M. Brandt (2020): Vergessene Archäologie.
Steinwerkzeuge fast so alt wie Dinosaurier
Besprechung
der 2. Auflage, erschienen bei SCM Hänssler
Viele
Millionen Jahre alte Steine, deren Formen und Bruchkanten an primitive
altsteinzeitliche Werkzeuge erinnern: Archäologen und
Freizeitforscher fanden sie weltweit an verschiedenen Orten, einige
davon sind über 50 Millionen Jahre alt. Um das Jahr 1900
entspann sich ein Streit darüber, ob Menschen sie erzeugten.
Nur: Damals, tief im Tertiär, gab es noch keine Menschen!
Heute stuft die Wissenschaft die artefaktähnlichen Steine als
Naturprodukte ein. Der Arzt Michael BRANDT indes möchte mit
einem aufwändigen Fotoband beweisen, dass die sogenannten Eolithen
tatsächlich Artefakte aus Menschenhand seien. Aus
seiner Sicht stelle dies die Evolutionstheorie und die gewaltigen
Zeiträume der Geologie infrage. In unserer Besprechung zur 1.
Auflage weisen wir BRANDTs Argumentation anhand von Expertenwissen
zurück (für eine Zusammenfassung siehe Fazit).[1]
Kürzlich erschien eine Neuauflage.
Was hat sich
gegenüber der 1. Auflage verändert?
Der ursprüngliche Textkorpus blieb nahezu
unverändert, doch der aktuelle Band ist mit 525 Seiten
deutlich wuchtiger. Das liegt daran, dass der Autor im Anhang auf die
"publizistischen Reaktionen" seine Kritiker
eingeht. Auch zu unserer Kritik an der 1. Auflage (Fußnote 1)
bezieht er Stellung. Darüber hinaus widmen sich zwei neue
Kapitel der Frage, ob die Eolithen-Inventare die Produkte von Affen
oder Vormenschen seien.
Eine Veränderung ist
erwähnenswert: In der 1. Auflage bemerkt BRANDT, manche
Eolithen wiesen "sehr wahrscheinlich" auf "Feuereinwirkung von
Menschen" hin (Kap. 2.5). In
der Neuauflage schreibt er dagegen, wir wüssten weder
"sicher", worin die Ursache des Feuers bestand,
noch ob das Feuer zufällig oder zielgerichtet auf die Steine
wirkte (S. 38). Offenbar kam die Modifikation unter dem Eindruck
unserer Rezension zustande. Wir zeigen darin, dass die Brandspuren von unkontrollierter
Hitzeeinwirkung herrühren, nicht von
zielgerichtetem Erhitzen (Tempern). Das ist nicht
nebensächlich, weil damit das einzigeunabhängige
Indiz für eine Bearbeitung der Steine entfällt.
Warum Brandts
Erwiderung am Kern des Problems vorbeigeht
Sehen wir uns im Folgenden an, inwieweit der Autor auf unsere
Einwände eingeht. Schon zu Anfang seiner Erwiderung
unterläuft BRANDT ein Schnitzer, wenn er
unterstellt:
"Martin
Neukamm ist der Auffassung, dass ausnahmslos
alle in 'Vergessene Archäologie. Steinwerkzeuge fast so alt
wie Dinosaurier' (VA) diskutierten tertiären
Eolithen keine echten Artefakte seien" (S. 517).
Das stimmt nicht. Der Rezensent betont, dass sich nicht jeder Fund
anhand seiner Merkmale als Artefakt ausschließen
lässt. Er präsentiert an mehreren Stellen (S. 14 und
45) Funde, die sich äußerlich kaum von atypischen
Werkzeugen des Paläolithikums unterscheiden (s. Abb. 3 in
dieser Rezension). Daher ist Brandts Vorwurf irreführend, der
Rezensent habe seinen Lesern überzeugende Funde vorenthalten
(S. 518).
Ganz im Gegenteil ist die zentrale Kritik an BRANDT, in
Übereinstimmung mit der Einschätzung
archäologischer Fachleute, dass der Artefakt-Status der Steine
ohne
Berücksichtigung der Fundumstände nicht
objektiv beurteilbar sei. Das liegt daran, dass die atypischen
Werkzeuge aus der Altsteinzeit meist primitiv sind und sich von
natürlichen Abschlägen aus der
artefaktähnlichen Fraktion nicht eindeutig
unterscheiden.[2] Das
ist ein wesentlicher Unterschied zu dem Argument, das BRANDT
unterstellt.
