Wissenschaft und Naturalismus aus Sicht der SG Wort
und Wissen
Struktur
und Stereotypen einer verfehlten Argumentation
In
der
Ausgabe des "Materialdienstes" der EZW (8/2014)
veröffentlichten Hansjörg HEMMINGER und ich eine
kritische Analyse zu den Positionen der kreationistischen
Studiengemeinschaft WORT UND WISSEN (W+W), in der wir den Vorwurf der
Unwissenschaftlichkeit gegen sie erheben (HEMMINGER 2014; NEUKAMM
2014a). Darin wird erörtert, warum nichtnaturalistische
Ursprungsszenarien nicht mit dem Anspruch auf Geltung
vertreten werden können und warum der Kreationismus die
empirisch-wissenschaftliche "Methode" ad absurdum
führt. Einige
Wochen später erschien eine Antwort des Leitungskreises von
W+W (WORT UND WISSEN 2014; JUNKER & ULLRICH 2014). In dieser
Erwiderung wird die Argumentation zurückgewiesen und
behauptet, wir würden mit Zerrbildern und absurden
Unterstellungen arbeiten sowie die Position von W+W-Autoren nicht
"annähernd korrekt" wiedergeben. Da W+W in
verschiedenen Texten üppig von solchen Stereotypen Gebrauch
macht, soll hier einmal im Detail untersucht werden, welcher Techniken
sie sich
bedient, um begründete Kritik an ihrer Weltanschauung
abzuwehren.
Im Folgenden werde ich anhand von
Beispielen nachweisen, dass W+W mit rhetorischen Stilmitteln arbeitet,
um Reflexionen, die ihr Weltbild begründet infrage stellen,
als
unangemessen
zurückzuweisen. Ihre Einwände beruhen teils auf
semantischen Verschiebungen, etwa auf einer sinnwidrigen Auffassung
darüber, was man in der Wissenschaft unter "Ergebnisoffenheit"
versteht,
dringen oft nicht bis zum Argument vor oder thematisieren
diskussionsferne Aspekte, die nicht zur Kritik passen. Dem
Vorwurf,
Strohmannargumente zu kritisieren, muss sich die Studiengemeinschaft
selber stellen. Des Weiteren bedient sie sich definitorischer
Tricks, um den Eindruck zu
erwecken, man sei in den wichtigen Fragen der Evolution bis
heute keinen
Schritt weiter gekommen: So werden essentielle Teilschritte der
Evolution, die
man heute schon recht gut
erklären kann, kurzerhand als "unwesentlich"
deklariert
usw.
(siehe Abschnitt 6: Entstehung des Lebens).
1. Ein
beliebter Strohmann: Die apodiktische Festlegung auf den Naturalismus
W+W versucht, die "apodiktische" Vorfestlegung auf den Naturalismus als
erkenntnishemmend darzustellen. Sie werfen mir vor, mit dem
Naturalismus eine solche Vorfestlegung (den "grundsätzlichen
Ausschluss der Antwortoption Schöpfung") getroffen zu haben
und machen deutlich, dass eine Schöpfung, sollte es sie
gegeben haben, unter diesen Voraussetzungen nicht erkannt
würde. Dies sei mit dem von mir genannten Ziel der
Naturwissenschaften, nämlich der "freien Suche nach Wahrheit",
unvereinbar. Leider wird der Naturalismus, den ich –
stellvertretend für die moderne Wissenschaft –
referiere, vom W+W-Leitungskreis krass fehlinterpretiert und kritisiert
daher Positionen, die niemand vertritt. Zur
Begründung im
Einzelnen:
W+W bezieht sich auf eine Aussage des Philosophen Thomas NAGEL, um sie
gegen die Argumentation NEUKAMMs zu verwenden:
"Dass
es wissenschaftliche Hinweise für geistige Verursachung,
sprich Schöpfung geben kann [!], stellt auch der atheistische
Philosoph Thomas Nagel fest. Der apodiktische Ausschluss der Option
‚geistige Verursachung‘ bedeutet für Nagel
eine nicht zu rechtfertigende Festlegung auf den Naturalismus."
Aus meinem Text kann man einiges herauslesen, aber nicht den
"apodiktischen Ausschluss" der Option "geistige Verursachung".
Würden z. B. durch reine Gedankenkraft Dinge verschoben oder
allein durch das Wort neue Arten aus dem Nichts erschaffen werden,
wäre "geistige Verursachung" ohne Zweifel eine respektable
physikalische Kraft im Universum. Freilich gibt es bislang kein
glaubwürdig dokumentiertes, geschweige denn reproduzierbares
Beispiel für solche Wirkursachen. Zudem beschreibe ich drei
mögliche Szenarien, die bestimmte Varianten des
intelligenten
Designs empirisch-wissenschaftlich untermauern würden. Warum
unterschlägt W+W das? Nur durch diese Unterlassung gelingt es
dieser Studiengemeinschaft, den falschen Eindruck zu erwecken:
"Neukamm
legt sich… auf den Naturalismus als
Wahrheitskriterium für alle Wissenschaften fest und
schließt Erklärungen durch Schöpfung
methodisch und inhaltlich prinzipiell aus."
Weder ist der Naturalismus ein "Wahrheitskriterium" (da er scheitern
kann, s.u.), noch wird der inhaltlich
prinzipiellen Ausschluss von
Schöpfung gefordert. Beides sind beliebte Strohmannargumente,
denn es
geht immer nur um das Einfordern von
Belegen und intersubjektiv nachvollziehbaren Begründungen,
also um Evidenz.
Postuliert man
die Existenz
wundersamer Faktoren einfach, ohne einen
Wirkmechanismus zu kennen, ohne eine ordentliche Theorie des
Übernatürlichen vorstellen zu
können und ohne eine
objektive
(kausal-gesetzesmäßige) Grenze für die
postulierten Wirkungen angegeben zu können, wird es
unmöglich, gute Gründe für deren Existenz zu
nennen; es bleibt im Bereich des Fiktiven, des Willkürlichen.
Alles, was gefordert wird, sind Kriterien wie objektive
Nachvollziehbarkeit, semantische Klarheit, Kohärenz und
Erklärungskraft,
aber solche Kriterien sind bei transnaturalen Faktoren gerade nicht
erfüllt. [1]
Paradebeispiele dafür sind der anonyme "Designer" der
ID-Anhänger und der Designer-Gott der Kreationisten: Unter Voraussetzung solcher
Faktoren, die so unbekannt und unerforschlich sind wie ihre
Eigenschaften, Wirkmechanismen und Zwänge, kann man keinerlei
Vorhersagen über die Beschaffenheit der belebten Natur treffen
(vgl. dazu auch HEILIG 2011). Zwar lässt sich im Nachhinein
beliebig darüber spekulieren, was sich der Designer bei dieser
oder jener Struktur wohl "gedacht" haben mag, aber solche Spekulationen
sind genau dies: beliebig, subjektiv und nicht unabhängig von
jenem Schöpfungsszenario überprüfbar, das ja
gerade begründet werden soll. Die Hypothese von der Existenz
solcher Designer ist demnach objektiv unbegründet. Zudem
erklären solche wundersamen Wirkungen nichts, denn nur etwas,
das differenziert
erklärt, hat Erklärungskraft. Ein "intelligentes
Design" kann man aber zur "Erklärung" von allem heranziehen;
es erklärt also nicht spezifisch das, was es erklären
soll (vgl. VOLLMER 1995, MAHNER 2003, SUKOPP 2006, NEUKAMM 2007a).
Ein Beispiel: Mutationen (z. B. Genduplikation, Punktmutationen,
DNA-Shuffling usw.) bewirken die Vermehrung und Veränderung
genetischen Materials. Geht man davon aus, dass auf diese Weise neue
Gene entstanden sind und verknüpft man das Wissen
über diese Mechanismen mit der Darwinschen Abstammungstheorie,
lässt sich z. B. das Phänomen der Paralogie
(Sequenzähnlichkeit von Genen mit unterschiedlicher Funktion
in einem Organismus) vorhersagen (Abb. 1).
Abb. 1 Schema einer kausalen evolutionären (DN-)
Erklärung. Die DARWINsche Abstammungstheorie,
verknüpft mit dem Wissen über die Mechanismen der
Vererbung, Genduplikation und Genmutation sowie der Selektion, bilden
den erklärenden "Rahmen" und erlauben es, prüfbare
Folgerungen abzuleiten, die sich bestätigen lassen.
Leugnet man dagegen den kausalen Zusammenhang zwischen den
evolutionären Mechanismen
und der Existenz paraloger Gene und verweist auf ein nicht
näher
spezifiziertes Design, wird eine konkrete Vorhersage
bzw. Erklärung unmöglich. Die Evolutionsgegner heben
die
kausale Erklärung aus den Angeln, selbst wenn sie die
Abstammungstheorie anerkennen sollten (Abb. 2).
Abb. 2
Da es sich bei
dem "Designer" und seiner Vorgehensweise um
völlig
unbekannte und unerforschliche Faktoren handelt, lässt sich
für das Wirken des Designers keine objektive Grenze angeben.
Folglich ist selbst dann keine spezifische, kausale
Erklärung mehr möglich, wenn die DARWINsche
Abstammungstheorie akzeptiert würde.
Der Naturalismus
ist also unabdingbar für die
wissenschaftliche Theorienbildung und für die Struktur
gültiger Schlussfolgerungen. Letztere wiederum
setzt zumindest
eine Spezifikation
des hypothetischen Designers unter Voraussetzung
plausibler Zusatzannahmen voraus (NEUKAMM 2014b). Ist eine derartige
Spezifikation vorgenommen, lässt sich auch die
Plausibilität seiner Existenzhypothese evaluieren. Zum
Beispiel ist die Hypothese eines menschenähnlichen
Konstrukteurs vollkommen unplausibel, wenn damit die Herkunft von etwas
erklärt werden soll, das bereits zu einer Zeit existierte, als
es auf der Erde noch keinerlei menschenähnliche Industrien
gab. Würden wir hingegen potenzielle Akteure finden, die in
den Zeitrahmen passen, wäre der Schluss auf einen solchen
Designer durchaus glaubwürdig, wie Beispiele aus der
Archäologie zeigen.
