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Kommentar

Anmerkungen zu 'The rocks don't lie' (David R. MONTGOMERY) und darüber hinaus

von Wolfgang Jähnig


Alan Feduccia: 'Romancing Birds and Dinosaurs'

Der amerikanische Geologe David R. MONTGOMERY hat eine brisante Veröffentlichung mit dem Titel "The Rocks Don't Lie" und dem Untertitel "A Geologist Investigates Noah's Flood" im August 2012 bei W.W. Norton & Company publiziert. MONTGOMERY setzt hierbei neue Akzente im Spannungsfeld gegenseitiger Beeinflussung von biblischer Aussage einer singulären Sintflut und Entwirrung von alten Erzählungen, religiösen Mythen, früheren geologischen Theorien, naturphilosphischen Betrachtungen und den Erkenntnissen moderner Wissenschaft. Welcher wissenschaftliche Erkenntnisstand auf der Suche nach der biblischen Sintflut (Noah's Flood) besteht gegenwärtig? Aus der Vielzahl von Thesen werden drei hervorgehoben.

Nach Untersuchungen u.a. der amerikanischen Geophysiker RYAN und PITMAN war vor etwa 7.600 Jahren das Schwarze Meer noch ein tiefergelegener Süßwassersee, in das sich dann Salzwasser aufgrund des Ansteigens des Meeresspiegels am Endes des letzten Glazials dammbruchartig mit ungeheurer Wucht ergossen hätte, wobei die abschmelzenden Eismassen der Nacheiszeit im Zusammenhang mit dramatischen klimatischen Veränderungen und episodischen Niederschlagsanomalien eine Katastrophe biblischen Ausmaßes verursacht haben dürften.1)

Der Wiener Geologe und Meteoriten-Experte A. TOLLMANN will sogar die biblische Sintflut auf das Datum 23.09.7552 v.Chr. beziffern, aufgrund eines Meteoriten-Einschlages mit katastrophalen Auswirkungen, darunter gigantischen globalen Flutwellen. Seine Impakt-Hypothese ist jedoch stark umstritten und wird in der Fachwelt kaum beachtet.2)

Der Journalist Christian SCHÜLE hat in Ägypten, Jordanien und Israel aufwändige Forschungsreisen zu den mutmaßlichen Originalschauplätzen der großen biblischen Mythen und Legenden unternommen und unter anderem auch die biblische Sintflut auf den Prüfstand gestellt. Sie wird im Spannungsfeld aktueller Diskurse in Archäologie und Theologie literarisch gedeutet als pädagogische Parabel, wobei jede Kultur ihren eigenen Flutmythos hat.3)

Für eine singuläre biblische Sintflut im globalen Ausmaß einer vollkommen mit Wasser bedeckten Erdoberfläche und einem Wasserstand, in der Höhe des Berges Arafat, wie es die Bibel berichtet, gibt es keine wissenschaftlichen Hinweise. Eine vollkommen mit Wasser bedeckte Erde übersteigt klimatische terrestrische Naturbedingungen. Ganz offensichtlich kann es für solche Wassermassen keine denkbare Quelle geben, und sie können auch nicht wieder von der Erde "verschwunden" sein.

Die Wissenschaft stützt sich zur Datierung vergangener geologischer Perioden u.a. auf die Radio-Karbonmethode sowie anderer radiometrischer Datierungsmethoden, auf Rückschlüsse plattentektonischer Vorgänge, Stratigraphie, Thermolumineszenz usw.

Montgomery beschreibt in seiner Veröffentlichung (der Einfachheit als RDL bezeichnet) Schauplätze von Flutkatastrophen, die er persönlich aufsuchte. Auf einer Expedition im Südosten Tibets (Tsangpo River Region) untersuchte MONTGOMERY 2002 Gesteinsschichten, die der Fluss durchschnitt und die tiefste Schlucht der Erde in Zusammenwirkung mit der Hebung von Gesteinskomplexen bildete. Einheimische Legenden berichten von einer gewaltigen Flut aus "ferner Vergangenheit" und erklären damit das heutige Aussehen der Landschaftsformen am Tsangpo River.

"Could there be proof behind other flood stories, including the most famous of them all, Noah's Flood?" war eine der grundlegenden Überlegungen MONTGOMERYs. Er konnte aber am Tsangpo River und anderen untersuchten Regionen (darunter der Grand Canyon und Siccar Point in der Nähe von Edinburgh in Schottland) keine Beweise finden, die eine biblische Sintflut bezeugen könnten. MONTGOMERY fand jedoch am Tsangpo River markante Hinweise bei den Felsformationen, die eiszeitliche Spuren bezeugen.

