Allgemeines

Homepage
Newsticker
Videothek
Impressum

 

Publikationen


Datenschutz

 

     

Druck-Version   Druck-Version

      

Diskussionsbeitrag

     

Warum Intelligent Design (ID) im Bereich der Naturwissenschaften derzeit keine Existenzberechtigung hat


In: Kutschera, U. (2007) Kreationismus in Deutschland. Lit-Verlag, München, S. 109-115

       

ID ist auf der einen Seite uralt, auf der anderen Seite hochaktuell. Woran liegt das? ID wurde, soweit ich sehe, aus zwei Gründen aus der Versenkung geholt. Der eine ist eher uninteressant: ID ist ein Sammelbecken für Menschen, die mit dem Naturalismus nicht zufrieden sind, aber dennoch die Erkenntnisse der modernen Naturwissenschaften nicht ablehnen möchten. Die Gründe sind vielschichtig. Sie reichen von Menschen, die dadurch enttäuscht wurden, dass sie erkannten, dass die in der Schule und in den Medien verkündeten Mechanismen nicht das leisten, wozu sie angeblich in der Lage sind. Andere Menschen meinen, dass eine ungelenkte Evolution Probleme für eine Ethik mit sich bringen könnte. Ein Mensch, der "einfach so" entstand und keinem Schöpfer gegenüber verantwortlich ist, muss seine Verhaltensnormen selber definieren, was immer ein subjektives Element enthält, das deren Geltung infrage stellt. 

Diese Form von ID ist meist diffus und wird von Vertretern der ID-Bewegung oft gar nicht als ID anerkannt. ID reicht ja von einem deistischen Designer, der die Naturgesetze schuf und seither nicht mehr eingreift, bis hin zum Occasionalismus, nach dessen Vorstellung der Designer buchstäblich jede einzelne chemische Bindung knüpft. ID ist, so gesehen, eigentlich gar keine eingenständige Auffassung wie beispielsweise der Kurzzeit-Kreationismus oder eine theistische Evolution, sondern eine Denkweise, die auf der Basis vieler verschiedener Weltanschauungen vertreten werden kann. Mustergültig hat das der Kurzzeit-Kreationist Ross in einem lesenswerten Artikel [1] dargestellt. Der eine oder andere Mitleser wird wohl auch die Festschrift für Johnson besitzen, dort findet man eine überarbeitete Version, an der auch der Kurzzeit-Kreationist Nelson mitgearbeitet hat [2]. 

Wesentlich konkreter und nur aus den amerikanischen Verhältnissen zu verstehen ist die moderne Variante des ID. Angeblich soll es möglich sein, mit wissenschaftlichen Methoden nachzuweisen, dass es einen Designer geben muss. An dieser Stelle sei angemerkt, dass ich hier unter "Wissenschaft" das verstehe, was im Englischen unter "science" verstanden wird: nur die Naturwissenschaften. Auf die Frage, ob ID, falls es den Anspruch, eine Naturwissenschaft zu sein, nicht einlösen kann, als Geisteswissenschaft betrieben werden kann, soll nicht weiter eingegangen werden. ID erhebt den Anspruch, naturwissenschaftlich zu argumentieren, und nur daran soll es gemessen werden. Sollte dieser Anspruch eingelöst werden, hätte das auch einen erwünschten Nebeneffekt: ID könnte auch in amerikanischen Schulen, denen es durch einen Verfassungsartikel verboten ist, religiöse Inhalte zu lehren, als Wissenschaft behandelt werden. 

Martin Neukamm [3] hat in einer Kritik eines Aufsatzes von Reinhard Junker, der sich mit der Frage befasst, ob ID ein "science-stopper" sei, anschaulich angeführt, wie ID seinen Anspruch einlösen könnte, echt naturwissenschaftlich zu argumentieren. Entweder, ID kann zeigen, dass es sich bei den postulierten Schöpfungsakten um Erfahrungstatsachen handelt. Die zweite Möglichkeit bestünde darin, "Intelligent Design so auszuformulieren, dass es über ein System von Gesetzesaussagen und Mechanismen verfügt, die sich derart konsistent und erklärungsmächtig in die Wissenschaftslandschaft eingliedert, dass es eine ernstzunehmende Konkurrenz zu evolutionären Betrachtungen darstellt." [3: 2]. 

