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Bericht

Stanley Miller, Ursuppe und die chemische Evolution

Herrschten in der Uratmosphäre ungeeignete Bedingungen für die Entstehung des Lebens?


Stanley Miller

Wie elementare Schritte auf dem Weg zur Entstehung des Lebens ausgesehen haben könnten, ist in einigen Bereichen schon entschlüsselt worden. Inzwischen haben wir für vieles, was vor Jahren noch rätselhaft erschien, recht gut begründete Vorstellungen und Modelle. Die heutige Wissenschaft bietet mögliche Lösungen in Gestalt präbiotisch relevanter Synthesewege für Probleme an, die lange Zeit unlösbar schienen, wie etwa das Problem der Entstehung langer RNA-Ketten in wässrigem Milieu (SZOSTAK 2009; COSTANZO 2009) oder von biologischer Chiralität (KAISER 2009).

Das Experiment von Stanley Miller zur Simulation einer "Ursuppe" liefert nur einen Baustein im Erklärungsgebäude der chemischen Evolution, und noch nicht einmal einen eminent wichtigen. Schon lange bekannt, dass MILLERs Annahme hinsichtlich einer stark reduzierenden Atmosphäre nicht korrekt war. Diese Einsicht wurde kürzlich noch einmal durch geologische Befunde untermauert. Doch was ändert sich dadurch?

Einführung: MILLER-Experimente in reduzierender Atmosphäre

Es ist eine alte Vermutung, dass die Zusammensetzung der Atmosphäre im Frühstadium der Erde vor ca. 3,8 bis 4,3 Mrd. Jahren im Wesentlichen der Zusammensetzung der Gashülle von Planeten wie Jupiter und Saturn entsprach. Bereits in den 1940er Jahren zog der Atmosphärenspezialist Harold C. UREY aufgrund der damals neuesten Erkenntnisse aus den Bereichen der Geo- und Kosmochemie den Schluss, dass die Uratmosphäre (auch: "erste Atmosphäre" genannt) vor allem aus reduzierenden Gasen wie Methan (CH4), Ammoniak (NH3) und Wasserstoff (H2) bestanden habe.

Diese Annahme erschien plausibel, da im Kosmos fast ausschließlich das Element Wasserstoff vorkommt, welches reduzierend wirkt. Seine Annahmen fasste er in dem 1952 erschienenen Buch "The planets - their origin and development" zusammen. Unter dem Einfluss elektrischer Entladungen und UV-Strahlung konnten die Atmosphärengase zu organischen Verbindungen wie Aminosäuren - den Bausteinen des Lebens - reagieren, die sich in den Urozeanen allmählich anreicherten ("Theorie der Ursuppe").

Diese Vermutung wurde schon in den 1920er Jahren von dem russischen Biochemiker Aleksandr I. OPARIN und dem britischen Genetiker John B. S. HALDANE geäußert, doch die experimentelle Bestätigung ließ bis 1953 auf sich warten. In diesem Jahr entwarf der UREY-Schüler Stanley L. MILLER ein Experiment, welches basierend auf den Annahmen UREYs die Bedingungen der frühen Erde simulieren sollte.

In einem Kölbchen brachte er Wasser zum Sieden. Der Wasserdampf gelangte in einen Rundkolben seiner Apparatur, der zuvor mit einem Gemisch aus Methan, Ammoniak und Wasserstoff befüllt worden war. Über Elektroden wurde eine Funkenstrecke erzeugt, um die elektrischen Entladungen in der Atmosphäre zu simulieren, die in der Frühzeit der Erde, hervorgerufen durch vulkanische Eruptionen und starke Gewitter, unablässig auftraten (Abb. 1). Im Laufe mehrerer Tage sammelten sich in der Vorlage, nebst einem teerartigen Kondensat, bedeutsame Mengen organischer Substanzen (MILLER 1953).

