dass er "intelligente
Ursachen", "Einflüsse von außerhalb des
Systems", "Zweckursachen" etc.
favorisiert. Auch hier zeigen sich logische Inkonsistenzen: Einerseits
will Bechly mit o. g. (in Wahrheit überholten) Hypothesen
wissenschaftliche Positionen vertreten. Andererseits zieht er
immaterielle Wirkursachen heran, bei denen er sich nicht einmal
festlegt, welcher Natur jene sein sollen. Die von ihm
zitierten Mechanismen sind allesamt schwammig-nebulös und
schließen sich darüber hinaus gegenseitig teilweise
aus. Zitiert werden zwar verschiedene Philosophen (!), aber keine
wissenschaftlichen Publikationen.
Abgerundet wird das Bild durch das YouTube-Video Günter
Bechly – Zweifel an Darwin
(www.youtube.com/watch?v=LWVIzw0mTOw
– eine Analyse
hierzu unter http://ag-evolutionsbiologie.net/pdf/2019/bechly-video-02.pdf).
Angesichts all dieser Inkonsistenzen
fällt Bechlys vernichtendes Urteil – "seichte
Philosophie", "schlampige
Argumentation", "veraltete Wissenschaft"
etc. – auf ihn selbst zurück.
Intelligent
Design ungleich Intelligent Design?
Zurück zur Ausgangsfrage: Muss man das neue "Zentrum
für Biokomplexität und NaturTeleologie"
wirklich als etwas deutlich anderes ansehen als die altbekannte
ID-Bewegung (um nicht zu sagen: Intelligent-Design-Kreationismus)?
Selbstredend gibt es bei Intelligent Design – ebenso wie
in der Astrologie, Radiästhesie und allen anderen
Parawissenschaften – deutlich unterschiedliche
Strömungen: Wo der eine ID-Vertreter allein in der Entstehung
des Lebens bzw. der ersten Zelle einen intelligenten Eingriff sieht,
ist es bei anderen ein jeder "makroevolutiver
Schritt". ID-Vertreter aus dem Umfeld der Zeugen Jehovas
wiederum bemühen intelligente Ursachen bei der Erschaffung
einer jeden einzelnen biologischen Art.
All dies ändert nichts daran, dass die verschiedenen
ID-Ausformungen
charakteristische Gemeinsamkeiten aufweisen, die sie wissenschaftlich
disqualifizieren:
- Die proklamierte intelligente Ursache wird nicht
spezifiziert, ihre
Wirkmechanismen nicht erörtert. Somit wäre dann ID
die einzige "Wissenschaft", die sich kategorisch
weigert, echte Ursachenforschung zu betreiben (Zitat G. Bechly:
"Intelligent design
theory in principle cannot (and does not have to)
elucidate the identity and motivation of the intelligent cause",
in www.bechly.at/anti-darwinism/).
Es ist aber ganz offensichtlich unmöglich, Intelligent Design
außerhalb menschlicher Artefakte festzustellen, wenn man
nicht die "leiseste Ahnung davon" hat, "wie es zustande gekommen
ist"
(vgl. M. Mahner: "Naturalismus. Metaphysik der Wissenschaft",
Alibri-Verlag, 2018, S. 129). Derselbe Autor bemerkt auf S.
122:
"Um
den
Design-Ansatz glaubhaft zu machen, benötigt man neben
Hintergrundwissen über die Absichten des Designers genau wie
die
Evolutionstheorie spezifische mechanismische Erklärungen als
konkrete Modelle, die zeigen, welcher Designer auf welche Weise
irreduzibel komplexe Organe geplant und ins Leben gerufen hat.
…
Damit kann man aber auch prüfen, ob dem Verweis auf einen
Designer
überhaupt eine mögliche Erklärungskraft
zukommen kann,
d. h., ob ID überhaupt in der Lage ist, ein alternatives
Erklärungsparadigma anzubieten".
- In Ermangelung eines "alternativen
Erklärungsparadigmas" nimmt es nicht wunder, dass auch kein
ID-Forschungsprogramm existiert, wenngleich immer wieder
das
Gegenteil behauptet wird. Weder das "Zentrum
für Biokomplexität und
NaturTeleologie", noch "Wort und Wissen"
oder sonst eine kreationistische bzw. ID-Vereinigung unterhalten
Forschungsgruppen und -laboratorien.
