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Kommentar

Corona und Kreationismus: Fundamentalisten und Populisten Hand in Hand

Ein Kommentar von Hansjörg Hemminger


Querdenker-Szene

In der gegenwärtigen Pandemie nehmen die Aktivitäten von Corona-Leugnern und Impfgegnern in der öffentlichen Diskussion viel Raum ein – zu viel, wie manche meinen. Nun bekommen die sogenannten Querdenker, nicht ganz unerwartet, Schützenhilfe von Evolutionskritikern. Dafür greifen sie einen von Corman, Drosten und anderen im Januar 2020 publizierten Nachweistest auf das SARS-CoV-2 Virus an, das COVID-19 verursacht. Es handelt sich um den sogenannten Corman-Drosten-PCR. Er wurde, wie üblich, im Labor entwickelt und in einem englischen Fachjournal publiziert.4) Das Kürzel "PCR" steht für Polymerase-Kettenreaktion. Genau genommen handelt es sich um eine Diagnose mit Hilfe einer quantitativen Echtzeit-PCR oder qPCR. Diese Methode ist in der Molekularbiologie, mittlerweile auch in der Virusdiagnostik gängig.

In den sozialen Medien kursiert nun eine ebenfalls englischsprachige Kritik an dem Test mit dem Hauptautor Peter Borger auf einer eigenen Webseite.3) Nennen wir sie den Borger-Text. Er behauptet, die Drosten-PCR hätte "schwerste Mängel" und sei deshalb unbrauchbar. Zwanzig Mal bezichtigen die 22 Autorinnen und Autoren Corman-Drosten übler Fehler ("flaws", "blemishes", " inadequacies", "blatant errors") und bezeichnen das Design des Tests als unwissenschaftlich ("severe / scientific design errors"). Solche Vorwürfe würden, träfen sie zu, den Test und seine Entwickler wissenschaftlich diskreditieren. In Wirklichkeit wurde die Drosten-PCR seit ihrer Publikation Anfang 2020 von zahlreichen Fachleuten beurteilt und weiterentwickelt. Die Plattform Google Scholar weist knapp 3.000 wissenschaftliche Zitierungen (Stand 20.01.2021) aus, darunter Vergleiche verschiedener PCR-Tests. Es ist kaum anzunehmen, dass es unentdeckt geblieben wäre, wäre der Drosten-PCR wissenschaftlicher Murks und würde nicht funktionieren. Eine hervorragende Besprechung, in der detailliert die Fehler von Borger et al. abgehandelt werden, hat Michael Kubi auf der Video-Plattform Youtube eingestellt.5)

Wie kommen die 22 Autorinnen und Autoren des Borger-Texts dazu, den Test öffentlich anzugreifen, und das in einem Internet-Text, der bisher nicht in einem Fachjournal publiziert oder von Experten diskutiert wurde? Warum glauben unter anderem ein Allgemeinmediziner, ein CEO einer Pharmafirma und ein Sozialwissenschaftler, sie könnten besser Virologie als ausgewiesene Spezialisten? Dahinter können keine wissenschaftlichen oder auch nur vernünftigen Motive stehen. Natürlich: Zweifel sind immer erlaubt! Wie also würde man normalerweise prüfen, ob die Corman-Drosten-PCR misst, was sie messen soll? Man könnte zum Beispiel eine hinreichend große Stichprobe von Nicht-Infizierten testen, um zu untersuchen, ob er falsch-positive Ergebnisse liefert. Eine Kontrollgruppe aus Infizierten müsste ebenfalls getestet werden; Antikörperuntersuchungen könnten die jeweiligen Gruppen ausweisen.

Eine Reihe anderer Möglichkeiten sind denkbar, alle setzen allerdings Laborarbeit voraus. Der Borger-Text hat nichts dergleichen aufzuweisen. Es gibt keine Laborforschung, keine eigenen Testergebnisse, nichts. Seine Kritik an der Corman-Drosten-PCR ist rein theoretisch. Dazu fällt auf, dass sich unter den 22 Autorinnen und Autoren um den Genetiker Peter Borger nur ein einziger Virologe befindet: der emeritierte Prof. Dr. Ohashi, der jedoch niemals an Corona forschte. Ansonsten besteht das Team aus fachfremden Personen, vom Allgemeinmediziner und Radiologen bis zum Sozialwissenschaftler und (das ist kein Scherz!) 3D-Künstler. Niemand aus dem Team hat, soweit ersichtlich, mit qPCR Forschungserfahrung. Entsprechend inkompetent fällt die Kritik am Drosten-PCR aus. Welche – zum Teil anfängerhaften – Fehler der Borger-Text enthält, ist in einer News detailliert nachzulesen.