Apparatur von Stanley Miller zur Ursuppe

Abb 1: Mit einfachen Mitteln zeigte Stanley MILLER, wie sich aus den hypothetischen Bestandteilen der ersten Atmosphäre die Bausteine des Lebens auf der frühen Erde bilden konnten. Dazu füllte er in einen gläsernen Rundkolben Methan, Ammoniak und Wasserstoff ein und setzte das Gasgemisch elektrischen Funkenentladungen aus. Wasserdampf gelangte über ein Rohr ebenfalls in die Apparatur.

Es wird überliefert, UREY habe angenommen, bei einem solchen Experiment würde "Beilsteins Handbuch der Organischen Chemie herauskommen", das heißt eine Unzahl verschiedener organischer Verbindungen, die für Lebewesen überwiegend nicht relevant sind. Umso größer war die Überraschung, dass genau Gegenteiliges der Fall war: Man fand die vier häufigsten bei Lebewesen bekannten (proteinogenen) Aminosäuren, hauptsächlich Glycin und Alanin aber auch Asparaginsäure und Glutaminsäure, daneben wichtige Carbonsäuren sowie Verbindungen mit biologisch wichtiger Funktion wie z.B. Harnstoff und Sarcosin.

In den 1970er Jahren wiederholte MILLER mit Hilfe seiner Mitarbeiter das Experiment und konnte genauere Ergebnisse durch bessere analytische Methoden erzielen. In Rückstellproben aus den MILLER-UREY-Experimenten fand man drei weitere proteinogene Aminosäuren, nämlich Serin, Valin und Phenylalanin sowie wichtige Naturstoffe wie Harnstoff, Ornithin und 3-Hydroxyasparagin (JOHNSON et al. 2008).

Auffällig ist, dass im MILLER-UREY-Experiment just diejenigen proteinogenen Aminosäuren entstanden sind, die sich sowohl bei Vulkanausbrüchen in größter Menge bilden als auch in Proteinen heutiger Lebewesen am häufigsten vorkommen. Dieses spezifische Phänomen kann nur mit einer chemischen Evolution differenziert erklärt werden - und es ist wissenschaftlich gezeigt, dass sich Bausteine des Lebens unter physikalisch-chemischen aus reduzierenden Atmosphärengasen Bedingungen bilden können.

Falsche Annahmen über die Zusammensetzung der Uratmosphäre

Obwohl die chemischen Befunde, die MILLERs Experimente erbrachten, in der Fachwelt nicht angezweifelt wurden, gab es abweichende Ansichten über die Relevanz von MILLERs Versuchsaufbau. Bereits 1966 wurden die Annahmen hinter MILLERs Ursuppenexperiment von dem amerikanischen Chemiker Philip H. ABELSON in Frage gestellt (ABELSON 1966). Er legte dar, dass die erste Atmosphäre nicht aus reduzierenden Gasen bestanden haben konnte. Zum einen verflüchtigt sich Wasserstoff schnell in den Weltraum.

Andererseits werden Methan und Ammoniak durch Sonneneinstrahlung rasch photochemisch zersetzt und mit Spaltprodukten des Wassers zu den "neutralen Gasen" Kohlendioxid (CO2) und Stickstoff (N2) nebst geringen Mengen von Kohlenmonoxid (CO) oxidiert. Außerdem müsste eine reduzierende Uratmosphäre durch geologische Befunde zu untermauern sein. Beispielsweise müssten die ältesten Gesteine eine große Menge an Kohlenstoff von hydrophoben organischen Verbindungen enthalten. Dies ist aber nicht der Fall.

Die Diskussion darüber, ob die Zusammensetzung der urzeitlichen Atmosphäre reduzierend war oder eher "neutral", findet vereinzelt noch heute statt. Im Allgemeinen wird jedoch von einer nur schwach reduzierenden oder neutralen Atmosphäre zu dieser Zeit ausgegangen. Diese Annahme wurde unlängst durch geologische Befunde erhärtet (TRAIL et al. 2011).