- Es gibt – wenngleich
immer wieder das Gegenteil behauptet wird – keine
wissenschaftlichen Publikationen, die ID stützen. Ebenso wie
Kreationisten publizieren ID-Vertreter im Internet, in christlichen
Verlagen, in eigenen Medien, nicht aber in wissenschaftlichen Journalen
– schlichtweg, weil die nötige wissenschaftliche
Qualität verfehlt wird.
Ergo: Keine Spur von "guten Argumenten" und kein ersichtlicher Grund,
die Position Bechlys und des "Zentrums für
Biokomplexität und
NaturTeleologie" als etwas besseres oder
überhaupt wesensmäßig anderes
anzusehen als alle
anderen "Intelligent Design"-Richtungen. Waschkes
Einschätzung ist inhaltlich nicht nachvollziehbar; bei ihm
müssen andere als sachliche Gründe den
Ausschlag gegeben haben.
Disclaimer:
Selbstredend ist das Thema mit dieser Analyse nicht erschöpft.
Selbstredend kann man sich noch beliebig weit in Detailbetrachtungen
verstricken (worauf ich mich nicht einlassen werde). Das
ändert nichts daran, dass hier das Wesentliche gesagt ist, was
der Leser problemlos nachprüfen kann.
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Fußnoten
"Richtigstellung: Günter Bechly klärte uns
darüber auf, dass seine Organisation kein Ableger des
amerikanischen Discovery Instituts sei, wie wir vorschnell annahmen.
Vielmehr sei sie weltanschaulich unabhängig; den Kreationismus
lehne sie ebenso ab wie eine vorschnelle Festlegung auf eine
natürliche Evolution. Unseren Ausdruck, hier 'metastasiere'
das Discovery Institut, weist er zu Recht mit dem Ausdruck der
Entrüstung zurück. Wir haben seine Organisation
vorschnell mit der 'Wedge-Strategie' des Discovery Instituts in
Verbindung gebracht. Für die polemische Ausdrucksweise und
unser vorschnelles Urteil möchten wir uns bei Herrn Bechly und
den übrigen Mitgliedern entschuldigen."
Üblicherweise wird mit dem Begriff "Neodarwinismus" der Stand
der Theorie deutlich vor
1950 beschrieben, also vor der "Synthetischen
Evolutionstheorie", nachdem z. B. August Weismann die
Erblichkeit erworbener Eigenschaften widerlegt hatte, die Idee einer
Keimbahn eingeführt wurde und bevor molekulare Kenntnisse
über Gene und Genome vorlagen (siehe z. B. M. Pigliucci, Gerd
B. Müller Hrsg: Evolution – The Extended Synthesis.
MIT Press, Cambridge 2010.). Warum Bechly die bahnbrechenden Ergebnisse
der Synthetischen Theorie ignoriert – die seitdem stetig
erweitert wurden – ist unklar.
Stattdessen
gibt es z. B. bei "Wort & Wissen" sog. "Fachgruppen". Deren
Tätigkeit
beschränkt sich allerdings darauf, Sach-, Fach- und
Allgemeinliteratur auf der Suche nach Aussagen zu scannen, die sich
öffentlichkeitswirksam in irgendeiner Weise gegen Evolution
nutzen lassen. Da keine der kreationistischen oder ID-Organisationen
wissenschaftlich publikationsfähige Daten beibringen kann,
gründet man eigene Journale wie das Studium Integrale Journal
oder den Creation Research Society Quarterly, in denen man ohne die
Qualitätshürde des unabhängigen
wissenschaftlichen Review publizieren kann.
Einzig
die Publikation von Stephen C. Meyer schaffte es in das
Wissenschaftsjournal Proceedings of the Biological Society of
Washington – es wurde unter Umgehung des Peer-Review (des
üblichen Standard-Procedere wissenschaftlicher
Qualitätskontrolle) dort eingeschmuggelt
(www.ag-evolutionsbiologie.net/pdf/2007/richard-sternberg.pdf, www.nature.com/articles/432949c).
Autor:
Andreas Beyer
© AG
Evolutionsbiologie des VdBiol.
11.11.2019