Allerdings hilft den Evolutionsgegnern ein solcher innerweltlicher
Designer nicht weiter, wenn es um die Entstehung des Lebens geht,
"…
denn als solcher unterläge er dem Regress und
würde echte (d.h. mechanismische) Erklärungen nur
weiter nach hinten schieben. Würde ID, um den Regress
abzubrechen, tatsächlich an einer Stelle eine
Erklärung für die Entstehung innerweltlicher Planer
akzeptieren, die von ungelenkten materiellen Prozessen bzw. Mechanismen
Gebrauch macht, dann wäre das Unternehmen ID von vornherein
überflüssig, weil der Verweis auf einen intelligenten
Designer stets nur ein explanatorischer Zwischenschritt wäre,
dessen Funktion allein darin bestünde, unsere Suche nach
echten Erklärungen nicht vorschnell abzubrechen." (MAHNER
2007a).
Auf der W+W-Website werden einige Unterstellungen konkretisiert, die
durch aus dem Zusammenhang gerissene Zitate belegt werden sollen
(JUNKER & ULLRICH 2014). So liest man dort beispielsweise:
"M.
Neukamm setzt fälschlicherweise den Gegenstand von
Naturwissenschaft mit dem naturalistischen
Wirklichkeitsverständnis gleich (s. Kasten) und legt sich auf
den Naturalismus als einzig legitimen Erkenntniszugang für
jegliche Ursprungsforschung fest, während er (als bekennender
Atheist) die Bezugnahme auf einen Schöpfer als
"willkürliche Fantasie" betrachtet. Mit dem
grundsätzlichen Ausschluss der Antwortoption
"Schöpfung" gibt Neukamm aber das Grundprinzip
wissenschaftlichen Arbeitens auf: Die ergebnisoffene Suche nach der
Wahrheit."
Man fragt sich unweigerlich, was meine Überzeugung
als Atheist mit der Zurückweisung des supranaturalistischen
Wirklichkeitsverständnisses zu tun haben soll, wenn doch vor
allem auch zahlreiche Christen,
die als solche gar kein atheistisches
Weltbild vertreten, den von mir beschriebenen Begründungen bis
ins Detail folgen: Aus Sicht des Theologen Christoph HEILIG - um mal
nur ein einziges Beispiel zu nennen - ist
eine wissenschaftliche Design-Theorie genauso Illusion, ist die
evolutionsbiologische Fundamentalkritik genauso unhaltbar, ist das
Festhalten an widerlegten biblischen Dogmen wissenschaftlich genauso
fatal wie aus der Perspektive des konsequenten Naturalismus. Es ist
daher offensichtlich, dass die Ablehnung des
Argumentationsgebäudes von W+W nicht primär
naturalistisch motiviert ist, sondern sich auf
wissenschaftstheoretische Überlegungen gründet
– das reflexhafte Kontern mit dem Atheismus-Vorwurf ist also
ein Strohmannargument.
Rätselhaft bleibt auch, was W+W mit der Behauptung zum
Ausdruck bringen möchte, NEUKAMM setze
"fälschlicherweise [sic!] den Gegenstand von Naturwissenschaft
mit dem naturalistischen Wirklichkeitsverständnis gleich" und
lege sich auf den Naturalismus als einzig legitimen Erkenntniszugang
für jegliche Ursprungsforschung fest". Was soll der Gegenstand
von Naturwissenschaft denn anders sein als die Natur – und
damit das naturalistische Wirklichkeitsverständnis,
nämlich die empirisch
fassbaren, kausalen
Zusammenhänge dieser Welt?
Was ist überhaupt die Alternative zum
naturalistischen
Erkenntniszugang? Naturalismus impliziert Gesetzmäßigkeit,
Regelhaftigkeit,
ein kausal
beschreibbares Verhalten der Welt, und dieses wiederum
erlaubt ein
objektives Vorgehen bei der Theorienprüfung. Außerhalb
des Naturalismus angesiedelt wären
lediglich "Erkenntnisquellen" wie Intuition, mystische Schau,
Offenbarung und religiöse Erfahrung. Diese aber entziehen
sich, wie MAHNER (2005) schreibt,
"…
jedweder Überprüfung, ja selbst der
intersubjektiven Nachvollziehbarkeit. Während subjektive
Validierung in den Realwissenschaften grundsätzlich
unakzeptabel ist, ist sie im Bereich des Religiösen gang und
gäbe: der subjektive Glaube – trotz aussichtsloser
Beleglage, innerer Widersprüche oder erdrückender
Widerlegungsinstanzen wie etwa im Bereich des Übels
– stellt einen hoch geschätzten Wert dar. Ein
religiös gläubiger Wissenschaftler muss uns also
erläutern, wie man es fertigbringt, zwei derart
gegenläufige methodologische Wertesysteme widerspruchsfrei zu
vertreten. Offenbar wird im Bereich der Religion, wie Hans Albert schon
vor langem beobachtete, das kritische Denken immer genau dann
abgestellt, wenn man es nicht mehr brauchen kann."
Wer also meint, in der wissenschaftlichen Ursprungsforschung sei noch
ein anderer Erkenntniszugang "legitim" als der des Naturalismus,
müsste erst einmal den Widerspruch auflösen, der sich
ergibt, wenn objektive Bewertungsinstanzen mit subjektiver Validierung
vermischt werden. Oder hat man jemals davon gehört, dass sich irgendein
wissenschaftlicher Forschungsbereich jemals eines anderen
Erkenntniszugangs bedient hätte, als des Naturalismus?
Evidenz ist nicht philosophisch voraussetzungsfrei zu haben: Selbst die
Kreationisten müssen annehmen, dass zumindest
Experimente sowie unser Wahrnehmungsapparat "naturalistisch"
funktionieren, dass also weder Messapparaturen noch
Wahrnehmungsprozesse supranaturalistischen Manipulation unterliegen,
wie etwa der sog. Okkasionalismus annimmt, weil wir sonst keinem
Experiment und keiner Beobachtung mehr trauen könnten.
(Dies ist der sog. "Nicht-Interventionalismus" nach MAHNER, vgl.
Fußnote 8.)
Offenbar haben sie diesbezüglich kein
Berührungsproblem mit dem Naturalismus, weil selbst ihnen klar
sein dürfte, dass die Annahme supranaturalistischer
Beeinflussung unserer Erkenntnisquellen nicht nur unbegründet
wäre, sondern dass dann sämtlichen Daten ihren Status
als Belege verlören und eine rationale Diskussion
über die Strukturen dieser Welt nicht mehr möglich
wäre. Aber sobald es um die Entstehung des Kosmos und seiner
Substrukturen (einschließlich des Lebens) geht, "darf" sich
das Supranaturalistische ungehemmt austoben, ungeachtet der Konsequenz,
dass dann dort rationale Begründungsstrukturen versagen.
Dieser Nicht-Interventionalismus ist also, wie MAHNER zeigt, so
willkürlich wie inkonsequent: Man kann
naturalistisch-ontologische Annahmen wie den Nicht-Interventionalismus
nicht zulassen, wo es einem in den Kram passt, aber immer dann
ablehnen, wenn die Lieblingsideologie durch ihn bedroht wird.
Verwundert reibt man sich die Augen, wenn man liest, dass einem die
Zurückweisung objektiv unbegründeter Weltbilder (den
"Ausschluss der Antwortoption Schöpfung", wie es bei W+W
heißt) gar als Abrücken von der "ergebnisoffenen
Suche nach Wahrheit" ausgelegt wird. Im wissenschaftlichen Sinne "wahr"
können ja
nur Sätze sein, denen plausible Rahmenbedingungen
(Zusatzannahmen) zugrunde liegen, die empirisch bestätigt
sind, Erklärungskraft haben usw. Wenn aber weder
logisch-semantische noch methodologische Kriterien existieren, um einen
Glaubenssatz empirisch abzusichern, dann ist der Begriff der "Wahrheit"
vollkommen sinnfrei. Wenn jemand etwa das Bekenntnis zur medizinischen
Heilkraft von Bachblüten entgegen empirischer Evidenz
für "wahr" hält, dann kann dies nur aufgrund subjektiver
Überzeugung erfolgen. Wie gezeigt, gilt dies auch
für den von W+W bemühten Designer-Gott.
All die hier vorgestellten Argumente sind nicht neu, wurden aber von
W+W
bislang ignoriert. Ich
fürchte, dass ein wichtiger Grund für dieses
Verhalten darin liegt, dass derartige Diskussionen Reflexionen
erfordern, die das Weltbild von W+W infrage stellen. Wie anders ist es
zu erklären, dass W+W die Argumente als "vorurteilsbehaftete
Versatzstücke" des Autors kennzeichnet und völlig
argumentationslos (!) vom Tisch wischt (ohne zu bemerken,
dass es sich
bei diesen "Versatzstücken" um Argumente von
Wissenschaftsphilosophen und Christen gleichermaßen handelt,
die ihre "Vorurteile" argumentativ untermauert haben)?
2. Klare
Indizien für ein Design des Lebens?
JUNKER & ULLRICH
behaupten:
"Ergebnisoffene
Wissenschaft wird diese Option [Schöpfung]
berücksichtigen, zumal es dafür viele klare Indizien
gibt."
Selbstverständlich würde
die ergebnisoffene Wissenschaft Schöpfung
berücksichtigen – wenn es dafür
intersubjektiv nachvollziehbare Gründe gäbe, was
auch in
meinem Beitrag gesagt wird. Es wurde aber auch begründet,
warum diese "klaren Indizien", die
nicht einmal
für alle Christen als
solche erkennbar sind, in Wahrheit keine intersubjektiv
nachvollziehbaren Indizien sind, sondern nur in der Gedankenwelt der
W+W-Studiengemeinschaft existieren.