TRAIL und Mitarbeiter untersuchten so genannte Zirkone, die zu den ältesten Mineralien gehören, die sich auf der Erde bilden konnten. Zirkone (Abb. 2) sind Bestandteil von Granit und anderen plutonischen Gesteinen und bilden extrem stabile Kristalle aus Zirkoniumsilicat, die in abkühlendem Magma auskristallisieren. In das Kristallgitter werden häufig andere Schwermetalle wie Uran, Hafnium und Cer eingebaut, die einerseits sehr präzise radiochemische Datierungen erlauben (so konnten die ältesten Zirkone auf 4,28 Mrd. Jahre datiert werden), andererseits auch Rückschlüsse über den Oxidationsstatus der Magmaschmelzen auf der Urerde gestatten, in der die Zirkone auskristallisierten.

Zirkon

Abb. 2: Roter Zirkon aus Gilgit, Pakistan. Bildquelle: Rob Lavinsky, iRocks.com – CC-BY-SA-3.0, Zircon-49506, CC BY-SA 3.0.

Da das Element Cer in zwei verschiedenen Oxidationsstufen vorkommt, könnte das Verhältnis beider Formen etwas über die reduzierenden Bedingungen aussagen, und damit möglicherweise auch etwas über die Zusammensetzung der frühen Atmosphäre. So wäre unter reduzierenden Bedingungen überwiegend die dreiwertige Form (CerIII) zu erwarten. Man findet jedoch Verhältnisse, die Oxidationsbedingungen nahelegen, die weitgehend den heutigen Bedingungen entsprechen. Daraus könnte man schließen, dass die Uratmosphäre überwiegend aus H2O, CO2, N2 und SO2 bestand.

Und was machen die Kreationisten aus diesem Befund?

Immer wenn ein Befund bei isolierter Betrachtung den Anschein erwecken könnte, als spräche er gegen Evolution, ruft dies die Kreationisten auf den Plan. So werden die Ergebnisse von Trail et al. (2011) inzwischen auf diversen Websites zitiert, um den Eindruck zu erwecken, es sei der wissenschaftliche Nachweis erbracht worden, dass die Zusammensetzung der frühen Atmosphäre ungeeignet für die Entstehung des Lebens gewesen sei. In dieses Horn bläst auch der Chemiker Dr. Harald BINDER von der Studiengemeinschaft WORT UND WISSEN (BINDER 2012). BINDER stellt die Situation so dar, als sei schon immer "unbekannt" gewesen, wie "unter mutmaßlichen Bedingungen einer hypothetischen frühen Erde Leben entstehen konnte". Nun scheint der Befund von TRAIL et al. (2011) zu zeigen, "dass dafür auch keine geeigneten Atmosphären-Bedingungen geherrscht haben".

Man muss sich aus zwei Gründen fragen, weshalb BINDER die Erkenntnisse von TRAIL et al. für erwähnenswert hält. Der erste Grund ist, dass "Deutungen" von Experimentalergebnissen, die zur Rekonstruktion historischer Verhältnisse (etwa bezüglich der Zusammensetzung der Uratmosphäre) herangezogen werden, von den Kreationisten (im Gegensatz zu den Naturwissenschaftlern!) doch ohnehin als nicht beweiskräftig eingestuft werden (vgl. z.B JUNKER/SCHERER 2006, 16f.).

In diesem Zusammenhang fällt auf, dass die Studie über die Zusammensetzung der Zirkone BINDER zwar als willkommener Anlass dient, eine reduzierende Uratmosphäre zu verneinen. Der ebenso aussagekräftige Befund hinsichtlich des radiometrischen Alters der ältesten Zirkone von 4,3 Mrd. Jahren wird dagegen verworfen bzw. gar nicht erst beachtet, weil er das Dogma von der 6000 Jahre alten Erde widerlegt.

