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Review-Paper

Evolution: Woher wissen wir, dass Vögel Dinosaurier sind?

English version, doi: 10.13140/RG.2.2.33375.64168


Vogelähnlicher Theropode Anchiornis huxleyi

Die Erkenntnis, dass Vögel lebende Dinosaurier sind, ist seit über 20 Jahren wissenschaftlicher Konsens. Nur wenige Fachleute stellen ihn heute noch infrage. In der vorliegenden Abhandlung erläutern wir, warum die Abstammung der Vögel von mesozoischen Theropoden-Dinosauriern eine wissenschaftlich belegte Tatsache ist. Anschließend diskutieren wir populäre Einwände gegen diese Auffassung und entkräften sie. Die Einwände stammen in erster Linie von Kreationisten, einige von vereinzelten Wissenschaftlern wie dem Ornithologen Alan Feduccia. Diese Übersichtsarbeit liegt auch als Preprint-Artikel in englischer Sprache vor (doi: 10.13140/RG.2.2.33375.64168).

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Zum PDF-Dokument [54 Seiten/24 Abb.]



Zusammenfassung

Die zehn Hauptaussagen der Analyse lauten wie folgt:

  • Die Erkenntnis, dass die Vögel das Produkt eines evolutionshistorischen Entwicklungsprozesses sind, ist logisch unabhängig von der Frage, wie diese Evolution im Detail ablief: Die Evolution und Abstammung der Vögel von mesozoischen Dinosauriern wird im Wesentlichen durch die Tatsache belegt, dass sich Theropoden-Fossilien in eine Abfolge bringen lassen, in der ihre Gestalt schrittweise das Erscheinungsbild der heutigen Vögel annimmt. Vor dem Hintergrund, dass Abstammung, Variabilität, Rassen- und Artbildung Erfahrungstatsachen sind, bliebe der Sachverhalt der Evolution selbst dann unangetastet, wenn wir über deren Ursachen gar nichts wüssten.

  • Die These, evolutionäre Mechanismen seien aufgrund des "Wartezeitproblems" überfordert, in geologisch kurzen Zeiträumen die große Formenvielfalt der Vögel "relativ abrupt" hervorzubringen, ist aus mehreren Gründen unhaltbar. Zum einen wird von falschen Voraussetzungen ausgegangen: Die Evolution stand nie vor der Aufgabe, zu "warten", bis ein vorgegebenes Ziel erreicht ist. Zum anderen ist die Evolvierbarkeit von qualitativ Neuem, ja sogar von nichtreduzierbar Komplexem, hinreichend belegt.

  • Hinsichtlich des "abrupten" Auftretens von Merkmalen im Fossilienbefund ist die Erklärung des Punktualismus ebenso zu berücksichtigen wie die Ambiguität des Begriffs "abrupt": Wenn ein Paläontologe "abrupt" sagt, meint er immer noch Zeiträume von Zehntausenden bis Millionen von Jahren. Zudem handelt es sich wegen der schwierigen Fossilisationsumstände und aufgrund räumlicher und zeitlicher Verzerrungen bei der Sedimentaufzeichnung häufig um ein geologisches Artefakt.

  • Evolutionsgegner ignorieren die Fortschritte der Evolutionären Entwicklungsbiologie bei der Lösung konkreter Problemstellungen. Sie erklärt das relativ rasche, teils konvergente Auftreten einer Reihe von Vogelmerkmalen ebenso wie die scheinbar widersprüchliche Zählweise der Finger bei einigen Theropoden und den Vögeln.

  • Evolutionsgegner stellen das Konvergenzproblem gravierender dar, als es ist. Trotz verbreiteter Konvergenzen und der Unsicherheit hinsichtlich der Stellung einiger Taxa ist die Anordnung der Haupttaxa im Stammbaum der Theropoden stabil und unter den Experten unstrittig. Die Vögel sind und bleiben tief ins Taxon der Theropoden eingeschachtelt.