Unter der Überschrift
"Entstehung des Lebens" bemerken JUNKER &
ULLRICH zu den Millerschen Simulationsexperimenten:
"Man
könnte die
experimentelle Bildung von Aminosäuren genauso gut als Beleg
dafür werten, dass ein Chemiker – oder irgendein
Designer – gezielt Aminosäuren herstellen
kann."
Wie wir noch sehen werden, ist der
Clou beim MILLER-Experiment (und seinen zahllosen Varianten) gerade
der, dass eben kein
spezifisches Wissen, keine
gezielte Steuerung und Beeinflussung der Reaktionsbedingungen im Spiel
sind, sondern dass präbiotische Rahmenbedingungen simuliert werden -
es sich also um das genaue Gegenteil von Design handelt!
Aber nehmen wir einmal an, es
wäre ein Beispiel für "Design":
Ließe sich wirklich
behaupten, es gäbe klare Indizien für eine
Schöpfung, nur weil wir wissen, dass bestimmte
Biomoleküle und irreduzibel komplexe Strukturen von Menschen
erzeugt werden können?
Selbst wenn
wir in keinem einzigen Fall wüssten, wie
Biomoleküle und irreduzibel komplexe Biosysteme evolviert sein
könnten (in der Literatur gibt es zahlreiche Gegenbeispiele
dafür), wäre "Design" nicht mehr als eine spekulative
Denkmöglichkeit. Warum?
Zunächst: Der
Analogieschluss von menschengemachten Artefakten auf "geistig
verursachte" Biosysteme ist schon aufgrund der kategorialen
Verschiedenheit der Objektklassen fragwürdig: Bei
Artefakten
spricht allesgegen
eine Evolution und für
Design, bei
Biosystemen dagegen vieles
für eine Evolution und nichts
für Design. Die "irreduzible Komplexität"
bei Lebewesen ist kein brauchbares Analogon, weil nie gezeigt werden
konnte, dass es die für den Schluss auf "Design" entscheidende
Eigenschaft ist.
Brauchbare Kriterien, an denen man
"Design" (Kunstdinge) von "Naturdingen" unterscheiden kann, sind
Eigenschaften wie Selbstorganisation,
natürlichesWachstum
und Mutabilität.
Kunstdingen fehlen diese Eigenschaften,
insbesondere die Fähigkeit zum Wachstum: Ein Roboter, ganz
gleich wie einfach oder komplex er gebaut sein mag, ist und bleibt als
Artefakt erkennbar, weil dieser niemals ein natürliches
Wachstum durchlaufen und sich auf natürliche
Weise
fortpflanzen kann. Denn Roboter bestehen aus Metallteilen,
Schaltkreisen, Schrauben usw., die man händisch zusammensetzen
muss, sie können also niemals eine Ontogenese durchlaufen. Ein
Lebewesen, ganz gleich wie komplex es ist,
bleibt dagegen immer
als Naturding erkennbar, weil es wächst
und sich auf natürliche Weise fortpflanzt. Im Gegensatz zu
einem Artefakt ist das Lebewesen in jedem Stadium seiner Existenz ein
funktionales, gleichsam "fertiges" Lebewesen. Ein Roboter hingegen kann
immer
nur konstruiert werden oder andere Roboter konstruieren; er ist
erst von dem Moment an funktional ("fertig"), wenn alle Einzelteile zu
einem Roboter zusammengesetzt wurden.
Merke:
Tote Dinge, die aktiv
zusammengesetzt werden müssen, sind als Artefakte erkennbar,
Wachstum hingegen ist ein typisches Merkmal eines Naturdings. Die
Eigenschaft der irreduziblen Komplexität spielt dagegen bei
der Erkennung von Design keine Rolle.[2]Wer
Organismen trotz dieser
Demarkation als "designt" deutet, kann dies nur gegen die Erfahrung
tun, verkauft also einen Glaubenssatz als empirisches
Erkennungskriterium und verlässt damit den Boden der
Wissenschaft.
W+W schreibt:
"Ohne
gründliches
naturwissenschaftliches Arbeiten gibt es kein einziges
Design-Argument"
Selbst wissenschaftliches Arbeiten
stützt das Design-Argument nicht, denn weder das Feststellen
"irreduzibel komplexer Strukturen" noch der Nachweis fehlender
evolutionärer Erklärungen reichen aus, um den Schluss
auf Design zu ziehen (zur Begründung siehe NEUKAMM 2014b).
Gegen diesen
Schluss spricht ein weiterer
Grund: In einigen Publikationen stellt JUNKER fest, dass man das
Prinzip der geistigen Verursachung (unspezifisches Design) konkretisieren
bzw. spezifizieren muss, um es empirisch prüfbar zu
machen. Das ist zweifelsohne
richtig.[3] Die
Analogie
mit menschenähnlichem
Design taugt nun aber nur so lange, wie
die Extrapolation nicht zu weit in die Vergangenheit führt.
Die Lebensentstehung aber führt weit zurück ins
Präkambrium (d.h. also weit mehr als 3 Milliarden Jahre in die
Vergangenheit). In einer Zeit, in der es nachweislich weder Relikte
menschenähnlichen Designer, geschweige denn komplizierte
Syntheseapparaturen nachweisbar sind, geschweige denn sonstige
"geistigen Verursacher", ist "Design" zwar immer
eine denkmögliche Erklärung. Unter
Berücksichtigung der
historischen Randbedingungen hingegen ist es der denkbar unplausibelste
Schluss. Um den Schluss dennoch zu ziehen, muss sich W+W
also immer
weiter von der Erfahrung entfernen.
Der Theologe Christoph
HEILIG, der sich früher für W+W engagierte, hat im
Laufe der Zeit ebenfalls klar erkannt, dass W+W ihr Ziel mit den
falschen Mitteln verfolgt, weil das Design-Argument nicht sticht und
die Empirie nicht das hergibt, was sich W+W davon verspricht.[4]Es
ist
eine bemerkenswerte intellektuelle Leistung, die Gründe
für das Scheitern des Design-Schlusses erkannt zu haben, wenn
man schon tief in die Arbeit von W+W involviert war.
Fazit: Irreduzibel
komplexe Strukturen sind keine "klaren Indizien" für ein
intelligentes Design, sondern eine (fragwürdige) Deutung, die
W+W als Design-Signale ausgibt. Intersubjektiv nachvollziehbare
Indizien für ein Design würden anders aussehen: Ein
Geburtsmal mit dem Schriftzug "Copyright by the Designer" wäre
ein Schöpfungsindiz, Relikte einer präkambrischen
Embryonenfabrik, oder das Erschaffen einer Art durch das gesprochene
Wort, wie in der Bibel beschrieben.
3.
Rabulistik: Sinnentstellendes Umdefinieren von Begriffen: Was bedeutet
"Ergebnisoffenheit" in der Wissenschaft?
Wer "Rabulistik" betreibt, der wendet rhetorische und
argumentative Techniken an, um Recht zu behalten –
unabhängig davon, ob er tatsächlich Recht hat oder ob
der Sachverhalt, um den es geht, verdreht wird: "Die Grenzen
zur Täuschung, Irreführung und Lüge sind
dabei fließend" (wikipedia). Solche Techniken
wendet auch W+W an, etwa um die Kritik abzuwehren, der Kreationismus
sei nicht ergebnisoffen, sondern beeinflusst von Autoritäten
und Dogmen.
Dogmen, wie etwa die Annahme einer
etwa 6-10.000 Jahre alten Erde und eine simultane
Entstehung
(Schöpfung) der Arten, entsprechen inhaltlichen
Vorfestlegungen, die biblisch motiviert sind und an denen gegen alle
Erkenntnisse, Evidenzen und Widersprüche festgehalten wird:
Sie werden, wie MAHNER (a.a.O.) so treffend feststellte, trotz
"...aussichtsloser
Beleglage, innerer Widersprüche oder
erdrückender Widerlegungsinstanzen…"
für "wahr" befunden. Eine solche
Einstellung wird durch das wissenschaftliche
Prinzip der freien Suche nach Wahrheit nicht mehr gedeckt.
Ich habe
diesen Anklagepunkt ausführlich dargelegt und
mithilfe
eines Beispiels erläutert, weshalb sich auf Grundlage solcher
Dogmen keine vernünftige Wissenschaft gründen
lässt.
Wie reagiert W+W auf den Vorwurf,
der Kreationismus sei nicht ergebnisoffen, da er inhaltliche
Vorfestlegungen träfe?
Der Vorwurf der
Wissenschaftsfeindlichkeit
Bei W+W lesen wir:
"1. Was
aufgrund
biblischer Offenbarung geglaubt wird, wird nicht mit dem Anspruch
verteidigt, es handle sich um Ergebnisse der Naturwissenschaft. 2. Es
wird von W+W ausdrücklich eingeräumt, dass es nicht
gelungen ist, naturwissenschaftliche Befunde mit einer biblisch
abgeleiteten kurzen Erd- und Kosmosgeschichte in Einklang zu bringen.
Genau dieses Eingeständnis zeigt, dass widersprechende
naturwissenschaftliche Daten ernst genommen werden und dass es
hinsichtlich der Berücksichtigung naturwissenschaftlicher
Erkenntnisse eben keine Vorfestlegung gibt."
Aus diesen beiden Gründen
gelte:
"Neukamms
Behauptungen,
man sei nur ergebnisoffen, solange die eigenen Kernthesen [z.B. 6000
Jahre alte Erde, 6-Tage-Schöpfung; M.N.] unberührt
blieben, und die ‚Methode der Naturwissenschaft‘
würde eingeschränkt benutzt, erweisen sich als falsch
und unbegründet."