Eine gewaltige glaziale Möräne bildete einen natürlichen Damm und staute den Fluss. Ein Dammbruch verursachte eine verheerende Flutkatastrophe. Einheimische Legenden berichten von Kämpfen eines Gurus, der den Buddhismus nach Tibet brachte und im Kampf gegen Flussdämonen soll die heutige Landschaft am Tsangpo River entstanden sein.

Ähnlich wie die tibetanischen Bewohner entlang des Tsangpo Rivers, erzählen Einheimische von einer gewaltigen Flutkatastrophe im Grand Canyon Gebiet und dem Colorado River. MONTGOMERY zeigt Zusammenhänge auf, die Ursache der Naturkatastrophe sein könnten.

Dagegen kann eine einzige Sintflut im biblischen Sinne nicht erklären, wie die verschiedenen mächtigen Sedimente entstanden sind. Leider reichen in der Veröffentlichung die zwei Abbildungen nicht aus, um eingefleischte Kreationisten wirklich zu überzeugen. Auch die Darstellungen der radiometrischen Untersuchungen bleiben für den wissenschaftlich interessierten Laien unklar. Aufgrund der geologischen bzw. geomorphologischen Kenntnisse über die Bildung von Felsformationen und Sedimenten sowie die Sichtweise der Einheimischen im Zusammenhang mit örtlichen alten Erzählungen einer Flutkatastrophe konnte MONTGOMERY somit eine Neubewertung des tatsächlichen Vorgangs einer Flutkatastrophe aufzeigen.

In einer Gesamtschau stützt eine Fülle von Veröffentlichungen (145 ausschließlich englischsprachige Quellen) eine Interdependenz von biblischer Sintflutdarstellung und Deutung bzw. Erkenntnis seitens der Wissenschaft im historischen Kontext. MONTGOMERY kommt zu dem Schluss dass eine einzige biblische Sintflut nicht im historischen Kontext gesehen werden kann und geologische Formen bilden konnte, wie wir sie aktuell sehen ("Is seeing believing, or is believing seeing ?"). Für den interessierten Laien sind aus naturwissenschaftlicher Sichtweise die Bildung geologischer Formen in einer aktuellen Veröffentlichung des Geologen Ted NIELD sehr hilfreich.4)

RDL ist für den interessierten Laien leicht lesbar und kommt ohne Fachchinesisch aus. MONTGOMERY setzt sich ausführlich mit der Sichtweise der Neo-Kreationisten auseinander, die mit Zunahme einer kreationistischen Strömung sich auf das für diese Denkweise maßgebend 1961 erschienene Standardwerk von WHITCOMB und MORRIS5) stützt und eine Art "Sintflutgeologie" begründet. Die beiden Autoren argumentieren, dass die Erde geologisch jung sei, und dass die meisten geologischen Schichten im Laufe eine Jahres als Sediment abgelagert wurden und eine einzige gigantische Sintflut die Erdoberfläche so verändert hat, wie wir sie heute vorfinden. Bereits im Jahre 1923 verfasste der Siebenten-Tages-Adventist George Mc Cready PRICE das Buch "The New Geology" als fundamentalistische Antwort zur etablierten Geologie.

Der Geologe Manfred STEPHAN, ein Mitarbeiter der kreationistischen Organisation "Wort und Wissen", hat versucht, eine "biblische Kurzzeit-Erdgeschichte" zu konstruieren und will dabei Schwachstellen von geologischen Sintflut-Modellen umgehen. Mit dieser Modifikation erfolgt jedoch die Verschiebung von einer pseudowissenschaftlichen Betrachtungsebene auf eine andere. Im Beitrag "Dynamische Denkweise trifft auf statische Denkweise" (veröffentlicht 9.5.2012 im Newsletter AG-Evolutionsbiologie) wurde darüber ausführlich berichtet.

RDL wendet sich vor allem gegen eine erstarkte kreationistische Strömung in den USA , die besonders im sogenannten "Bible Belt" die meisten Anhänger aufweist. Eine Erhebung des Pew Center aus dem Jahre 2005 ergab, dass 64 % der amerikanischen Gesamtbevölkerung Kreationismus, in welcher Form auch immer, im staatlichen Schulunterricht wünschen. Aufschlussreich sind die Zahlen, die MONTGOMERY in RDL (Notes, S. 259) anführt:

"Polls reporting the widespread acceptance of creationist ideas among the American public include: a 2001 National Science Foundation survey of science literacy that found more than half of American adults did not know that dinosaurs went extinct before people walked the earth; a 2004 ABC News Poll that reported more than half of Amercans believed that the biblical account of the creation was "literally true", and that Noah´s Flood was a global flood; and a 2005 Gallup Poll (August 5-7, 2005) that reported more than half of Americans believed that "creationism" was definitely or probably true."

