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Bericht

Wie das evangelikale Discovery Institute Filmdokumente fälscht

Meinungsmanipulation im Zeichen der Keil-Strategie


Logo: Discovery Institute

Betrügerische Falschdarstellungen mit dem Ziel, Evolutionsbiologen zu verleumden, sind zum Glück selten. Doch das christlich-konservative Discovery Institute hat diese Grenze überschritten. Es schnitt Passagen einer Natur-Dokumentation so zusammen, dass der Eindruck entsteht, der renommierte Paläanthropologe Owen LOVEJOY würde Fossilien fälschen, um eine evolutionsbiologische Grundaussage zu belegen. Dass Casey LUSKIN, stellvertretender Direktor des dortigen Zentrums für "Wissenschaft und Kultur", wichtige Argumente weglässt, gerät im Lichte dessen fast schon zur Randnotiz.

Was ist das Discovery Institute überhaupt, und welche Ziele verfolgt es?

Das Discovery Institute und die Intelligent-Design-Bewegung

Das Discovery Institute ist eine in den USA ansässige christlich-fundamentalistische Organisation, die sich über Spenden und Mitgliedsbeiträge finanziert. Sie ist das Zentrum der im Jahr 1990 gegründeten Intelligent-Design-Bewegung, die einen tiefgreifenden politisch-gesellschaftlichen Wandel anzustoßen versucht. Danach sollen sich alle wesentlichen Bereiche der Gesellschaft an christlich-konservativen Vorstellungen ausrichten. Auch Erziehung, Bildung und Wissenschaft sollen von diesem Geist beseelt werden.

Eine Kernforderung des Discovery Institutes besteht darin, evangelikale, neo-kreationistische Argumente und Schöpfungsvorstellungen gleichberechtigt neben Evolution im Unterrichtsfach Biologie zu behandeln. Doch in einem wegweisenden Urteil des Obersten Gerichtshofs aus dem Jahr 1987 wurde der Kreationismus als Religion klassifiziert und aus dem Biologieunterricht verbannt. Nach der US-Verfassung dürfen nämlich keine religiösen Inhalte an staatlichen Schulen unterrichtet werden. Ein strategisches Ziel des Discovery Institute ist es daher, den Eindruck zu vermitteln, es propagiere eine wissenschaftlich legitime Theorie statt einer religiösen Idee. Der Schlüssel dazu ist die Transformation kreationistischer Ideen zu Intelligent Design.

Intelligent Design ist eine bibelkompatible Lehre, die – ohne Gott beim Namen zu nennen – unspezifische Schöpfungsakte statt eines durchweg kausal erklärbaren (evolutionären) Naturgeschehens annimmt. Ihre Anhänger verpassen ihr einen wissenschaftlichen Anstrich, indem sie auf ingenieurstechnisch klingende Termini wie "Signalerkennung", "Design", "Feinabstimmung", "irreduzible Komplexität" usw. zurückgreifen. Dann werden bestimmte Merkmale von (Bio-)Systemen als "Design-Signale" gedeutet.

Um dieser Deutung eine wissenschaftliche Plausibilität zu verleihen, werden also Analogien mit der Technik bemüht. Gleichzeitig müssen vermeintliche oder tatsächliche Erklärungslücken und offene Fragen der Evolutionsforschung als Indizien dafür herhalten, dass eine rein natürliche Evolution sehr unwahrscheinlich sei.

Die streng geheime Keil-Strategie

Dass Inhalte und Ziele der Intelligent-Design-Bewegung alles andere als wissenschaftskonform sind, belegt ein internes Positionspapier, das als "streng geheim" gekennzeichnet war, bevor es 1999 an die Öffentlichkeit gelangte. Es skizziert den langfristig angelegten Aktionsplan des Discovery Institutes, der unter dem Begriff Keil-Strategie (Wedge Strategy) Bekanntheit erlangte.1)

Ziel dieser Keil-Strategie ist die Eliminierung einer evolutionären, naturalistisch-materialistischen Weltsicht. Die materialistische soll durch die "christenfreundliche" Wissenschaft Intelligent Design ersetzt, der göttliche Schöpfungsgedanke wieder Basis aller Wissenschaften werden. Damit wäre aber ein unabhängiges, sinnvolles Betreiben von Wissenschaft nicht mehr möglich; die Wissenschaften wären methodologisch entkernt.2)

Gemessen an ihrem 20-Jahres-Ziel, Intelligent Design zur dominierenden wissenschaftlichen Theorie zu machen und alle Bereiche der Kultur und des politischen Lebens zu durchdringen, ist die Keil-Strategie gescheitert. Das bedeutet nicht, dass deren Protagonisten in dem Bestreben nachließen, diese Vision doch noch zu realisieren.