Offensichtlich gilt für WORT UND WISSEN der Grundsatz: "Nutze die Ergebnisse der Wissenschaft immer dann, wenn du sie brauchen kannst, verwerfe sie aber, wenn sie mit Deiner rigoristischen Bibelauslegung unvereinbar sind". Akzeptiert wird nur das, was qua "Offenbarung" geglaubt wird und mit der Offenbarung kompatibel ist. Eine derart selektive, durch Dogmen beeinträchtige Aufbereitung und Interpretation wissenschaftlicher Befunde ist nicht akzeptabel; religiöse Werte wie Offenbarung und subjektive Bewertung der Fakten (die teilweise trotz schwerster innerer Widersprüche und erdrückender Evidenzen vertreten werden), haben in der Wissenschaft keinen Platz.

Der andere Grund, warum BINDER sich den Text hätte sparen können, ist, dass es sich bei der aus der Studie abgeleiteten These um alles andere als um eine revolutionäre Erkenntnis handelt. BINDER "vergisst" zu erwähnen, dass MILLERs Annahmen über die Zusammensetzung der Uratmosphäre in der Fachwelt schon seit langem nicht mehr vertreten werden, da nach geochemischem Wissensstand eher eine neutrale Atmosphäre anzunehmen ist (PLANKENSTEINER et al. 2004). Und er übergeht stillschweigend, dass die Wissenschaft auch nicht auf die Annahme einer reduzierenden Erdatmosphäre angewiesen ist, um die Entstehung der Bausteine des Lebens zu erklären!

Selbst wenn die gesamte Uratmosphäre eine nicht reduzierende Zusammensetzung aufwies, können lokal präbiotische Synthesen unter reduzierenden Bedingungen effektiv abgelaufen sein (JOHNSON et al. 2008). Reduzierte Gase und Entladungen treten etwa bei Vulkaneruptionen auf. Ein entsprechendes Szenario bietet die "Eisen-Schwefel-Welt" in der Tiefsee.

Weisser Raucher: Wiege des Lebens?

Die Gase, die den hydrothermalen Quellen (den "Weißen Rauchern" der Tiefsee) entsteigen, sind im Gegensatz zur Uratmosphäre schwach bis stark reduzierend, denn es können neben CO2, N2, SO2 und H2O in wechselnden Gewichtsanteilen Gase wie Schwefelwasserstoff, Methan, Ammoniak und Wasserstoff vorkommen. Zudem wird durch Reaktion von Stickstoff und Schwefelwasserstoff in einer wässrigen Suspension von Eisensulfid Wasserstoff und Ammoniak zur Verfügung gestellt, das zu den in den MILLER-Synthesen nachgewiesenen Reaktionsprodukten reagieren kann (WEIGAND et al. 2003). Es herrscht also weitgehend Konsens darüber, dass das Leben nicht global, sondern in bestimmten Nischen der Urerde entstanden ist, die passende Bedingungen für deren Entstehung boten.

Erwähnenswert ist auch, dass MILLERs Experimente (das dürfte auch BINDER bekannt sein) unter vielfach abgewandelten Reaktionsbedingungen wiederholt wurden. Keineswegs wurden dabei nur reduzierende Gase eingesetzt, sondern in vielfältiger Variation die Randbedingungen meist nach spezifisch irdischen Bedingungen ausgewählt. Als Ausgangsstoffe dienten in wechselnder Kombination Atmosphärengase wie N2, CO2, H2O und Gase, die aus Vulkanen oder hydrothermalen Schloten austreten (wie CO, NH3, CH4, H2S, H2) oder einfache Produkte, die aus der Reaktion dieser Gase hervorgehen, wie Formaldehyd, Harnstoff, Blausäure, Formamid oder Cyanoacetylen.

Besonders aufschlussreich ist: Fast alle Experimentatoren meldeten Erfolge, kaum einer zog eine Niete! Auch unter Verwendung neutraler Gase wie CO2, H2O und N2 bildeten sich proteinogene Aminosäuren (PLANKENSTEINER et al. 2004). Die Ausbeute war zwar gering, da in den Experimenten oxidierende Komponenten wie Nitrit und Nitrat entstanden, aber trotzdem eindeutig. Allerdings lässt sich durch Zugabe von reduzierenden Reagenzien wie zweiwertigem Eisen (Fe2+), das nach heutigem Wissen in den sauerstofffreien Ozeanen der Urerde reichlich vorhanden war, die Ausbeute um ein Viel-Hundertfaches steigern (CLEAVES et al. 2008).