Zweitens: Selbst, wenn einige "Elitestücke" aus dem
späten
Miozän (5–10 Millionen Jahre vor heute) Artefakte
sein sollten,
wäre das kein Problem: Niemand vermag
auszuschließen, dass der frühe Homo-Vorfahre Graecopithecus
beispielsweise, der in dieser Zeit Europa besiedelte, als Erzeuger
infrage käme. Die Frage ist allerdings belanglos, da nichts
gegen eine Entstehung der Eolithen durch Naturprozesse spricht.
Drittens kehrt BRANDT die Beweislast um: Nicht die Wissenschaft muss
beweisen, dass "alle … diskutierten
tertiären Eolithen keine echten Artefakte" sind.
Vielmehr müsste BRANDT, unabhängig von den
umstrittenen Merkmalen, wenigstens einen
Eolithen in einem urgeschichtlichen
Fundkontext vorweisen, der seinen menschlichen
Ursprung belegt. Weil das, im Gegensatz zu anerkannten
altpaläolithischen Fundplätzen, bei keinem der
Zig-Tausend Eolithen gelang, überzeugt BRANDT in der Fachwelt
niemanden.
Brandt
ignoriert die entscheidenden Einwände
BRANDT schreibt, "die von NEUKAMM vorgebrachten
Argumente" würden "in den relevanten, die
Eolithenfrage unmittelbar betreffenden Aspekten" in seinem
Buch "bereits kritisch diskutiert". Daher
müsse er die Argumentation nicht wiederholen (S. 517).
Tatsächlich aber kommen die entscheidenden Einwände
nirgendwo zur Sprache!
Beispiel eins: BRANDTs Thesen widersprechen nicht nur Erkenntnissen der
Evolutionsbiologie, sondern allem, was wir über
Paläoanthropologie, Paläontologie,
prähistorische Archäologie, Genetik und
Populationsdynamik wissen. Sie sind, unter Berücksichtigung aller
Fakten, hochgradig inkonsistent mit der übrigen
Wissenschaft. BRANDT lässt sich auf keinen Versuch ein, diese
gravierende Inkonsistenz aufzulösen; die auf den Seiten 64 bis
67 vorgebrachte Argumentation übergeht er.
Beispiel zwei: Der Autor ignoriert, dass selbst dann nichts
für eine "kurze" Erdgeschichte
spräche, wenn alle Eolithen menschengemacht wären!
Zum einen ist die Länge der Erdgeschichte durch viele
unabhängige Datierungen belegt. Zum anderen wirft BRANDTs
Kurzzeit-Argumentation unlösbare Probleme auf: Geologische
Prozesse wie die Entstehung gewaltiger Feuersteinbänke,
Eiszeiten oder die Verfrachtung des Flints über Hunderte
Kilometer hätten in seinem Szenarium jeweils nur wenige
Hundert Jahre gedauert. Zudem müsste sich Homo in ein paar
Dutzend Generationen über Afrika und Eurasien ausgebreitet und
überall seine Artefakte hinterlassen haben. Wie all dies
funktioniert haben soll, bleibt offen. Der Autor zieht es vor, derlei
Probleme nicht zu erwähnen.
Beispiel drei: BRANDT bezweifelt, dass Artefakt-Merkmale durch
natürliche Prozesse "häufig
simuliert" würden. NEUKAMM zitiere im Rahmen dieser
Behauptung ausführlich ADRIAN (1948). Letzterer aber, so
bemerkt BRANDT im Weiteren, stelle "im Zusammenhang mit der
Eolithen-Problematik … vielfach nur spekulative Behauptungen
in den Raum" (S. 520), etwa dass "bruchmechanischen
Eigenschaften von Flint fast immer" zu einseitigen Retuschen
führten (S. 521).[3]
Was BRANDT verschweigt: ADRIANs
Hauptargument für den
natürlichen Ursprung der Eolithen beruht gar nicht auf
bruchmechanischen Hypothesen! Es beruht darauf, dass alle
Formen, denen
wir in Eolithen-Inventaren begegnen, gedrängt auch in den
Grundmoränen eiszeitlicher Gletscher vorkommen, wo echte
Steinwerkzeuge überwiegend zerstört und über
ein weites Areal verstreut würden. ADRIAN (1948, S. 126):
"Da die
natürliche Dispersion in derartigen Bildungen keinen
zusammenhängenden Transport eines ganzen Siedlungsbodens
zulässt, sind auch die Tierreste entsprechend weit verstreut
… Da die Pseudoartefakte jedoch gedrängt vorkommen,
liegt bei ihrer Inanspruchnahme als echte Artefakte ein
Missverhältnis vor, das nur mit ihrer natürlichen
Entstehung erklärt werden kann."