Hier fällt auf, dass der
Leitungskreis der Studiengemeinschaft W+W die Bedeutung des
Begriffs "Ergebnisoffenheit"
in der
Wissenschaft in sinnentstellender Weise umdefiniert, um dem Vorwurf der
Wissenschaftsfeindlichkeit zu entkommen. Sie tut nämlich so,
als sei die Bedingung der Ergebnisoffenheit bereits dann
erfüllt, wenn die "biblische Offenbarung"
nicht mit naturwissenschaftlichem Anspruch verteidigt werde. Das aber
ist grundfalsch:
Ergebnisoffenheit
bedeutet in der
Wissenschaft
nicht, formal Daten und Experimente anzuerkennen, die eine bestimmte
Weltdeutung infrage stellen, sondern auch das widerlegende Moment der
empirischen und theoretischen Gesamtsituation zu akzeptieren und die
unplausible Weltdeutung aufzugeben!
W+W sucht nach wissenschaftlichen
Rechtfertigungsgründen für eine 6-10.000 Jahre alte
Erde, wie der Artikel von M. KOTULLA demonstriert, auf den ich an
anderer
Stelle verwiesen hatte.[5]Das
Suchen nach solchen Gründen geht
in Ordnung, doch muss W+W eine Widerlegung akzeptieren, wenn die
meisten der wohletablierten Erkenntnisse aus der Geologie, Kernphysik,
Relativitätstheorie usw. gegen ihr Weltbild sprechen, sonst
ist die empirische (hypothetische-deduktive) Methode (die auch die
Bereitschaft impliziert, liebgewordene Vorstellungen aufzugeben, wenn
sie empirisch widerlegt sind), nichts wert! Man kann dann gleich damit
aufhören, nach wissenschaftlichen Wahrheiten zu suchen, weil
man dann Beliebiges vertreten kann, auch beliebig
Unplausibles. Die wissenschaftlich plausiblen Wahrheiten liegen dann
einfach nicht mehr im Suchfeld der Naturwissenschaft.
Mit
"inhaltlicher
Vorfestlegung" ist genau dies gemeint: Das Festhalten an
geglaubten Wahrheiten, die empirisch wohlbegründeten Theorien
widersprechen. Das Abrücken von der "empirischen
Methode" wiederum bedeutet, dass widerlegte Annahmen, wie der
6-10.000 Jahre alte Kosmos, auch dann nicht aufgegeben werden, wenn
fast alles dagegen spricht, sondern stattdessen mit einem Schutzmantel
unbegründeter Hilfshypothesen gegen Widerlegung immunisiert
werden.[6]
W+W geht sogar noch weiter und
deutet wissenschaftliche Befunde, die, aus dem Gesamtkontext gerissen,
für
eine junge Erde sprechen könnten,
im Rahmen ihres
wissenschaftlich hochgradig widerlegten Dogmas. Handfeste Widerlegungen
ihres Weltbildes werden wegrationalisiert, während
gleichzeitig dem bestens abgesicherten, wissenschaftlichen Weltbild
Erkenntnislücken vorgeworfen werden. Genau aus
diesem Grund
ist die Studiengemeinschaft wissenschaftsfeindlich; sie
verfährt offenkundig nach dem Motto: "Erkenne
wissenschaftliche Theorien immer dann an, wenn Du sie brauchen kannst,
lehne sie aber immer dann ab, sobald sie mit Deinem Dogma in Konflikt
stehen."
Es gilt eben, wie KANITSCHEIDER
(1999, S. 81) betont,
"immer
noch das Prinzip
der Unfehlbarkeit: Die Schrift kann nicht irren (...) Und niemand hat
das Recht, den Zusammenhang zwischen der supernaturalen Macht und
denen, die die heiligen Texte aufgeschrieben haben, in Frage zu stellen
- eine Situation, die in der Wissenschaft nicht existiert (...) Jeder
Satz, jeder Beobachtungssatz in der Wissenschaft kann als falsch
erkannt werden. Das gibt es in den Religionen nicht. Hier gilt das
Prinzip der Offenbarung."
Die Behauptung, man sei
"ergebnisoffen", ist auch deshalb unglaubhaft, da
die Studiengemeinschaft an anderer Stelle selber einräumt,
bezüglich ihres Schöpfungsparadigmas "dogmatische
Festlegungen" zu treffen, die mit
einem "Schutzmantel" aus Hilfshypothesen umgeben
und gegen Widerlegung geschützt werden (JUNKER 2004, 11).
Dieser so genannte "harte Kern" bleibe, so JUNKER "unangetastet". Auf
den ersten Blick scheint die
spezielle Wissenschaftstheorie von Imre LAKATOS, auf die sich JUNKER
stützt, diesen Dogmatismus zu rechtfertigen: Es ist sicher
richtig, dass vergleichsweise junge, in Entwicklung begriffene Theorien
und Disziplinen zunächst noch eine Art "Jugendschutz"
genießen, bevor die
Degeneration bzw. das Scheitern des betreffenden Forschungsprogramms
und die Widerlegung der betreffenden Kernthesen festgestellt wird.
(Dies hält W+W kurioserweise nicht davon ab, der noch extrem jungen und
zudem sehr progressiven Abiogeneseforschung heute schon den
Stempel "gescheitert" aufzudrücken; wir
kommen darauf noch zurück.)
Zum einen aber ist zweifelhaft,
dass es tatsächlich "harte
Kerne" gibt. In der Wissenschaftsgeschichte
gibt es dafür keine überzeugenden Beispiele
– letztlich wurde jede unplausible Theorie früher
oder später aufgegeben. Hinzu kommt, dass das
Schöpfungsparadigma schon uralt ist, heute also
längst keinen "Jugendschutz" mehr beanspruchen kann,
und dass jene Theorien, die im
Lauf der Wissenschaftsgeschichte mithilfe der empirischen Methode
überwunden wurden (z.B. die Äthertheorie in der
Physik), nicht annähernd so hochgradig widerlegt und
inkonsistent waren, wie es das kreationistische
Schöpfungsparadigma ist.[7]
Es ist also offensichtlich, dass
die Berufung auf LAKATOS eine Immunisierungsstrategie darstellt; denn
offenbar beabsichtigt W+W, den "harten Kern" des
Schöpfungsparadigmas beliebig lang gegen missliebige
empirische Daten und gegen die Ergebnisse wohl etablierter
Naturwissenschaften zu halten. Dies ist das genaue Gegenteil von
Ergebnisoffenheit!
4.
Empörung als Stilmittel: Wie man sich ein Argument erspart
Dass das Einrichten LAKATOSscher "Schutzreservate", wie es der
Kreationismus pflegt,
eine Immunisierungsstrategie ist und in diesem Bereich keinen
Erkenntnisfortschritt mehr zulässt, habe ich anhand eines
fiktiven Beispiels einer "kreationistischen
Astrophysik" demonstriert. Ich schreibe:
"Inhaltliche
Vorfestlegungen, wie sie der Kreationismus pflegt, gibt es in den
Naturwissenschaften nicht. Ein schönes Beispiel ist die
'Kopernikanische Wende': Man erkannte, dass nicht,
wie die antike Astronomie mehr als tausend Jahre gelehrt hatte, die
Erde im Zentrum des Planetensystems steht, sondern die Sonne. In
Anbetracht zahlreicher Beobachtungen sowie aufgrund
revolutionärer Einsichten in die damals neu aufkeimende
Newton‘sche Physik schien es am einfachsten, die
Grundüberzeugung von der Zentralposition der Erde
fallenzulassen. Zu viele Inkonsistenzen hätten sich mit Blick
auf die Physik daraus ergeben. Stünde aber
ausdrücklich in der Bibel, dass die Erde eine Scheibe ist und
im Zentrum der Welt steht, wäre der Schritt zum
Kopernikanischen Weltbild für Kreationisten genauso
unmöglich wie der zur Anerkenntnis einer sich nach
Jahrmilliarden zu bemessenden Entwicklungsgeschichte. Im Kreationismus
ist der fundamentalistisch gedeutete Bibeltext immer der letzte
Schiedsrichter – gleichgültig, wie stark empirische
Daten und naturwissenschaftliches Hintergrundwissen diese Deutung
widerlegen. Die rational-empirische ‚Methode‘ der
Naturwissenschaft wird dadurch ganz wesentlich eingeschränkt,
streng genommen sogar unbrauchbar: Eine
‚kreationistische‘ Astrophysik hätte daran
arbeiten müssen, das überkommene geozentrische
Weltbild an die empirischen Befunde anzupassen. … Ein echter
Erkenntnisfortschritt wäre auf diese Weise nicht mehr
möglich.
In
dieser Situation befindet sich
der Kreationismus zwar nicht in Bezug auf das Planetensystem, aber auf
die Geschichte des Kosmos und des Lebens. So ist es zum Beispiel
unmöglich, an eine 6000 bis 10000 Jahre alte Erde zu glauben,
ohne abenteuerliche Hilfshypothesen über beschleunigten
radioaktiven Zerfall usw. zu konstruieren, die das gesicherte Wissen
der Naturwissenschaften ad absurdum führen. Es ist also
offensichtlich, dass der ‚Konflikt Glaube und
Naturwissenschaft‘ nicht durch die ‚atheistische
Evolutionsbiologie‘, sondern durch den religiösen
Fundamentalismus entsteht."
Argumentativ weiß W+W
darauf anscheinend nichts zu entgegnen und reagiert mit einem
ausgesprochen emotionalen Appell:
"Trauriger
Höhepunkt dieser verfehlten [Aha!] Argumentation ist Neukamms
Meinung, ‚kreationistische Astrophysik‘
hätte versuchen müssen, ‚das
überkommene geozentrische Weltbild an die empirischen Befunde
anzupassen‘. Das ist Unsinn, der offensichtlich dem Zweck
dient, W+W lächerlich zu machen."