  • Entgegen kreationistischer Darstellungen sind verbreitete Konvergenzen keine Anomalien, sondern unter Berücksichtigung entwicklungsbiologischen Hintergrundwissens eine klare Erwartung der Evolutionstheorie.

  • Die Vorstellung, dass Evolution kontinuierlich und linear zu verlaufen habe, verträgt sich seit einem halben Jahrhundert nicht mehr mit dem Wissen über die Prozesse der Artdifferenzierung. Dass gerade diese Prozesse Diskontinuitäten, Inkongruenzen und einen Zickzackkurs (etwa Rückentwicklungen und Reversionen von Merkmalen in unterschiedlichen Entwicklungslinien) erzeugen, scheint nicht bekannt zu sein.

  • Kreationisten stellen antiquierte Erwartungen an die Natur evolutionärer Übergangsformen und behaupten, "widersprüchliche" Merkmals-Mosaike erkannt zu haben. Dass Mosaik-Evolution gerade das Ergebnis von Artaufspaltungen und genetischen Bürden ist, wird verkannt.

  • Die Behauptung, die verschiedenen Merkmale des Vogelbauplans könnten nicht isoliert voneinander entstanden sein, ist falsch: Die Theropoden-Fossilien lassen sich in eine Reihenfolge bringen, in der sich die nichtreduzierbar komplexe "Gesamtorganisation" der Vögel in einer Serie von Merkmals-Additionen auflöst.

  • Kreationisten scheinen das Prinzip der Kladogenese (Stammesverzweigung) nicht verstanden zu haben, sonst würden sie nicht die "phylogenetisch-stratigraphische Diskrepanz" problematisieren, das heißt das zeitlich spätere Auftreten von einigen Arten mit ursprünglicheren Merkmalen im Fossilienbefund.

Aus dem Inhalt

A. Einleitung

B. Warum die Abstammung der Vögel von Dinosauriern gut belegt ist

C. Besprechung populärer Einwände des Kreationismus

o C.1 Verbreitete Konvergenzen und widersprüchliche Stammbäume

o C.2 Diskontinuierliche und "chaotische" Evolution im Zickzackkurs

o C.3 Unpassende Mosaikformen statt Übergangsformen

o C.4 Abruptes Auftreten von Merkmalen und das "Wartezeitproblem"

o C.5 Evo-Devo-Lösungen zur Vogelevolution

o C.6 Nichtreduzierbar komplexer Vogelbauplan

o C.7 Gleitflug versus Schlagflug: ein falscher Gegensatz

o C.8 Offene Fragen zu den Mechanismen der Evolution

o C.9 Geisterlinien im Fossilbericht

o C.10 Die "stratigraphisch-phylogenetische Diskrepanz"

o C.11 Spricht Dollos "Gesetz" gegen die Theropoden-Abstammung?

o C.12 FEDUCCIAs typologische Einordnung der Spezies Scansoriopteryx

o C.13 Zur Konvergenz federhaarartiger Integumente bei Flugsauriern

o C.14 Waren Flugsaurier befiedert?

o C.15 Sind Federn zum Fliegen entstanden?

D. Zusammenfassung

E. Danksagung

F. Literatur

Danksagung

Unser besonderer Dank gilt dem Dinosaurierspezialisten John HARSHMAN, der die englische Fassung unserer Arbeit begutachtete und mit kritischen Anmerkungen zu ihrem Gelingen beitrug. Des Weiteren danken wir Prof. Oliver RAUHUT für seine Ausführungen, die wir in Abschnitt C.11 wiedergeben durften. Wir danken auch Dandan WU von der PNSO und Stefan PROCHASKA von der SchuBu Systems GmbH für die Erlaubnis, ihre Bilder zu reproduzieren.

Autoren: Martin Neukamm & Andreas Beyer

Copyright: AG Evolutionsbiologie