Das heißt, je stärker sich artefaktähnliche
Stücke in hochenergetisch verlagerten Sedimenten
konzentrieren, desto unwahrscheinlicher ist, dass es sich
tatsächlich um Artefakte handelt. Das betrifft etwa
Aufschlüsse aus der Grundmoräne der Saalevereisung in
Norddeutschland (z. B. Hasequelle). ADRIAN und andere Sammler bargen
dort Zehntausende Eolithen, einige unterscheiden sich nicht von
atypischen Steinwerkzeugen.
Die Saale-Kaltzeit fällt
paläontologisch in das Moustérien, eine mit dem
Neandertaler assoziierte Kultur. Deren Steinwerkzeuge sind alles andere
als primitiv. Es gibt entsprechende Funde aus Hemmingen, Arnum und
Döhren, kunstvoll bearbeitete Faustkeile aus dem Leinetal. Die
Fundstellen sind von der Hasequelle nur 100 bis 200 Kilometer entfernt.
Dass ein vom Tertiär bis ans Ende des Pleistozäns
gleichbleibender Primitivstand eolithischer Pseudotechnik isoliert
neben hochentwickelten Techniken "gelebt" haben
soll, ist unglaubwürdig. Wer soll, während
Neandertaler die eis- und warmzeitlichen Lebensräume in
Norddeutschland nutzten, in der Nachbarschaft und ohne Zusammenhang mit
Kulturresten die Eolithen produziert haben? Es kommen nur die vor- und
zurückwandernden Gletscher sowie die beweglichen
Geröllmassen infrage.
Brandt
ignoriert Gutachten und die Bedeutung des Habitus
BRANDT vermeidet jede Diskussion über die norddeutschen
Eolithen, dabei sind sie für die Eolithenfrage eminent wichtig
(siehe FREUND 1951). Sie belegen nämlich die von ihm
geleugneten "kreativen Kräfte" der Natur.
So fand ADRIAN in der Grundmoräne eiszeitlicher Gletscher ein
Kontinuum von schönsten Pseudoartefakten bis hin zu grobem
Naturbruch. Merkmale wie regelmäßige Kantenretusche,
artifiziell wirkender Bulbus, Schlagfläche und funktionelle
Form fanden sich an Stücken, die atypischen Steinwerkzeugen
stark ähneln. Sie fanden sich in wechselnder Kombination aber
auch an Steinen, die aufgrund anderer
Merkmale als Artefakte ausscheiden!
Daraus folgt zweierlei: Entgegen BRANDT sind bei einfachen,
kantenbestoßenen Steinen, die keinen einheitlichen
Werkzeugtypen entsprechen, auch simultan auftretende Artefakt-Merkmale
kein treffsicheres Argument für deren intentionelle Fertigung.
Und zweitens: Bei der Beurteilung zählen nicht exklusiv die
artefaktähnlichen Merkmale, sondern alle wesentlichen
Eigenschaften: der Habitus.[4]
Dass die Beurteilung kantenbestoßener Steine weitaus
komplexer ist, als BRANDT dies seinen Lesern vermittelt,
erörterten Fachleute anhand von Beispielen. Für die
Rezension zur 1. Auflage begutachteten sie Funde, die BRANDT als
überzeugende Artefakte vorstellt. Ihr Fazit: Entweder spricht
der Habitus klar gegen
ein Artefakt, oder es bleiben entscheidende
Fragen offen: zur Patinierung oder zur Homogenität der
Retuschen, zur Qualität der Arbeitskante oder zu den
Abbauwinkeln.
Bezeichnenderweise geht BRANDT auf die Expertisen nicht ein; die Funde
tauchen unverändert in der Neuauflage auf. Lieber beruft er
sich auf Autodidakten des (vor-) letzten Jahrhunderts wie auf den
Physiologen Max VERWORN. Sie lebten in einer Zeit, als die Beurteilung
von Steinwerkzeugen mehr mit Vermutung als mit Wissenschaft zu tun
hatte. Ferner verweist er auf einen "seit vielen Jahren
forschenden und publizierenden Spezialisten" (S. 518).