Nun hätte der Leser
sicher gerne gewusst, weshalb die Argumentation verfehlt sein soll,
warum sie unsinnig ist und warum hier etwas lächerlich gemacht
wird. Diese Behauptungen werden einfach argumentationslos (!) in
den
Raum gestellt – und die gesamte, seitenlange Argumentation
mit diesen zwei
knappen Sätzen vom Tisch gewischt. Offensichtlich soll der
emotionale Appell die Leser davon abhalten, bis zum Argument
vorzudringen.
Macht sich W+W durch den
Gebrauch solcher Rhetorik nicht selber lächerlich? Was die
kreationistische Astrophysik in diesem fiktiven Beispiel hätte
[!] versuchen müsse, praktiziert W+W ganz konkret [!] jeden
Tag, wenn es um darum geht, selektiv empirische Daten im Rahmen einer
"Kurzzeitschöpfung" zu deuten. Es gibt
beliebig viele Beispiele, die das beweisen, eines davon diskutiert
NEUKAMM (2007b). In diesem Artikel wird deutlich, wie massiv der Autor
Harald BINDER das wissenschaftliche Prinzip der Kohärenz
verbiegen muss, um zu dem weltanschaulich "gewünschten"
Ergebnis zu
gelangen.
5. Der
Unterschied Naturwissenschaft - Naturgeschichtsforschung
W+W bedient sich der generellen Methode, zwischen Naturwissenschaft und
Geschichts- (bzw. Ursprungs-) Forschung zu unterscheiden. In
naturwissenschaftlichen Theorien, das erkennt selbst W+W an, sind
übernatürliche Schöpfungseinflüsse
als Modellbildungsinstanz unbrauchbar,
in der Geschichts- und
Ursprungsforschung sollen sie dagegen fruchtbar sein!?
In meinem Aufsatz legte ich dar, warum man die naturwissenschaftliche
"Methode" (die keine "Wunder" als Erklärung vorsieht, solange
entsprechende Wunder wie Telepathie, Telekinese, das Wirken von
Gebeten, "geistige Verursachung" wie eine Schöpfung "durch das
Wort" usw. usf. nicht empirisch aufzeigbar sind), auch nur einheitlich
in Raum und Zeit anwenden kann, also auch in
der Zeit: Würde
man unbekannte und unerforschliche Wirkfaktoren als Erklärung
akzeptieren, wäre das Betreiben von Wissenschaft sinnlos
– das ändert sich nicht plötzlich immer
dann, wenn sich der Wissenschaftlicher anschickt, Ereignisse in der
Vergangenheit zu rekonstruieren.
Anders gesagt: Wer für die Ereignisse von "gestern"
supranaturalistische Handlungen in Betracht zieht, wo Experimente und
Detailerklärungen Mangelware sind und scheinbar
zweckgerichtete Prozesse in der Natur ablaufen, der hat kein gutes
Argument, um im "Hier und Jetzt" nicht ebenfalls supranaturalistische
"Erklärungen" heran zu ziehen, wo diese Bedingungen
erfüllt sind, wo Experimente scheitern usw.[8]
In dieser
Hinsicht ist die wissenschaftliche Methode (genauer
gesagt:
die Methodologie),
also die Art und Weise, wie Tatsachen theoretisch
erschlossen, empirisch überprüft und dann entweder
als bestätigt oder als widerlegt betrachtet werden,
für alle Wissenschaften gleich. Was entgegnet W+W darauf?
"Neukamm
bestreitet … dass die Naturgeschichte methodisch
anders erforschen ist als gegenwärtig regelhaft ablaufende und
experimentell erforschbare Prozesse … Dennoch gibt es
grundlegende Unterschiede, wie in ‚Evolution – ein
kritisches Lehrbuch‘ und Internetartikeln
ausführlich dargelegt wird. Auf die dort erläuterten
Vorgehensweisen naturhistorischer Forschung geht Neukamm nicht ein.
Stattdessen wirft er verschiedene Fragestellungen und Methoden
durcheinander und stellt irrelevante Vergleiche an."
Wie W+W zu dieser Einschätzung gelangt, ist mir unerfindlich.
Die Diskussion drehte sich nie um die Frage, ob bei der Rekonstruktion
von experimentell Reproduzierbarem und historisch Einmaligem methodische Unterschiede
zum Tragen kommen. Der Dreh- und Angelpunkt
der Debatte ist ein anderer: Methodische
Beschränkungen (z.B.
das Fehlen experimenteller Wiederholbarkeit) bei der Erforschung der
Naturgeschichte schwächen nicht die Qualität und
Aussagesicherheit, also den methodologischen
Status, historischer
Theorien.
Ein Beispiel: Der Urknall ist nicht experimentell reproduzierbar
– und trotzdem ist die Urknalltheorie empirisch bestens
abgesichert; so gut, wie es auch eine Experimentalwissenschaft nur sein
kann. Bei der Überprüfung (und Bestätigung)
der Urknalltheorie kommen nämlich dieselben Kriterien zum
Einsatz, wie bei der Überprüfung der Atomtheorie
beispielsweise: Alle wesentlichen Vorhersagen der Urknalltheorie haben
sich bewahrheitet, zahlreiche Befunde lassen sich ohne den Urknall
nicht vernünftig erklären, und alternative Deutungen
sind nicht annähernd konsistent. (Eine ausführliche
Begründung würde hier zu weit führen,
nachzulesen ist sie in GAßNER & LESCH 2014).
Warum wird dies überhaupt erwähnt? Weil W+W die
irrige Behauptung in die Welt setzt, die methodischen
Beschränkungen bei der Rekonstruktion historischer
Sachverhalte (Urknall, Evolution) hätten zur Konsequenz, dass
der Bewährungsgrad der historischen Theorien (Urknalltheorie,
Evolutionstheorie) wesentlich geringer sei als bei wohl etablierten
Experimentaltheorien. Diese Behauptung ist lediglich ein Vorwand, um
der Evolutionstheorie den naturwissenschaftlichen Status abzusprechen
und gleichzeitig die Tür der Wissenschaft weiter in Richtung
übernatürlicher Einflüsse
aufzustoßen: Wenn
Evolution nämlich nicht
experimentell wiederholbar ist, nicht vorhersagbar ist, nicht mit
mathematischer Präzision beweisbar ist usw., dann, so die
W+W-Logik, sei Schöpfung eine mindestens ebenso legitime
Deutungsmöglichkeit.
Um die Absurdität dieses Arguments vor Augen zu
führen, bemühe ich nach W+W gern "irrelevante"
Vergleiche: Das Wettergeschehen
beispielsweise ist nicht (hinreichend
genau) vorhersagbar, nicht experimentell reproduzierbar, und die
Erklärungen der Meteorologie sind nicht mit mathematischer
Präzision beweisbar. Trotzdem wäre es absurd, daraus
zu folgern, dass die "naturalistischen" Faktoren und
Erklärungen der Meteorologie nicht hinreichend
naturwissenschaftlich abgesichert seien, oder darin gar eine
Legitimation zu sehen, übernatürliche
Einflüsse eines Gottes in eine Theorie über die
Entstehung des Wetters (oder Weltklimas) einzubauen. Genau das aber
versucht W+W in Bezug auf die Evolutions- und Urknalltheorie: Methodische Probleme wie die
Unmöglichkeit, Naturereignisse
experimentell zu reprozieren, werden von W+W thematisiert, um den
Eindruck zu erwecken, die betreffende Evolutionstheorie sei
naturwissenschaftlich nicht hinreichend belegt, und um anzudeuten, dass
eine (göttliche) Schöpfung eine legitime
Deutungsalternative sei.
Da diese Form der Argumentation allerdings auf die meisten der heute
wohletablierten (gemeinhin als naturwissenschaftlich anerkannte)
Theorien angewendet werden kann, wird klar, dass dieser Einwand nichts
Wert ist: Gott als
Wirkfaktor bei der Entstehung des Lebens zu
berücksichtigen, ist nicht weniger absurd als der Versuch,
Gott als Wirkelement ins Wettergeschehen zu implementieren.
Derartige Vergleiche sind nicht annähernd absurd, sie
verdeutlichen nur die Inkohärenz evolutionskritischer
Argumentation. Um es noch einmal zu wiederholen: Methodische
Unterschiede zwischen Geschichts- und Naturwissenschaft legitimieren
nicht den Rückgriff auf übernatürliche
Wirkursachen in den so genannten "Ursprungstheorien". Man kann ja nicht
einerseits zugestehen, dass es willkürlich und
unwissenschaftlich wäre, aus unerklärlichen
Gründen gescheiterte Experimente oder nicht vorhersagbare,
nichtreproduzierbare Naturereignisse aus Physik, Chemie, Astronomie und
Meteorologie als das Ergebnis wundersamer Eingriffe einer
göttlichen Wesenheit zu deuten, andererseits aber genau solche
"Allerklärungen" immer dann zu akzeptieren, wenn sie den in
der Vergangenheit liegenden Ursprung von Sternen, Planetensystemen,
Biomolekülen und Lebewesen betreffen. Diese Form des
ORWELLschen Zwiedenkens ist inkonsistent, denn eine
übernatürliche Deutung wird nicht mit einem Mal zur
wissenschaftlich brauchbaren Alternative, wenn die Theorie vergangene
Ereignisse zum Thema hat. Hier wird deutlich, dass die Motivation, eine
Schöpfung als Erklärungsansatz in historischen
Theorien einzubeziehen, nichts mit Wissenschaft zu tun hat, sondern
ausschließlich religiös motiviert ist. Es ist kein
Zufall, dass Menschen, die so argumentieren, ausschließlich
in ultrakonservativen religiösen Lagern zu verorten sind,
deren weltanschauliche Bewegung man als Kreationismus
bezeichnen kann.
6. Entstehung
des Lebens
Dass das Leben auf der Erde auf natürliche Weise entstanden
ist, dafür gibt es zahlreiche Indizienbelege (nachzulesen
beispielsweise in KAISER 2009 sowie in NEUKAMM & KAISER 2014).