Ganz im Sinn der Keil-Strategie lässt das Discovery Institute nichts unversucht, die Evolutionstheorie als "materialistische Ideologie" zu diffamieren. Zudem wird ein verschwörungstheoretisches Narrativ bedient, welches die Vertreter der Evolutionsbiologie als Lügner und Betrüger darstellt. Da dies nicht ohne Weiteres gelingt, sieht sich das Discovery Institute offenbar genötigt, selbst betrügerisch zu agieren.

Casey LUSKIN, Dave FARINA und die Evolution des Menschen

Dr. Casey LUSKIN, der seine Promotion in Geologie absolvierte, firmiert im Discovery Institute als "Research Coordinator". In einer auf YouTube veröffentlichten Analyse nimmt sich der in den USA recht bekannte Wissenschaftskommunikator Dave FARINA das Discovery Institute-Video "Human Evolution: The Monkey Bias" (siehe Quellenverzeichnis) vor, dessen Hauptakteur eben jener Casey LUSKIN ist.

Dave Farina über das Discovery Institute

YouTube-Video von Dave FARINA: "Exposing the Discovery Institute Part 1: Casey Luskin".

FARINA deckt zahlreiche Ungenauigkeiten, Unwahrheiten und Manipulationen auf. (Einer von uns (M. NEUKAMM) produzierte dazu im Nachgang die deutschen Untertitel.) Im Folgenden sei ein Beispiel herausgegriffen.

"Lucy" als Zwischenform

Wie andere kreationistische Werke, so möchte auch das Video des Discovery Institutes die biblisch motivierte These verteidigen, Menschen und Affen seien als separate Grundtypen in einem göttlichen Akt erschaffen worden. Daten, die den evolutionären Ursprung des Menschen aus einer Gruppe miozäner Affen belegen, werden in dem Video entweder ignoriert oder zu einem Vorurteil "materialistischer Ideologie" herabgewürdigt. Obwohl mittlerweile Dutzende ausgestorbener Hominini-Arten bekannt sind, deren Erscheinungsbild sich dem des modernen Menschen umso mehr annähert, je jünger sie sind, wird ihr Status als evolutive Zwischenformen geleugnet.

Vermittelnde Fossilien wie Australopithecus afarensis ("Lucy") und Homo erectus werden entweder in die Schublade der "Affen" oder in die des "Menschen" hineingezwängt. So soll der Eindruck entstehen, Menschenaffen und Menschen seien durch eine morphologische Kluft voneinander getrennte, wesensmäßig verschiedene Grundtypen. Wenn das stimmte, dann sollte die Entscheidung, welche Fossilien als "echte" Menschen und welche als "Affen" gelten, eigentlich leichtfallen. Das ist aber nicht der Fall: Die Kreationisten sind sich selbst nicht einig, wo die Grenze zwischen "Affen" und "echten Menschen" liegen soll (Abb. 1).

Zwischen Homo habilis und Mensch: Kreationisten beurteilen evolutionäre Zwischenformen

Abb. 1 Fossile Zwischenformen, die kreationistische Autoren jeweils ganz unterschiedlich beurteilten. Die hier angegebenen Funde liegen im Übergangsbereich zwischen den ersten Vertretern der Gattung Homo (H. habilis / rudolfensis) und dem späteren Homo erectus. Jeder Fund wurde mal als 100% Affe (Ape), mal als eindeutig Mensch (Human) eingestuft. Abgesehen davon, dass sich die Kreationisten nicht einig sind, zeichnet sich in ihrer Klassifikations-Tendenz jenes graduelle Gefälle ab, das für evolutionäre Zwischenformen typisch ist. Quelle mit detaillierten Erläuterungen: www.talkorigins.org/faqs/homs/compare.html.

Wie Abb. 1 anschaulich demonstriert, tendieren umso mehr kreationistische Autoren dazu, eine fossile Form als "Affe" einzustufen, je ursprünglicher sie ist, und sie als "echten Menschen" zu deklarieren, je mehr ihrer Merkmale Anklänge an die des modernen Menschen zeigen. Ironischerweise spiegelt sich in dieser Tendenz genau jenes graduelle Gefälle, das wir von evolutiven Zwischenformen erwarten.