Angeblich stufte dieser vorbehaltlos und ohne Kenntnis der
Fundumstände mehrere Eolithen als Artefakte ein.
Dass BRANDT
diesen Spezialisten nicht namentlich nennen darf, spricht
Bände.
Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang BRANDTs Aussage zu den
Kriterien für die Anerkennung modifizierter Steine als
Artefakte: Unter "nichtberuflich Sammelnden und
Forschenden" bestehe "längst nicht solch
eine Uneinigkeit" wie unter "hauptberuflich
arbeitenden Archäologen" (S. 519). So ist es, und es
ist nicht anders zu erwarten.
Auch Brandts
"bessere" Funde und Fotografien beweisen nichts
BRANDT (S. 518) behauptet, "eine große Anzahl von
Zeichnungen und Fotos" sei "aussagekräftig
genug, um sich von der Artefaktnatur vieler Stücke
überzeugen zu können". "Kenner
der Materie" (die es bezeichnenderweise vorziehen anonym zu
bleiben) würden dies "unabhängig
bestätigen". Es gelte "die Regel, dass die
weniger eindrucksvollen Eolithen die eindrucksvollen
Fundstücke nicht entkräften". Sehen wir uns
also anhand vermeintlich eindrucksvollerer Funde (S. 520ff.) an, ob sie
auch moderne Fachleute überzeugen, die namentlich für
ihr Urteil einstehen (Abb. 1–3).
Abb. 1 Ein
angeblich "Pliozänes Werkzeug
(Schaber) vom Kent-Plateau"
Der Steinzeitexperte Dr.
Günter LANDECK, der alle Fotos in der von BRANDT
bereitgestellten Auflösung untersuchte, bemerkt zu dem Fund in
Abb. 1 (E-Mail vom 09.02.2021):
"In
den Seitenansichten (90° gedreht) sieht man, dass die Retuschen
nicht komplett und mehrzeitig
'beschädigt' sind. Die vielleicht zunächst als
Ventralseite eines mutmaßlichen Abschlags interpretierbare
konvexe Spaltfläche (die ohne Kortextanteile, unterste
Teilansicht) lässt eine Schlagfläche samt Bulbus
vermissen und könnte auch als Frostscherbe interpretierbar
sein."
Nicht besser ist es um den in Abb.
2 dargestellten Fund bestellt:
"Die
mutmaßliche Ventralfläche des als Abschlag
interpretierten Stückes trägt eine andere Patina als
die Retuschenflächen, kann somit nicht zeitgleich sein, und
auch der generellen Ansprache als Abschlag kann ich persönlich
nicht folgen. Inwieweit der Abrasionsgrad bzw. die Patina der
Retuschenflächen gleich ist, kann aus dem Bildmaterial nicht
genau entschieden werden. So steil retuschierte Stücke gibt es
im Paläolithikum, aber auch bei Geofakten" (G. LANDECK, E-Mail
vom 04.02.2021).
Abb. 2 Spitzschaber
nach VERWORN. Angeblich ein "deutliches Beispiel einer
Handanpassung", mit "Gebrauchsspuren" und
durch "zahlreiche gleichgerichtete Schläge zum
Schaben bearbeitet".
Zur Erläuterung: Da die Bildung einer ausgeprägten
Patina 4.000 bis 8.000 Jahre benötigt, sind große
Unterschiede in der Entstehungszeit des Abschlags und der Retuschen
belegt. In dem Fall scheidet ein artifizieller Ursprung mit hoher
Wahrscheinlichkeit aus (GILLESPIE et al. 2004, S. 626). Vorstellbar
wäre zwar eine erheblich
zeitversetzte Bearbeitung des
Stücks. Doch die Annahme, dass unzählige
Abschläge präpariert, weggeworfen, Jahrtausende
später aufgegriffen und (erneut) retuschiert worden sein
sollen, ist angesichts des unerschöpflichen Vorrats an
Feuerstein sehr unplausibel. Die Beweiskraft solcher Funde "wird
(bedenkt man die Fundumstände / fehlende
stützende anthropogene Aktivitätsbelege)
natürlich damit immer schwieriger" (G. LANDECK,
04.02.21).