Einer der vielen Belege stützt sich darauf, dass in
Experimenten zur Simulation der präbiotischen Chemie
keineswegs beliebige Verbindungen aus "Beilsteins Handbuch der
Organischen Chemie" entstehen, sondern häufig wichtige
Grundbausteine des Lebens wie Aminosäuren, Zucker, Nukleotide
usw. Auch hoch komplexe Moleküle wie Porphyrine
wurden entdeckt - und zwar wurden diese, entgegen der Behauptung von
W+W, nicht im Rahmen komplizierter Kunstsynthesen aus
Tetrapyrrol-Makrozyklen hergestellt, sondern mehr oder weniger
zufällig bei MILLER-Experimenten der "2. Generation" entdeckt
(vgl. KAISER 2009, 177; 203). Nicht nur das: Es zeigt sich immer
deutlicher, dass Bausteine des Lebens unter einem breiten Spektrum von
Randbedingungen entstehen können, selbst in so
unterschiedlichen und auf den ersten Blick sogar lebensfeindlich
erscheinenden Regionen des Kosmos wie in der Tiefsee, im Weltall und in
Meteoritengestein!
Warum ist dies ein wichtiger
Indizienbeleg für die natürliche Entstehung des
Lebens? Weil dieser Befund aus evolutionärer
Sicht (und nur
aus evolutionärer Sicht) absolut Sinn ergibt, d. h. spezifisch
zu erwarten ist:
Es leuchtet ein, dass diejenigen Biomoleküle, die sich
aufgrund physikalisch-chemischer Gesetzmäßigkeiten
am häufigsten auf der Erde bilden (oder durch Meteoriten
dorthin transportiert wurden), am ehesten als Bausteine von
Lebewesen dienen. Aus
Sicht eines wie auch immer gearteten
"intelligenten Designs" würde diese Koinzidenz dagegen keinen
Sinn ergeben, denn es wäre nicht zu
erklären, weshalb
ein intelligenter "Schöpfer" in seinem Labor
überwiegend abiotisch
entstandene Materialien verwenden
sollte, wo er doch auf Millionen ähnliche Verbindungen aus
"Beilsteins Handbuch der Organischen Chemie" zurückgreifen
könnte!
Die Ergebnisse belegen also, dass
unter geeigneten, präbiotisch plausiblen Bedingungen viele
Grundbausteine des Lebens mit naturgesetzlicher Notwendigkeit entstehen
– was aus Sicht der chemischen Evolution zu erwarten
ist!
Im "Materialdienst" der
Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen
verdeutliche ich unter der Überschrift "Was ist eine
Beschreibung, was eine Erklärung?" den Beleg mithilfe der
hypothetisch-deduktiven "Methode" (bzw. mit dem sog.
HEMPEL-OPPENHEIM-Schema der Erklärung):
"• Prämisse 1:
Leben ist auf natürliche Weise entstanden
(Hypothese).
•
Prämisse 2:
Leben besteht aus (bestimmten) Aminosäuren.
•
Konklusion: Es
müssen präbiotisch plausible, physikalisch-chemische
Mecha-nismen existieren, nach denen sich diese (bestimmten)
Aminosäuren bilden" (S. 304).
Da die Konklusion (Folgerung,
Vorhersage) als empirisch bestätigt gelten kann, gilt nach der
hypothetisch-deduktiven Methode auch die Prämisse als
bestätigt. Natürlich handelt es sich dabei nicht um
einen wahrheitsbewahrenden
Schluss, denn er ist nicht formallogisch
gültig. In den Naturwissenschaften bleibt aber gar nicht
anderes übrig, als genau so zu verfahren: Man muss immer
zunächst eine Theorie oder eine Hypothese (in diesem Fall:
Prämisse 1) voraussetzen, daraus eine Folgerung ableiten
("Wenn…, dann…") und diese
Vorhersage dann anhand von Experimenten überprüfen.
Wird die Vorhersage bestätigt, wird auf die Richtigkeit der
Theorie oder Hypothese (Prämisse 1) zurück
geschlossen.
Bezeichnenderweise aber erkennt
W+W die empirische
Bestätigung dieser theoretischen Erwartung nicht als Beleg
für eine Abiogenese (chemische Evolution) an. Man fragt sich,
ob diese Studiengemeinschaft verstanden hat, wie
Theorienprüfung und Bestätigung funktionieren, denn
wenn man die hypothetisch-deduktive "Methode" der
Naturwissenschaften akzeptiert, ist es keine Frage der Deutung mehr, ob
man die Belegsituation akzeptiert oder nicht, sondern eine Frage der
Logik! Jedenfalls schickt sich W+W an, den Indizienbeleg gleich auf
mehreren Wegen (rhetorisch) zu untergraben. Eine immer gern angewandte
Methode besteht darin,
einfach
den Deutungsrahmen zu wechseln und zu behaupten:
"Man
könnte die
experimentelle Bildung von Aminosäuren genauso gut als Beleg
dafür werten, dass ein Chemiker – oder irgendein
Designer – gezielt Aminosäuren herstellen
kann."
Dieser Einwand ist nicht gerade
originell, denn grundsätzlich alles lässt
sich als Ergebnis eines mysteriösen Designs deuten.
Aber können solche unspezifischen Deutungen als Belege gelten? Wie
soll der Befund, dass sich primär ganz bestimmte
Aminosäuren bilden, spezifisch durch "Design" vorhergesagt
werden, wenn durch "Design" grundsätzlich jedes nur denkbare
Molekül mit gleicher Funktion hergestellt werden kann? Da
"Design" das, was es zu erklären gilt, also gerade nicht
erklären bzw. vorhersagen kann, liegt – ganz im
Gegensatz zur evolutionären Interpretation – auch
kein Beleg für ein Design vor!
Es ist also kaum möglich,
den
Einwand von W+W
nicht als bewusste Irreführung der Leserschaft zu
interpretieren,
und zwar noch aus einem zweiten Grund: "Gezielt
Aminosäuren
herzustellen" bedeutet synthetische
Chemie mit dem vorweg
genommenen Ziel, bestimmte Stoffe zu produzieren unter
Anwendung
bestimmter, chemischer Syntheseverfahren. Das aber passiert bei den
Experimenten zur Abiogenese gerade nicht: Hier werden die Bedingungen
der Ur-Erde nachgestellt, und dann wird geschaut, was dabei
herauskommt. Denn "gezielte Herstellung" bedeutet
synthetische Chemie mit dem vorweg
genommenen Ziel, bestimmte Stoffe zu
produzieren unter Anwendung bestimmter, chemischer Syntheseverfahren.
Das aber passiert bei den Experimenten zur Abiogenese gerade nicht:
Hier werden die Bedingungen der Ur-Erde nachgestellt, und dann wird
geschaut, was dabei herauskommt.
Das
heißt,
präbiotische Synthesen mit evolutionären Algorithmen
sind das genaue Gegenstück zum "rationalen Design", weil sie
gerade keineplanvolle
Steuerung enthalten.[9]
Aufgrund
fehlender
Steuerung ist es auch nur allzu verständlich, dass, so lautet
der Einwand von W+W,
"…
in
Simulationsversuchen nie alle in Lebewesen vorkommenden
Aminosäuren erzeugt werden."
Ja, wie denn auch? Abgesehen
davon, dass es triftige Gründe gibt anzunehmen, dass zumindest
Tryptophan und Methionin erst nachträglich
hinzu kamen, also von vornherein biotisch
synthetisiert wurden: Will W+W
sämtliche heterogenen Nischen der Urerde mit allen darin
ablaufenden chemischen Reaktionen, Fließgleichgewichten und
Folgereaktionen, die bei der Entstehung des Lebens eine Rolle gespielt
haben könnten, in einem einfachen Reaktionskolben nachgestellt
bekommen?
Ein solcher Einwand ist nicht nur
naiv, er ist grob irreführend, weil er den Lesern suggeriert,
es müssten in Simulationsexperimenten alle in Lebewesen
vorkommenden Aminosäuren nachgewiesen werden, um den oben
genannten Indizienbeweis zu führen. Das ist
selbstverständlich nicht der Fall. Wenn man bedenkt, wie
einfach die Simulationsapparaturen im Vergleich zur Wirklichkeit sind
und welche Fülle an biotisch relevanten Verbindungen sie
trotzdem hervorgebracht haben, dann wirkt der Indizienbeweis umso
schlagender.
Im Weiteren spielt W+W auf der
gewohnten Klaviatur des "argumentum ad ignorantiam", um
die Indizien zu
schwächen. Dies stellt sie dadurch an, dass
sie die Entstehung von Aminosäuren und anderen Grundbausteinen
vollkommen willkürlich als unwesentlich wegdefiniert
und
stattdessen andere Prozesse für relevant erklärt,
über die wir weniger gut Bescheid wissen:
"Mit
der Bildung von
Aminosäuren ist ... noch kein wesentlicher [sic!] Schritt zur
Entstehung zum Leben geschafft… Wesentlich wären
der Nachweis der Bildung von spezifischen Makromolekülen wie
Proteine und DNA, die Etablierung von Wechselwirkungen zwischen
Proteinen, DNA und anderen Stoffen, der Aufbau von Stoffwechselwegen,
Entstehung molekularer Maschinen, die Bildung einer selektiv
durchlässigen Zellhülle, des genetischen
Codes…" usw. usf.
"Die
einfachsten
Lebewesen haben geschätzt 300 Gene und viele Zellinhaltsstoffe
und Zellstrukturen. Geschafft auf diesem Weg dorthin sind gerade einmal
Aminosäuren und einige andere einfachere Biomoleküle
… Das Wissen aus vielen Jahrzehnten biochemischer Forschung
macht es vollkommen abwegig, das Scheitern in der
Lebensentstehungsforschung nur als ‚Lücke‘
zu deklarieren."
Moment mal, immer der Reihe nach:
Wie kommt man eigentlich auf die Idee zu behaupten, die Entstehung
von Aminosäuren sei kein wesentlicher Schritt der Abiogenese?