RDL hat bereits Spuren in der amerikanischen Öffentlichkeit hinterlassen, was sich an zahlreichen Reaktionen ablesen lässt. Als informativer Beitrag sei hier auf David SESSIONs Rezension "How Noah's Flood Spurred Sience" sowie einer Rezension von Donald PROTHERO hingewiesen.6)

Viele heutige Exegeten einer biblischen Sintflut bestehen nicht auf einer Historizität, sondern weisen ihnen den Charakter eines Mythos, einer Legende oder Erzählung zu, in denen sich Glaubenserfahrung ausdrückt und dies (möglicherweise) vor dem Hintergrund bestimmter historischer Ereignisse oder Begebenheiten. Von römisch-katholischer oder protestantisch-katholischer Seite wird eine Geschichtlichkeit der Sintflut nicht als notwendiger Bestandteil christlichen Glaubens angesehen. Die biblische Sintflut ist Teil einer Sammlung mythischer Geschichten mit metaphorischen und symbolischen Bildern. Wer jedoch die Bibel wortwörtlich nimmt, hat ein Problem.




Fußnoten

[2] TOLLMANN, A. & TOLLMANN E. (1993) Und die Sintflut gab es doch. Vom Mythos zur historischen Wahrheit. Droemer Knaur, München.

[3] SCHÜLE, C. (2010) Die Bibel irrt - Die sieben großen Mythen auf dem Prüfstand. Hier: Kapitel Sintflut, S. 71 - 95. 1. Auflage, Rowohlt.

[4] NIELD, T. (2008) Superkontinent - Das geheime Leben unseres Planeten: Eine abenteuerliche Reise durch die Erdgeschichte, Kunstmann, München. (Leicht gekürzte Ausgabe, die Originalausgabe erschien unter dem Titel: 'Supercontinent. Ten Billion Years in the Life of Our Planet' bei Granta Books, London 2007.)

[5] WHITCOMB, J.C. & MORRIS, H.M. (1961) The Genesis Flood: The Biblical Record and Its Scientific Implications. The Presby- terian & Reformed Publishing Company, Philadelphia.


Nachtrag

Inzwischen hat der Journalist Timo ROLLER auf einer neuen Webseite, die sich mit dem im Frühjahr 2014 zur Präsentation geplanten amerikanischen Kinofilm "Noah" (Regisseur: Darren ARONOFSKY) befasst, eine Rezension zu MONTGOMERYs Buch "The Rocks Don't Lie" veröffentlicht. Diese Rezension gleicht eher einer Rechtfertigung von ROLLERs Vorstellungen einer einzigen biblischen globalen Sintflut im Sinne des Kurzzeit-Kreationismus. Abschließend kommt ROLLER zu folgender Ansicht (Zitat): "Leider scheint der Autor bessere Ansätze in der Schöpfungsforschung nicht zu kennen, mit denen versucht wird, die Erkenntnisse der Geologie zu deuten". Leider scheint ROLLER die ausführliche Zusammenstellung von Mark ISAAK "Problems with a Global Flood" nicht zu kennen, obwohl Thomas WASCHKE diese grundlegende Arbeit (2. Auflage, 1998) ins Deutsche übersetzte, ins Internet stellte und somit auch für die deutschsprachige Leserschaft verfügbar gemacht hat. Die Evidenz einer einzigen biblischen globalen Sintflut ist gleich Null.

ROLLER stellt die Frage, ob die Bibel lügen würde, wenn Felsen die Wahrheit verkünden würden, falsch. Das ist nicht der Punkt. Wissenschaftlicher Blickwinkel und biblischer Blickwinkel sind zwei Betrachtungsebenen, die nicht miteinander verschränkt werden dürfen. Insofern ist eine wortwörtliche Auslegung der biblischen Sintflut ein unfruchtbarer Ansatz, der in eine Sackgasse führen muss. Würde man die Bibel wortwörtlich nehmen anhand der genealogischen und chronologischen biblischen Angaben, dann müsste sich um 2300 v.Chr. eine globale Sintflut ereignet haben. Doch die Befunde sprechen eine andere Sprache.

Autor: Wolfgang Jähnig

Copyright: AG Evolutionsbiologie