Etwas mehr Glück scheint BRANDT mit dem in Abb. 3
dargestellten Fund zu haben:[5]
"Falls
die der
Cortexseite gegenüberliegende Fläche die gleiche
Patina wie
die Retuschenfläche hat, könnte das Stück
als
intentionell retuschierter Cortexabschlag (z. B. durch bipolare
Technik, sur enclume)
interpretierbar sein" (G. LANDECK, 04.02.2021).
Abb. 3
Vermeintlicher pliozäner "Querschaber oder eine
gedrungene Spitze von Ipswich aus einem Abschlag mit gut sichtbarem
Bulbus auf der glatten Vorderseite unten links."
Das heißt: Der Fund ähnelt einem Stück, das
aus einem Kiesel entstand, der zwischen Hammer- und Amboss-Stein in
zwei Teile gespalten wurde (bipolare Technik). Allerdings
müssten die angeblichen Retuschen an den Kanten die gleiche
Patina aufweisen wie die vermeintliche Innenseite des Kiesels. Das ist
aus dem Bild nicht ersichtlich.
So oder so: "Könnte interpretierbar sein"
bedeutet nicht,
dass der Artefaktstatus als gesichert oder auch nur als
plausibel gilt. Seriöse Gutachter halten sich mit dezidierten
Urteilen zurück, da sie wissen, dass erst der Fundkontext den
Stücken Bedeutung verleiht.
Die Selektion
von "Elitestücken" ist irreführend
Ein wichtiger Einwand gegen die wenigen der von BRANDT vorgestellten
"Elitestücke": Sie wurden sorgsam aus sehr
heterogenem Fundgut selektiert. Das stellt ihren
Beweiswert infrage, da
die nicht repräsentativen Einzelstücke nur eine
kleine Teilmenge innerhalb der abgestuft artefaktähnlichen
Gesteinstrümmer bilden. BRANDT erwidert:
"Es
gibt bis heute keinen Anhalt dafür, dass man aus
natürlich gebrochenen Steinansammlungen 'beste'
Stücke auswählen und zu
Kollektionen zusammenstellen kann, die altpaläolithischen
Inventaren gleichen…" (S. 522).
Das entbehrt jeder Grundlage, wie die norddeutschen Eolithen beweisen:
Das Fundgut zeigt ein Spektrum abgestuft artefaktähnlicher
Funde,
wobei ein kleiner Prozentsatz von Stücken mit
größter
Artefaktähnlichkeit kontinuierlich zu Naturtrümmern
führt (s. Tab. 1). Exakt
das erwarten Archäologen in
einem
natürlichen Ensemble. Wer daraus nur die
"Elitestücke" präsentiert,
suggeriert dagegen,
das Fundgut wäre einheitlich und artifiziell.
BRANDT (S. 519) legt nahe, ADRIANs Funde seien weniger
artefaktähnlich als diverse tertiäre Eolithen. Doch
das Problem bleibt: Er konzentriert sich auf die "besten"
Stücke und muss im
Formen-Kontinuum nach subjektiver
Einschätzung (die
abhängig vom Maßstab des Betrachters ist) eine
Grenze zwischen Naturbruch und Artefakt ziehen:
"Bei
großem Maßstab sind alle Stücke Artefakte,
bei kleinem Maßstab alle Naturbruch und zwischen diesen
beiden Extremen erstreckt sich eine Flut von mehr oder weniger
gemäßigten Auffassungen … Die Diskussion
dieser Extreme und Auffassungen fortzuführen, erscheint
'unproduktiv' … Problematica sind und
bleiben Problematica und aus Pseudowerkzeugen kann nur eine
Pseudowissenschaft erstehen" (LIEBERMANN & PASDA 2014, S.
456).
Fazit
BRANDT gelingt es auch in der 2. Auflage nicht,
den Artefakt-Status der Eolithen zu belegen. Die Einwände
gegen seine Argumentation kann er nicht ausräumen. Wo sie sein
Weltbild gefährden, ignoriert der Autor alle Argumente. Fassen
wir zusammen:
• Schlagmerkmale und Formen allein erlauben es nicht,
primitive Steinwerkzeuge von Naturbruch sicher zu unterscheiden. Es ist
seit Jahrzehnten erwiesen, dass Geofakte (Naturbruchstücke),
die wie einfache Schaber, Kratzer, Bohrer usw. aussehen, mancherorts
lokal gedrängt auf natürliche Weise entstanden.
Aufgrund der Fundsituation lässt sich deren
natürliche Herkunft nicht vernünftig anzweifeln.