Ohne diesen "unwesentlichen" Schritt wären alle darauf
aufbauenden Schritte der Lebensentstehung unmöglich
– auch die Genese des komplexesten Organismus fängt
mit seinen Grundbausteinen an. Und warum widmet sich W+W in seinem
"Lehrbuch" eigentlich seitenlang der Frage nach der abiotischen
Entstehung von
Aminosäuren, Zuckern, Nukleinbasen usw., wenn es sich dabei
nur um unwesentliche Teilschritte handelte, deren Kenntnis sowieso
nichts ändern würde? Kein Zweifel – die
Charakterisierung ist eine Verlegenheitsantwort, ein rhetorischer
Trick, um all das, was man heute schon weiß, als irrelevant zu definieren (!),
um vergessen zu machen, dass die Abiogeneseforschung
extrem progressiv in ihrer Entwicklung ist.
Was die von W+W als "wesentlich"
deklarierten Schritte anbelangt: Richtig ist, dass die meisten dieser
Schritte noch nicht auf befriedigende Weise erklärt werden
können, beispielsweise die Entstehung des genetischen Codes.
Zur Wahrheit gehören aber auch zwei methodologische Aspekte:
1. Die Tatsache, dass wir heute
noch immer nicht genau wissen, wie
bestimmte Strukturen entstanden
sind, ändern nichts an den Belegen, die dafür
sprechen, dass
sie durch (chemische oder biologische) Evolution
entstanden sind.
Die Wissenschaft verfügt
heute beispielweise über zahlreiche Befunde, die belegen, dass
sich der genetische Code aus einem Ensemble aus sich selbst
replizierenden RNA-Spezies ("Quasispezies") entwickelt hat (KAISER
2009, 198ff.). Die Befunde sind so erdrückend, dass in der
Fachwelt daran kaum noch vernünftige Zweifel bestehen. Die
Tatsache, dass wir noch nicht im Detail wissen, wie dies geschah,
ändert daran überhaupt nichts! Das heißt
mit anderen Worten: Da
wir genügend Indizien haben, die
das evolutionäre Rahmen-Szenario stützen, ist die
Frage nach den genauen Mechanismen zunächst
zweitrangig.
In diesem Sinn
handelt es sich
tatsächlich um nicht mehr als um Erkenntnislücken;
denn die mechanismischen Detailfragen
sind der Grundfrage
nach ihrer
natürlichen Entwicklung und den Belegen für selbige
logisch untergeordnet. Folglich können offene
Fragen an den Indizien für eine Abiogenese nichts
ändern!
2. Auch wenn wir noch keine
befriedigenden
Antworten auf die Frage nach der Herkunft bestimmter
zellulärer Strukturen geben können, steht fest, dass
die Entwicklung der Abiogeneseforschung weitaus progressiver ist, als
W+W lieb sein kann: Die Entstehung spezifischer Makromoleküle
wie Proteine und DNA, des genetischen Codes, selektiv
durchlässiger Zellhüllen, chiraler Bausteine und
dergleichen ist heute nämlich längst nicht mehr so
rätselhaft und unerklärlich, wie diese
W+W-Vereinigung in ihren tendenziösen Publikationen
darzustellen versucht!
Leider ist es unmöglich,
an dieser Stelle auf Details einzugehen, dies würde den Rahmen
dieses Beitrags sprengen. Aber dass es heute schon gute, mit der
Empirie übereinstimmende Modellvorstellungen darüber
gibt, wie sich der genetische Code (etwa über
Aminosäure-Aptamere) herausgebildet hat, wie sich chirale
Bausteine und selektive Zellhüllen gebildet haben und wie
die erste lebende Zelle entstanden sein
könnte, ohne auf die von
W+W übertrieben komplex dargestellten
Minimalbedingungen des Lebens mit seinen…
"…300
Gene(n)
und viele(n) Zellinhaltsstoffe und
Zellstrukturen..,"
angewiesen zu sein, lässt
sich durch die Literatur dutzendfach belegen. Ein empfehlenswerter
Übersichtsartikel hierzu stammt von KAISER (2009); weiterhin
entwickelte der Nobelpreisträger Jack SZOSTAK ein Szenario,
welches als derzeit beste Annäherung an den Ursprung des
Lebens aus unbelebter Materie gelten kann. So formuliert SZOSTAK (2012)
das Szenario einer RNA-gesteuerten
Lipid-Synthese, wobei geeignete Ribozyme eine kontrollierte Anlagerung
von Fettsäuremolekülen in die Membranen
ermöglichen. Nachdem entsprechende RNA-Moleküle
erstmals zwischen Lipidmembranen eingeschlossen waren, wurde die
kontrollierte und geordnete Vervielfältigung von RNA und
Zellmembran sowie deren wechselseitige Stabilisierung möglich:
Eine evolutionsfähige (Proto-) Zelle war entstanden.
SZOSTAKs
Szenario der präbiotischen Entstehung der ersten lebenden
Zellen wird, Schritt für Schritt und allgemein
verständlich, in der folgenden Animation veranschaulicht; ins
Deutsche von KERENG 2009:
http://www.youtube.com/watch?v=-zHlfUU1WY0#t=164).
Als Ausgangspunkt der Evolution
kann man sich Fettsäurevesikel und eine bestimmte Sorte
aktivierter
RNA-Bausteine vorstellen. Durch Kombination der verschiedenen
Bausteine entstehen beliebig viele, unterschiedliche
RNA-Molekül-Ketten in den Protozellen. In der Nähe
heißer Quellen werden die Doppelstränge
aufgespalten; an die einsträngige RNA
können sich dann wieder RNA-Bausteine anlagern. Die
RNA-Moleküle vermehren sich also zunächst spontan,
d.h. ohne katalytischen Einfluss. Irgendwann befindet sich unter den
RNA-Molekülen zwangsläufig eine Ribozym-Spezies,
welche die Replikation katalysiert – dies ist der Beginn der
Ko-Evolution von Fettsäure-Vesikel und RNA.
Der Vorteil dieses Modells ist,
dass all diese
Schritte einzeln nacheinander ablaufen können. Es gibt nicht
den
Hauch einer Begründung anzunehmen, dass "300 Gene und viele
Zellinhaltsstoffe", "Zellstrukturen" usw. simultan entstehen mussten. Wie so oft so erweist sich auch
hier das Komplexitäts-Szenario von W+W als unbegründet,
zumindest wenn man die in der Fachliteratur präsenten Modelle
als Messlatte hernimmt.
Wie geht nun W+W mit solcher Fachliteratur um? Ganz einfach,
W+W
tut so, als hätte es all die Fortschritte in der
Erklärung und all die Indizien für eine
natürliche Entstehung von Biomolekülen, chiralen
Molekülen, des
genetischen Codes und vielen anderen Zellbestandteilen, auf
die KAISER (2009), NEUKAMM & KAISER (2014), SZOSTAK
(2012) u.v.a.
detailliert eingehen, nie gegeben. Allein
durch Ignoranz wird der Eindruck
erzeugt, wir seien heute
in den "wesentlichen" Fragen in den letzten 60 Jahren keinen einzigen
Schritt weiter gekommen, als sei eine Erklärung aufgrund der
enormen Komplexität des Lebens ferner denn je.
Wie ist dies zu bewerten?
Fällt die wüste Ad-hominem-Kritik der
Autoren, ich würde dem Publikum wissenschaftliche Ergebnisse
"vorgaukeln", sogar Behauptungen "erfinden" und "… nicht im
Entferntesten den Stand der wissenschaftlichen Diskussion zur Frage
nach der erstmaligen Entstehung des Lebens" wiedergeben, W+W
nicht selber auf die Füße?
Ich höre schon den
Einwand: Vieles dessen, was die
Wissenschaft präsentiert, beruht auf
Modellvorstellungen, oft mehr auf Spekulation als auf gesicherten
"Tatsachen", vieles ist umstritten, manches noch viel zu vage, um als
Erklärung zu gelten, usw. usf. Richtig! Aber ein Modell, und
sei es noch so vage, das auch nur in Ansätzen einen der
"wesentlichen" Teilschritte der chemischen
Evolution kausal erklären könnte, ist besser als gar
kein Modell – und allemal besser als ein "anonymes
Design" oder eine fiktive Wundergeschichte aus dem Alten
Testament!
Die Wissenschaftsfeindlichkeit von
W+W zeigt sich auch hier wieder im Umgang mit den Evolutionsindizien,
mit den Modellerklärungen und bei der
Interpretation vom "Scheitern" eines
Forschungsprogramms: Die
Abiogeneseforschung ist noch sehr jung, kaum
60 Jahre alt.Sie
ist zudem komplex und extrem progressiv in der
Entwicklung, das heißt, unser Wissen über die
Entstehung einzelner Biomoleküle und Zellstrukturen mehrt sich
von Tag zu Tag – das Glas der Erkenntnis wird also zusehends
voller.
Wenn
die Forschung so alt ist wie die Physik heute, darf W+W
(oder deren Nachfolgeorganisation) gerne wiederkommen und Bilanz
ziehen. Aber wer heute,
in diesem Anfangsstadium schon aufgeben (eigene
Abiogeneseforschung betreibt W+W nicht) und ein
"Scheitern"
proklamieren will, um einen "Designer" als Erklärung
einzuschieben, erliegt ganz klar dem argumentum
ad ignorantiam (MAHNER, pers.
comm.).
Bei diesem Argument handelt es
sich um einen logischen Fehlschluss, bei dem
eine Theorie (in unserem Fall
die Evolutionstheorie) auf der Basis fehlenden Wissens für
unplausibel erklärt wird und eine andere Theorie (hier:
Intelligent Design) im Gegenzug für plausibel.
Obwohl
W+W bestreitet, diesem Fehlschluss zu
erliegen,
begeht
sie
ihn
doch
unablässig. Denn es ist ganz einfach nicht wahr,
dass fehlendes Wissen die Evolutionstheorie schwächt
–
sonst gäbe
es schlichtweg nichts mehr zu erforschen.