Es scheint also vollkommen gleich zu sein, auf welche Ausgangsstoffe man zurückgreift. Hauptsache ist, dass das Gemisch Kohlenstoff, Wasserstoff und Stickstoff enthält und eine Energiequelle vorhanden ist, die die chemischen Bindungen neu "ordnet". Es ist schlichtweg unverständlich, wie BINDER zu der Auffassung gelangt, auf der Urerde herrschten "ungünstige Bedingungen" für die Entstehung der Grundbausteine des Lebens (sieht man einmal von seiner religiösen Voreingenommenheit ab). Selbst im Weltraum (ein "noch ungünstigerer Ort" für die Entstehung des Lebens, wie man meinen sollte) und in bestimmten Meteoriten konnten bis heute fast alle Grundbausteine des Lebens, unter anderem 19 proteinogene Aminosäuren, Zucker und sogar DNA-Basen, nachgewiesen werden.

Wir sehen: Die moderne Wissenschaft ist nicht auf MILLERs historisches Experiment angewiesen. Es sind bis heute unzählige präbiotisch relevante Synthesewege bekannt, die über MILLERs Versuche hinaus gehen, etwa zur:

▪ Synthese von Biomolekülen unter hydrothermalen Bedingungen auf Pyrit (CODY et al. 2000),

▪ Rolle von Mehrkomponenten-Systemen bei der Entstehung von Biomolekülen wie Ribonukleotiden (POWNER et al. 2009),

▪ Bildung von Aminosäuren, DNA-Bausteinen und Metaboliten des Citratzyklus in Meteoriten (CALLAHAN et al 2011; COOPER et al. 2011),

▪ Entstehung langer RNA-Ketten in wässrigem Milieu (COSTANZO et al. 2009) oder in Meereis bis zu einer Länge von 400 Gliedern (TRINKS et al. 2005),

▪ selektiven Unterdrückung "unerwünschter" Nebenreaktionen (POWNER et al. 2009),

▪ selektiven Aufreinigung und Aufkonzentrierung biologisch relevanter Verbindungen auf Kristalloberflächen oder in Meereis (DASGUPTA/MO 1997; TRINKS et al. 2003),


und vieles weitere. Daran gemessen sind die von BINDER verlinkten Texte über die Entstehung von Proteinen und Nukleinsäuren nicht auf dem neuesten Stand.

Fazit

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass heute zwar noch immer nicht sicher gesagt werden kann, wie das Leben im Detail entstanden ist. Dies wird vermutlich auch niemals möglich sein, denn die Nischen und Bedingungen auf der Erde sind zu vielfältig und zu heterogen, als dass eine einheitliche oder gar vollständige Erklärung erreicht werden könnte. Dabei ist auch nicht zu vergessen, dass Fließgleichgewichte, Zufallsereignisse und ab einer bestimmten Stufe auch das Wirken von Selektion ein einheitliches Erklärungs- und Simulationsschema unmöglich machen. Für eine naturwissenschaftliche Rekonstruktion der Entstehung des Lebens ist das auch gar nicht nötig!

Ausschlaggebend für die evolutionäre Argumentation ist nur, dass ein weiter Bereich von (irdischen und kosmischen) Randbedingungen nach den Gesetzen der Physik und Chemie zur Entstehung der Grundbausteine des Lebens führt. Die Entstehung von Biomolekülen unter plausiblen Bedingungen ist möglich. Und dabei ist auch noch zu erwähnen, dass in Modellexperimenten und Meteoriten nicht etwa beliebige organische Substanzen nachgewiesen wurden. Vielmehr sind es meist solche, die in irdischem Leben eine besondere Rolle spielen. Selbst so komplexe Biomoleküle wie Porphyrine konnten unter gleichsam unspezifischen "Ursuppen-Bedingungen" erzeugt werden (HODGSON/PONNAMPERUMA 1968).