• An einigen Fundorten gibt es unmerkliche
Übergänge von Eolithen bis zu Steinen mit
natürlich aussehenden Absplitterungen. Durch die Selektion der
"besten" Eolithen werden diese
Übergänge verschleiert.
• Unter BRANDTs Belegexemplaren sind zahlreiche, die nur
teilweise artefaktähnlich sind und deshalb für
menschliche Herstellung nicht infrage kommen. Zudem ist der
größte Teil der Fotografien und Zeichnungen nicht
aussagekräftig.
• Klassische Werkzeugtypen mit ausgedehnter
Flächenbearbeitung wie Faustkeile, Blatt- und Stielspitzen
usw., die eindeutig als Artefakte eingestuft würden, sind
unter den Eolithen nie vertreten. Und es gibt keinen Fundort, an dem
Eolithen in einer intakten Kulturschicht vorkommen.
• Steinartefakte aus dem späten Miozän und
Pliozän wären nicht zwangsläufig ein Problem
für die Evolutionstheorie. Auch wenn BRANDT (S. 459 bis 479)
dies bestreitet, er kann nicht ausschließen, dass jene
frühen Homo-Vorfahren, die damals Europa besiedelten, als
Erzeuger primitiver Steinwerkzeuge infrage kämen.
• Selbst, wenn alle Eolithen Artefakte wären,
würde dies kein kurzes Erdenalter belegen. BRANDT
benötigt diesen Schluss lediglich zur Stütze seines
bibelfundamentalistischen Weltbilds. Dazu muss er unausgesprochen einen
Großteil wohlbestätigter Erkenntnisse aus Geologie,
Archäologie, Paläanthropologie und Kernphysik
verwerfen. Dies ist ein Kennzeichen von
Pseudowissenschaft.
Literatur
ADRIAN, W. (1948) Die Frage der norddeutschen Eolithen. Paderborn.
FREUND, G. (1951) W. Adrian: Die Frage der norddeutschen Eolithen.
Quartär, Internationales Jahrbuch zur Erforschung des
Eiszeitalters u. der Steinzeit 5, S. 156–159.
GILLESPIE, J. D. et al. (2004) Distinguishing between naturally and
culturally flaked cobbles: A test case from Alberta, Canada.
Geoarchaeology 19, S. 615–633.
LIEBERMANN, C. & PASDA, C. (2014) Silexfunde aus dem
Mittelpleistozän von Bilzingsleben (Lkr. Sömmerda).
Archäologisches Korrespondenzblatt 44, S. 443–462.
PASDA, C. (2012) A study of rocks and flints from Bilzingsleben - Eine
Untersuchung von Steinen und Feuersteinen aus Bilzingsleben.
Quartär 59, S. 7–46.
[2]
PASDA (2012) konnte zeigen, dass aus der
pleistozänen
Fundstelle Bilzingsleben (assoziiert mit Homo erectus und
ca. 300.000
Jahre alt) ohne Berücksichtigung des Fundkontexts nur wenige
Artefakte objektiv als solche bestimmbar wären.
[3]
Nebenbei: BRANDT irrt, wenn er behauptet, Funde mit alternierenden
(wechselnden) Kantenretuschen würden ADRIAN "widerlegen" (S.
521). Er scheint völlig
zu übersehen, dass ADRIAN (1948, S. 103f.) die Bildung der
"alternierenden Retuschen" als "Ausnahmen
von der Regel" explizit erwähnt. Im Übrigen
ignoriert BRANDT, dass die "spekulativen
Behauptungen" das Ergebnis sorgfältiger
Untersuchungen sind.
[4] Zum
Verständnis: Abschläge sind Bruchstücke, die
der Mensch
von Feuersteinknollen oder vorbereiteten Kernen abtrennt. Wo der Schlag
ansetzt, bleibt eine kegelförmige Erhebung (der Bulbus)
zurück, und die Schlagfläche ist in der Regel eben.
Die
Abschläge oder Klingen, die als Werkzeuge dienen, werden
weiterbearbeitet (retuschiert), die Arbeitskanten begradigt. Die durch
Abschlagen gleichzeitig freigelegter Flächen weisen eine
gleichartige Patina auf, die während der Lagerung entsteht.
Die
verwitterte Außenseite der Feuersteinknolle
("Rinde"), bleibt bei primitiven Werkzeugen unter
Umständen auf einer Fläche erhalten. Alle
für die
Beurteilung wesentlichen Eigenschaften ergeben den Habitus eines Funds..