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Neues aus der Forschung

Ein amphibischer Ichthyosaurus-Verwandter fossil belegt

Forscher entdecken eine Land-zu-Meer-Übergangsform der Fischsaurier


Cartorhynchus

Von Ryosuke MOTANI, Paläontologe der University of California, und seinen Koautoren wurde das weitgehend vollständige Fossil eines amphibisch lebenden, frühen Ichthyosaurus beschrieben.1) Der Fund mit der Artbezeichnung Cartorhynchus lenticarpus stammt aus einem Steinbruch nahe Henei (China) und wurde auf ein Alter von 248 Millionen Jahre datiert (untere Trias). Das Reptil verfügte über große Vorderflossen sowie drehbare "Handgelenke" - ein solcher Bau ermöglicht eine kriechende oder watschelnde Fortbewegung auf dem Land, ähnlich wie bei heutigen Robben. Im Leben war das Tier geschätzte 40 cm lang (erhalten sind rund 21 cm einschließlich aller vier Extremitäten) und damit kleiner als alle bekannten Ichthyosaurier. Die bislang beschriebenen waren bereits vollständig an die aquatische Lebensweise angepasst, ein amphibischer Vertreter war bislang nicht bekannt.

Titelbild: Cartorhynchus ist ein triassisches Reptil, welches mit den Vorfahren der Ichthyosaurier verwandt war. Bildquelle: Nobu Tamura, http://spinops.blogspot.com/, Cartorhynchus NT, CC BY-SA 4.0.

Was sind Ichthyosaurier?

Die Ichthyosaurier (bzw. Ichthyopterygia) werden populär als Fischechsen bezeichnet. Sie nahmen über 150 Millionen Jahre lang, also von vor ca. 240 Mio. Jahren bis zu ihrem Aussterben vor 93 Mio. Jahren in der oberen Kreide, in etwa diejenigen ökologischen Nischen in den Weltmeeren ein, die heute von Zahnwalen besetzt werden. Die frühesten Vertreter aus der unteren Trias (z.B. der mit Cartorhynchus fast zeitgleiche Utatsusaurus, der vor rund 245 Mio. Jahren lebte) hatten noch einen echsenartig langgestreckten Körperbau, waren aber nicht mehr imstande, sich auf festem Land zu bewegen. Erst in der mittleren Trias vor ca. 220 Mio. Jahren entstand der bekannte, fischähnliche Habitus der späteren Ichthyosaurier. Ihre stammesgeschichtliche Herkunft ist bis heute nicht völlig klar. Allerdings steht fest, dass sie zu den Diapsida gehören, einer der Großgruppen der Reptilien. Sie sind aber weder mit den ebenfalls zu den Diapsida gehörigen anderen Meeresreptilien des Erdmittelalters (Plesiosaurier: vor ca. 220 - 65 Mio. Jahren, Mosasaurier: vor ca. 100 - 65 Mio. Jahren) noch mit den Dinosauriern und den heute lebenden Reptilien näher verwandt sind. Sie müssen sich früh abgespalten haben und sind damit eine Schwestergruppe aller anderen Diapsida.

MOTANI et al. (2014) schlagen vor, für Cartorhynchus und die eigentlichen Ichthyosaurier ein gemeinsames Taxon Ichthyosauriformes einzuführen, so dass Cartorhynchus und evt. Verwandte eine nahe verwandte Schwestergruppe zu den Ichthyopterygia bilden würden. Dieser Vorschlag wird im Internet kontrovers, aber überwiegend positiv diskutiert.2) Im übrigen ist eine solche taxonomische Debatte typisch für das Problem, Formen systematisch einzuordnen, die einen teilweisen, aber noch nicht weitgehenden, Übergang von ursprünglichen Merkmalen einer Gruppe (Plesiomorphien) zu den Innovationen (Apomorphien) zeigen, die ein neues Taxon kennzeichnen. Es lässt sich vermuten, dass es in der unteren Trias einige mit den späteren Ichthyosauriern mehr oder weniger verwandte, bereits amphibisch lebende Gruppen von Reptilien gab, und dass Carthorhynchus dem letzten gemeinsamen Vorfahren mit den Ichthyopterigia aus diesem Formenfeld sehr nahe stand.

Taxonomie und Formenübergänge

Wie solche Sachverhalte taxonomisch gefasst werden, verschiebt sich erfahrungsgemäß durch weitere Funde, denn das Ganze ist mit einer gewissen Willkür verbunden: Der Evolutionsprozess ist derart kleinschrittig, dass er "aus der Ferne betrachtet" (also aus der heutigen, wissenschaftlichen, beschreibenden Perspektive) ein Kontinuum darstellt. Daher sind alle taxonomischen Unterteilungen, die wir vornehmen, von Menschen definierte Schnitte in einer bruchlosen Abfolge. Diese oder jene taxonomische Einordnung ändert jedoch nichts an dem Kontinuum zwischen ursprünglichen und abgeleiteten Merkmalen, in diesem Fall von der amphibischen zur rein aquatischen Lebensweise, das durch Cartorhynchus fossil belegt wird. Die wachsende Zahl ähnlicher, evolutionär basaler Übergangsformen im Fossilbericht ist für den Kreationismus ein immer größer werdendes Problem.

Während früher das (angebliche oder tatsächliche) Fehlen solcher "missing links" ein Standardargument kreationistischer Evolutionskritik lieferte, wird von den meisten Kreationisten davon vorsichtiger oder auch nicht mehr gesprochen. In der Wissenschaft spricht man eher von vermittelnden Mosaik-Formen als "connecting links". Ein Beispiel sind die Wale, in deren Stammesgeschichte lange Zeit ebenfalls ein früher, amphibischer Vertreter fehlte. Inzwischen gibt es für sie (Pakicetus, Ambulocetus u.a.) eine eindrucksvolle, morphologische Sequenz, die den Übergang früher Paarhufer zum Leben in Wasser demonstriert. Ein anderes Beispiel sind die Schildkröten, deren Panzerung von "Wort und Wissen" vor Jahren noch als "irreduzibel komplex" betrachtet wurde. Inzwischen wurden jedoch – durchaus funktionale – Teilpanzerungen dieser Reptilien aus der oberen Trias bekannt.3) Wo es noch stammesgeschichtliche Lücken gibt, wie bei der Entstehung des Fledermausflugs4), könnte es in Zukunft ähnlich relevante Funde geben. Auch dem kleinen Ichthyosaurier-Verwandten aus China werden vermutlich weitere Funde zur Evolution der Fischechsen folgen.

Literatur

Autor: Hansjörg Hemminger

Copyright: AG Evolutionsbiologie