Wer jedes Argument nachprüfen möchte, findet den analysierten Borger-Text unter [1] sowie eine noch ausführliche Kommentierung in Deutsch und Englisch unter [2].

Hier nur eine kurze Vorschau: Die Kritikpunkte 1, 2 und 4 des Borger-Texts beziehen sich auf das Design der sogenannten Primer und Sonden (kurze Ketten aus Nukleotiden, die für die qPCR-Vervielfältigung der gesuchten Zielfragmente im Virusgenom wichtig sind), auf deren Konzentrationen und auf den Temperaturbereich, in dem der qPCR-Prozess abläuft. Die Punkte sind teils unwichtig, teils völlig daneben.

Punkt 3 führt korrekt aus, dass der Test Virusbruchstücke nicht von kompletten Viren unterscheidet, verschweigt aber, dass das für die Richtigkeit der Diagnose keine Rolle spielt. So unsachlich und polemisch geht es bis Punkt 10 weiter. In der Summe ist die Behauptung abwegig, der Corman-Drosten-PCR habe "schwerste Mängel", die während der mittlerweile 3/4jährigen Anwendung des Tests weltweit keinem Experten aufgefallen seien. Dass es 22 teilweise oder ganz fachfremden Autoren gelungen sei, solche Mängel zu finden, ohne das qPCR-System ein einziges Mal im Labor getestet zu haben, ist ebenso absurd.

Über die Beweggründe für die Kritik erfährt man aus dem Borger-Text selbst nichts. Es liegt aber auf der Hand, wem der Text nützt: Wenn bereits der erste Standardtest auf SARS-CoV-2 nichts taugte, aber Tausende Experten (die viel mehr von Virologie verstehen als das Borger-Team) dies verschweigen, liegt der Schluss nahe, dass dahinter eine Verschwörung steckt. Zumindest wird dieser Schluss im Milieu der Querdenker – und darüber hinaus – gezogen werden, ob die Autorinnen und Autoren das wollen oder nicht. Wer immer behauptet, dass COVID-19 nicht so gefährlich sei, wie die Experten sagen, oder dass das Virus gar nicht existiere, oder dass Impfungen unnötig sind, wird sich vom Borger-Text bestätigt fühlen. Genau zu diesem Zweck wird er in den sozialen Medien flächendeckend gestreut.

Nun ist Peter Borger Kreationist und bei der Studiengemeinschaft Wort und Wissen beschäftigt. Deren Vorsitzender, der Radiologe Henrik Ullrich, gehört ebenfalls zu seinem Team. Hauptanliegen der Stiftung war bisher der Kampf gegen die biologische Evolutionstheorie. Warum schlagen sich Kreationisten mit einem Thema, das nicht das ihre ist, auf die Seite von Impfgegnern, Coronaleugnern und Verschwörungstheoretikern? Die Frage stellt sich nicht nur in diesem Fall, denn man kann seit einiger Zeit beobachten, dass fundamentalistische Christen und Rechtspopulisten näher zusammenrücken. Das zeigt sich u.a. bei den Themen "Klimawandel" und "Migrationspolitik", und in der Anhängerschaft des gestürzten US-Präsidenten Donald Trump. In Europa spielt der protestantische Fundamentalismus, anders als in den USA, im Rechtspopulismus nur eine Nebenrolle. Genau das macht es vermutlich für Kreationisten attraktiv, in der Corona-Krise an die größere Querdenker-Bewegung anzudocken, um öffentliche Aufmerksamkeit zu erhalten.

Mit ihrer Kritik an der Evolutionstheorie ist ihnen das noch nie in diesem Maß gelungen. Außerdem wird damit das Feindbild des Kreationismus gepflegt, nämlich das einer Wissenschaft, die (wie im Fall der Evolutionstheorie) nicht objektiv betrieben wird, sondern im Interesse von Ideologien. Der Borger-Text bedient dieses Feindbild. Er greift nicht nur Vernunft und Wissenschaft an, sondern unterläuft auch eine sachliche Diskussion der Maßnahmen in der Corona-Krise. Was die Wissenschaftler sagen und was die Politik entscheidet, ist ja keineswegs absolut richtig, und die Motive der Akteure sind auch nicht notwendigerweise immer edel. Wenn man ihnen unsachliche Vorwürfe macht, verhindert man sachgerechte Nachfragen. Das können wir uns in der gegenwärtigen Krise am allerwenigsten leisten.

Quellen


Autor: Hansjörg Hemminger

Copyright: AG Evolutionsbiologie