Auch wenn die Uratmosphäre nicht (stark) reduzierend war, so bieten doch bestimmte Bereiche auf der Erde sehr wohl reduzierenden Charakter. Daher ist es eigentlich müßig, wenn heute immer noch versucht wird, die Grundannahmen, die MILLERs historischem Experiment zugrunde lagen, zu erschüttern. Die wissenschaftliche Karawane ist längst weitergezogen; mehr als Strohmann-Argumente liefern Texte wie derjenige aus der Feder Harald BINDERs daher nicht.

Literatur

ABELSON, P.H. (1966) Chemical Events on the Primitive Earth. PNAS 55, 1365.

BINDER, H. (2012) Frühe Erdatmosphäre - ungünstige Bedingungen für chemische Synthesen. Zugr. a. 13.01.2012.

CALLAHAN, M.P. et al. (2011) Carbonaceous meteorites contain a wide range of extraterrestrial nucleobases. PNAS 108, 13995-13998.

CLEAVES, H. J. et al. (2008) A reassessment of prebiotic organic synthesis in neutral planetary atmospheres. Origins of Life and Evolution of the Biosphere 38, 105-115.

CODY, G.D. et al. (2000) Primordial carbonylated iron-sulfur compounds and the synthesis of pyruvate. Science 289, 1337-1340.

COOPER, G. et al. (2011) Detection and formation scenario of citric acid, pyruvic acid, and other possible metabolism precursors in carbonaceous meteorites. PNAS 108, 14015-14020.

COSTANZO, G. et al. (2009) Generation of long RNA chains in water. Journal of Biological Chemistry 284, 33206-33216.

DASGUPTA, P.K./MO, Y. (1997) Chromatography on water-ice. Analytical Chemistry 69, 4079-4081.

HODGSON, G. W./PONNAMPERUMA, C. (1968) Prebiotic porphyrin genesis: porphyrins from electric discharge in methane, ammonia and water vapor. PNAS 59, 22-28.

JOHNSON, A. P. et al. (2008) The miller volcanic spark discharge experiment. Science 322, 404.

JUNKER, R./SCHERER, S. (2006) Evolution. Ein kritisches Lehrbuch. 6. Auflage, Weyel.

KAISER, P.M. (2009) Die chemische Evolution: Hat es sie gegeben und wenn ja, wie sah sie aus? In: NEUKAMM, M. (Hg.) Evolution im Fadenkreuz des Kreationismus. Göttingen, 171-211.

MILLER, S.L. (1953) A production of amino acids under possible primitive earth conditions. Science 117, 528-529.

PLANKENSTEINER, K. et al. (2004) Simulation einer präbiotischen Bildung von Aminosäuren in einer neutralen Atmosphäre durch elektrische Funkenentladungen. Angewandte Chemie 116, 1922-1924.

POWNER, M. W./GERLAND, B./SUTHERLAND, J. D. (2009) Synthesis of activated pyrimidine ribonucleotides in prebiotically plausible conditions. Nature 459, 239-242.

SZOSTAK, J.W. (2009) Systems chemistry on early earth. Nature 459, 171-172.

TRAIL, D./WATSON, E.B./TAILBY, N.D. (2011) The oxidation state of Hadean magmas and implications for early earth's atmosphere. Nature 480, 79-82.

TRINKS, H./SCHRÖDER, W./BIEBRICHER, C. (2003) Eis und die Entstehung des Lebens. Aachen.

TRINKS, H./SCHRÖDER, W./BIEBRICHER, C. (2005) Ice and the origin of life. Origins of Life and Evolution of the Biosphere 35, 429-445.

WEIGAND, W. et al. (2003) Possible prebiotic formation of ammonia from dinitrogen on iron sulfide surface. Angewandte Chemie 115, 1579.


Autor: Martin Neukamm

Copyright: AG Evolutionsbiologie