Jenseits der Grenzen unseres Wissens beginnt
das
Nichtwissen, nicht mehr und nicht weniger.
7. Literatur
GAßNER, J.M. &
LESCH, H. (2014) Das aktuelle kosmologische Weltbild: Ein Produkt
evolutionären Denkens. In: NEUKAMM, M. (Hg.) Darwin Heute.
Evolution als Leitbild in den modernen Wissenschaften. WBG, Darmstadt,
51-88.
HEILIG, C. (2011) Anonymes oder Spezifisches Design? Vergleich zweier
methodischer Ansätze für Forschung im Rahmen der
teleologischen Perspektive.
https://www.academia.edu/2312802/Anonymes_oder_Spezifisches_Design_Vergleich_
zweier_methodischer_Ans%C3%A4tze_f%C3%BCr_Forschung_im_Rahmen_der_teleologischen_Perspektive
HEMMINGER, H. (2014)
Kreationismus: Wie man die Wissenschaft ruiniert. Materialdienst EZW
8/2014, 292-295. www.ekd.de/ezw/Publikationen_3230.php
JUNKER, R. (2004) "Harter Kern" und Hilfshypothesen
von Forschungsprogrammen in der Schöpfungsforschung.
www.wort-und-wissen.de/fachgruppen/wt/hartkern.pdf.
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und Hilfshypothesen von Forschungsprogrammen in der
Schöpfungsforschung.
www.wort-und-wissen.de/fachgruppen/wt/hartkern.pdf.
JUNKER, R. & ULLRICH, H.
(2014) Stellungnahme zum EZW-Text "Kreationismus: Wie man die
Wissenschaft ruiniert". Teil III: Festlegung auf den
Naturalismus.
www.wort-und-wissen.de/index2.php?artikel=disk/d14/6/d14-6.html. Zugr.
a. 23.10.2014.
KAISER, P.M. (2009) Chemische
Evolution. In: NEUKAMM, M. (Hg.) Evolution im Fadenkreuz des
Kreationismus. V&R, Göttingen, 171-211.
www.evolution-im-fadenkreuz.info/KapVII.pdf
KANITSCHEIDER, B. (1999) Es hat
keinen Sinn, die Grenzen zu verwischen. Spektrum der Wissenschaften 11,
80-83.
MAHNER, M. (2003) Naturalismus und Wissenschaft.
Skeptiker 16, 137– 139.
MAHNER, M. (2005) Religion und Wissenschaft: Konflikt oder
Komplementarität? MIZ 34/3, 16-20.
MAHNER, M. (2007a) Intelligent Design und der teleologische
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Lit-Verlag, Münster, 340-351.
MAHNER, M. (2007b) Unverzichtbarkeit und Reichweite des ontologischen
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Menschen im Spannungsfeld von Evolution und Schöpfung. WBG,
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https://brightsblog.wordpress.com/2007/06/18/die-unwissenschaftlichkeit-im-kreationismus/
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www.ekd.de/ezw/Publikationen_3228.php.
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http://evobioblog.de/intelligent-design-und-der-schluss-auf-die-beste-erklaerung/
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(2014) Chemische Evolution und evolutionäre Bioinformatik
Voraussetzungen zum Verständnis der Struktur des Lebendigen.
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VOLLMER, G. (1995) Was ist
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Thesen. In: ders. Auf der Suche nach der Ordnung. Beiträge zu
einem naturalistischen Welt- und Menschenbild. S. Hirzel Verlag,
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Wissenschaft in einer geschaffenen Welt. Eine Erwiderung der
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"Materialdienst". Materialdienst EZW 10/2014,
381-385.
_______________________
Fußnoten
[1]
Deshalb ist der Naturalismus gerade kein ideologischer
Selbstzweck, sondern die derzeit am besten begründete Nullhypothese in der
Wissenschaft (vgl. dazu MAHNER 2003). Der Naturalist lehnt
"Schöpfung" u.a. obskure Dinge also nicht a priori
ab, sondern wartet darauf, bis die Gegenseite eine ordentliche Theorie
des Übernatürlichen anbieten und entsprechende
Befunde
vorweisen kann, die eine transnaturale Beeinflussung der Welt
plausibel machen würden. Der Naturalismus (bzw. Materialismus)
kann somit als falsch erkannt werden: In der Tat müsste man
sofort
zugestehen, dass eine "Wunderwelt", wie sie in der Bibel beschrieben
wird, mit Totenerweckung, einer Schöpfung durch das
gesprochene Wort usw. mit dem Materialismus und Naturalismus nicht
vereinbar ist. Der Naturalismus kann also scheitern, indem die
Wissenschaft scheitert. Eine weitere Möglichkeit nennt MAHNER
(pers. comm.): "Es müsste doch leicht zu bewerkstelligen sein,
dass Messungen und Experimente bei Wiederholung ständig total
andere Ergebnisse bringen, etwa weil Gott ständig die
gesetzmäßigen Eigenschaften der Dinge
ändert". Das
"Dumme" für W+W ist nur: So sieht die Welt gerade nicht aus!
[2] Im
Gegenteil: Bereits im Jahr 1909 konnte der Nobelpreisträger
Hermann Muller, ganz dem Boden der Darwinistischen Evolutionstheorie
verhaftet, logisch zeigen, dass nichtreduzierbare Komplexität
(Muller gebrauchte damals freilich andere Begriffe)
zwangsläufig auftritt, wenn Biosysteme Schritt für
Schritt durch Merkmalsaddition entstehen, dabei komplexer werden und
sich funktional diversifizieren. Nichtreduzierbare Komplexität
bei Lebewesen ist also alles andere als ein "Design-Merkmal", sondern
ironischerweise die unmittelbare Konsequenz der Phylogenese.
[3] Diese
Erkenntnis stammt allerdings nicht von JUNKER selbst; nachdem ihm
Naturalisten die Zusammenhänge jahrelang vergeblich versuchten
zu
erklären, gelang es erst seinem zeitweiligen
Weggefährten
Christoph HEILIG (der sich, wie erwähnt, aufgrund der
unhaltbaren
Argumentation inzwischen von W+W löste), ihm diesen Punkt
auseinander zu setzen. Trotzdem ist es Reinhard JUNKER bis heute nicht
gelungen, sich vollständig von seiner vorherigen Position zu
lösen; er vertritt bis heute die irrige Annahme, aus einem
"anonymen Design" ließe sich irgendetwas Spezifisches
hinsichtlich der Struktur geschaffener Dinge vorhersagen.
[4] Ein
aktueller Diskussionsbeitrag findet sich unter:
http://ursprungsfragen.blogspot.co.at/2014/08/buchkapitel-zur-historischen.html
[5] Vgl.:
NEUKAMM (2014): Warum der Kreationismus Ozeane zum Kochen bringt. Wie
zuverlässig sind radiometrische Altersbestimmungen?
www.ag-evolutionsbiologie.net/pdf/2014/kreationismus-und-radiometrische-datierung.pdf
[6]
Eine der zahlreichen unbegründeten Hilfshypothesen, mit denen
W+W ihr Paradigma umgibt, um es vor Widerlegung zu schützen,
ist die Annahme variabler Halbwertszeiten, mit denen man hofft, das
Problem des "hohen Erdalters" wegerklären zu können.
Solche Hilfshypothesen sind durch nichts begründet, sie werden
ad hoc erfunden, um die naturwissenschaftliche Widerlegung ihres
Weltbildes zu umgehen. Dass W+W diesbezüglich
Rechtfertigungsprobleme einräumt, ändert nichts am
Vorwurf, dass sie damit die empirische Methode unterläuft,
deren Sinn ja gerade darin besteht, falsche Theorien zu erkennen und
ggf. auszumerzen.
[7] Man
braucht sich nur die Probleme anzusehen, die sich der Kreationismus
einhandelt, wenn er versucht, die Konstanz der Halbwertszeiten infrage
zu stellen, um das Erdalter mit biblischen Aussagen zu harmonisieren.
Jeder dieser Versuche ist wissenschaftlich wie wissenschaftstheoretisch
unhaltbar und führt zu absurden Konsequenzen. In letzter
Konsequenz läuft dies darauf hinaus, dass man nicht nur den
"Goldstandard" der physikalischen Zeitmessung angreifen muss, sondern
elementare Prinzipien der Kernphysik selbst. Wie bei einem Domino-Spiel
fiele damit eine wohletablierte naturwissenschaftliche Theorie nach der
anderen, wenn der Kreationismus Recht hätte.
[8] MAHNER
(2007b) hält diese Art des "Nicht-Interventionalismus"
für inkonsequent, ja für eine willkürliche
Erfindung: Der Kreationist geht offenbar davon aus, dass immer dann,
wenn wir gerade ein Experiment durchführen, "alles
Übernatürliche ganz schnell weg schaut", sich aber
dort, wo es kompliziert und unvorhersehbar wird und wo es um vergangene
Entstehungsphänomene geht, ungehemmt austobt.
[9] Die
einzige "Steuerung", wenn man so will, liegt in der Verwendung reiner
Ausgangsverbindungen in höherer Konzentration, was aber
methodische Gründe hat, da die Feststellung des
Produktspektrums Analysenreinheit voraussetzt und höhere
Konzentrationen (wegen der höheren Ausbeuten) die chemische
Identifikation der Produkte erleichtern. Die
Reaktionsverhältnisse, die auf der Ur-Erde geherrscht haben,
werden dadurch aber nicht verfälscht, weil geringere Ausbeuten
wegen der auf mineralischen Oberflächen oder in
Fettsäure-Vesikeln zwangsläufig stattfindenden
Anreicherungs- und Selektionsprozesse kaum eine Rolle spielen. Der
häufig erhobene Einwand, Verunreinigungen in der "Ursuppe"
würden Kettenabbrüche und "unerwünschte"
Nebenprodukte hervorbringen, ist deshalb (wenngleich richtig) auch
völlig belanglos.