Eine Zwischenform, die bereits über menschliche Autapomorphien (abgeleitete, also moderne, den Menschen definierende Merkmale) verfügte, ist wie erwähnt "Lucy". So belegen etliche Merkmale, dass Lucy aufrecht ging: ein schalenförmiges Becken, ausstreckbare Kniegelenke, Hüftknochen, deren Winkel so beschaffen sind, dass die Knie das Gewicht optimal ausbalancieren konnten, ein weit vorn gelegenes Hinterhauptsloch (Foramen magnum), welches die Wirbelsäule direkt darunter positioniert, etc. Sie zeigen, dass Lucy zu einem "äffischen" Vierfüßergang nicht fähig war.

Wie geht nun das Discovery Institute mit solchen Befunden um? Ganz einfach – diese Fülle an Belegen wird vollständig unterschlagen. Lediglich ein einziger Aspekt wird herausgegriffen, nämlich die Hüftanatomie von "Lucy".

Der erfundene Fälschungs-Vorwurf

Das Discovery Institute zeigt in besagtem Video einen Ausschnitt aus der Nova-Dokumentation "In Search of Human Origins (Part 1)" (1994).3) Darin geht es um den Anthropologen Claude Owen LOVEJOY, Experte für die Biomechanik des aufrechten Gangs. Bekannt wurde er insbesondere durch Analysen der Biomechanik von Australopithecus afarensis ("Lucy"): Er konnte zeigen, dass diese Spezies aufrecht ging und für einen vierfüßigen Gang ebenso schlecht geeignet war wie wir.

Nun sehen wir in besagtem Video, wie LOVEJOY mit einem Schleifgerät Knochen bearbeitet. Dazu wird gesagt, er habe Lucys Becken in phantasievoller Weise manipuliert, bis es menschenähnlich aussah. So wird der Eindruck erweckt, LOVEJOY habe das Fossil gefälscht, um die evolutive Grundaussage zu stützen, Lucy sei ein aufrecht gehender Menschenvorfahr statt eines vierbeinig gehenden Affen.

Wie Dave FARINA im Detail nachweist, handelt es sich dabei um eine eklatante Fehldarstellung der realen Verhältnisse. Um die Fälschungsabsicht zu "belegen", musste das Discovery Institute den Film gezielt sinnentstellend manipulieren:

  • Im Videoclip unterschlägt das Discovery Institute die Existenz weiterer unabhängiger Fakten, die den aufrechten, zweibeinigen Gang von A. afarensis zweifelsfrei belegen, wie beispielsweise die Fußspuren von Laetoli.4)
  • Es wird verschwiegen, dass es mittlerweile etliche voneinander unabhängige Fundstücke gibt.5) Eine Fälschung wäre also durch Vergleich mit all den anderen Exemplaren längst aufgeflogen.
  • LUSKIN schob dem Autor eines "Nature"-Artikels die falsche Behauptung unter, neuere Studien würden beweisen, dass "Lucy" eine Knöchelgängerin gewesen sei. Nichts davon stimmt, wie FARINA zeigt.
  • Am schwersten wiegt der folgende Punkt: Das Discovery Institute entfernte ganz präzis jene Passagen sowie eine Tonspur in der Dokumentation, wo erklärt wird, was LOVEJOY in Wahrheit tat und warum er es tat (s. Abb. 2).
Owen Lovejoy beim Schleifen

Abb. 2 Zwei Bildausschnitte aus dem Videoclip des Discovery Institutes. Links sehen wir den Anthropologen Owen LOVEJOY scheinbar beim Beschleifen eines Fossils. Was LOVEJOY tatsächlich unternahm und weshalb, erklärt der Sprecher in der originären Nova-Dokumentation ausführlich. Da diese Erläuterungen aber nicht den propagandistischen Zweck des Videoclips erfüllen, schnitt sie das Discovery Institute kurzerhand aus der Dokumentation heraus. Stattdessen behauptet es, LOVEJOY manipuliere das Fossil, um "Lucy" den Status eines Menschenvorfahren unterzuschieben. Um diese Botschaft zu verstärken, wird ein Zuschauer ins Bild montiert, in dessen Mimik ein Ausdruck der Fassungslosigkeit zu lesen ist, mit dem er LOVEJOYs vermeintliche Täuschungsabsicht stumm zur Anklage bringt (rechts im Bild).

Was steckt hinter LOVEJOYs Präparation tatsächlich? Dem Anthropologen war aufgefallen, dass Lucys Kniegelenke ähnlich beschaffen sind wie die unsrigen: Sie konnten problemlos durchgestreckt werden. Die Beschaffenheit der Hüfte hingegen wollte dazu nicht passen. LOVEJOY fiel dann auf, dass die Hüfte vielfach fragmentiert und die Bruchstücke in nicht-natürlicher, anatomisch unmöglicher Lage zueinander versteinerten! Diese Tatsache wird im Video des Discovery Institutes komplett übergangen.

Um die Hüfte anatomisch korrekt zu rekonstruieren, fertigte LOVEJOY einen Gipsabdruck der Hüfte an, aus dem er dann die einzelnen Fragmente – nach Vorlage des Originals – auseinanderschnitt und neu zusammensetzte. Das wird im Video nicht nur verschwiegen; vielmehr wird böswillig unterstellt, er habe das Original nach Gutdünken und ohne rationalen Grund verändert. Diese Darstellung würde in Deutschland den Tatbestand der Verleumdung und üblen Nachrede erfüllen – eine Straftat.

Was sollen wir also von einem Institut halten, das sich "christliche" Werte auf die Fahne schreibt, um sie dann mittels Pseudowissenschaft, manipulierter Fakten und Lügen zu propagieren? Der Leser möge sich eine eigene Meinung dazu bilden.

Lügen als Propagandatechnik?

Lügen gelten gemeinhin als unschicklich. Insbesondere wird es als verwerflich angesehen, wenn man gezielt nicht nur zum eigenen Nutzen, sondern zum Schaden anderer lügt. Besonders abscheulich ist es, wenn man dies von einem Standpunkt aus tut, der vorgibt, moralisch überlegen zu sein: ein aus weltanschaulichen Gründen gezielt lügender "gebildeter Humanist" oder "aufrechter Christ", ein "Moslem, der den friedlichen Islam propagiert" oder ein – schon von Berufs wegen der Wahrhaftigkeit verpflichteter – Wissenschaftler, der gezielt Daten fälscht.

Leider ist insbesondere im Kreationismus und im Umfeld des Intelligent Design der Umgang mit Fakten und Wahrheit – neutral ausgedrückt – nicht gerade vorbildlich. Der YouTuber Dave FARINA unterhält den YouTube-Kanal "Professor Dave explains", dort nimmt sich regelmäßig Publikationen und Videos des Discovery Institute vor. Seine Videos sind sehr empfehlenswert.

Quellenverzeichnis und weiterführende Links

Video von Dave FARINA.

Video des Discovery Instituts.

Exposing the Discovery Institute, Part 4: Günter Bechly.

HEMMINGER, H. (2015) Anmerkungen zu dem Beitrag: 'Homo habilis war kein Mensch'.

HEMMINGER, H. (2015) Wie man Übergangsformen wegdefiniert.

HEMMINGER, H. (2021) Das Gehirn des frühen Homo erectus war noch nicht menschlich.




Fußnoten:


[2] Warum sind die Naturwissenschaften naturalistisch? Weil es ihre Aufgabe ist, unverstandene Naturphänomene einer differenzierten (mechanismischen) Erklärung zuzuführen. Beobachten, Theoretisieren und Erklären ist sinnvollerweise nur unter der Annahme möglich, dass es bei den zu erklärenden Phänomenen und Prozessen durchweg mit "rechten Dingen" (bzw. nach erforschbaren Mechanismen) zuging. Auf Grundlage dieser Annahme entstand über die Jahrhunderte ein konsistent ineinander verzahntes System erklärungsmächtiger Theorien. Wer dagegen an irgendeiner Stelle des Naturgeschehens "Wunder" und Schöpfungsakte einschiebt, die so undefinierbar wie unerforschlich sind, greift differenzierten Erklärungen vor – und verlässt die Methodologie der Naturwissenschaften. Lesenswert ist in diesem Zusammenhang auch die Analyse: 'Intelligent Design: doch kein Lückenbüßer?'

Autoren: Martin Neukamm & Andreas Beyer


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