ID macht aber weder zu den Eigenschaften des Designers noch zu dessen Methode der Schöpfung irgendwelche Aussagen. Der Grund ist einfach, und darüber besteht auch Konsens: die Untersuchung derartiger Fragen liegt jenseits der Erkenntnismöglichkeiten des Menschen. Daher stehen die beiden genannten Alternativen ID nicht zur Verfügung. 

Die Frage ist, wie ID nun trotzdem als Wissenschaft betrieben werden kann. Angeblich gelingt es ID, eine Signalerkennungstheorie zu sein. Dieser Weg ist aber der nach Neukamms Auffassung sehr "steinige Weg": ID muss praktisch eine eliminative Induktion leisten. "Man müsste alle denkbaren 'Pfade' der organismischen Entwicklung kennen und zeigen können, dass bestimmte Merkmale unter den einst herrschenden Randbedingungen nicht entstehen konnten." [3: 2]. Das Problem besteht hier darin, dass ID erst ganz am Ende der Untersuchung stehen kann, eben weil es aufgrund der fehlenden Aussagen über die Art und Weise des Designs oder der Eigenschaften des Designers gar nicht möglich ist, zu erkennen, ob Design vorliegt. Man kann dann zwar methodisch wissenschaftlich arbeiten, aber man kann nicht behaupten, dass man ID erforscht. Eine Signalerkennungstheorie ist nicht möglich, wenn man gar nicht weiß, was ein Signal ist. 

Die meisten Beispiele, die ID-Autoren nennen, sind trivial. Seien es die Figuren auf den Osterinseln, die Präsidentenköpfe im Mt. Rushmore, die Artefakte, mit denen sich die Archäolgie befasst, die Indizien, die für einen Mord sprechen, der Nachweis von Fälschungen und und und, zählen alle nicht. Sie alle befassen sich mit menschlichem Design. Niemand bestreitet, dass Menschen zu Design in der Lage sind, und niemand bestreitet, dass die genannten Systeme ohne Zutun des Menschen nicht entstehen können. Darüber besteht auch Konsens, denn diese Systeme müssen alle Komplexität in einer Generation erwerben, was ohne Design nicht möglich ist. Eine gewisse Ausnahe ist nur SETI, also die Suche nach extraterrestrischen Intelligenzen. Auch dieser Grenzfall ist kein Argument, denn das System, das untersucht wird (Funksignale), ist ein Ein-Generationen-System. 

Nach Reinhard Junker [4] bietet diese Analyse einen positiven Analogie-Schluss auf ID bei den Systemen, um die es eigentlich geht. Aber eben dieser Schluss ist nicht möglich, denn die interessanten Systeme, nämlich die Lebewesen, haben eine Eigenschaft, die sie von allen genannten Systemen unterscheidet: sie sind zur Selbstvermehrung fähig, eben zu "descent with modification". Das ist keineswegs eine nur deskriptive Kategorie, sondern genau der Punkt, der den Schluss von Artefakten auf Naturgegenstände unmöglich macht. Aus Eigenschaften von Ein-Generationen-Systemen kann man nicht auf Mehr-Generationen-Systeme schließen. Ausführlich habe ich das in einem älteren Artikel, den ich heute nicht mehr so schreiben würde, dargestellt [5]. Dabei spielt zunächst keine Rolle, ob das Vorliegen von descent with replication designed aussieht, denn wir sehen ja nur die Endstufen einer Entwicklung, nicht die Entwicklungspotenzen einfacherer Systeme. 

Wir kennen die Eigenschaften beispielsweise von Stein hinreichend, um beurteilen zu können, dass die bekannten Mechanismen der Erosion keine Präsidentenköpfe aus dem Gestein des Mt. Rushmore formen können. Niemand verschwendet hier auch nur einen Gedanken an noch nicht bekannte Mechanismen. Und zwar einfach deshalb, weil wir wissen, dass ein Mensch dieses System schuf. Dasselbe gilt für alle Artefakte. Niemand kann ausschließen, dass ein Alien uns besuchte und zum Zeitvertreib versuchte, das nach zu machen, was die Steinzeitmenschen um ihn herum so trieben. Aber niemand käme auch auf die Idee, einen Faustkeil als Argument für Außerirdische zu verwenden. Die Analogie ist einfach unplausibel. 

Organismen sind schlicht und ergreifend einzigartig. Sie haben einen Bau- und Energiestoffwechsel, das bedeutet, dass sie Nährstoffe zu sich nehmen können, aus denen sie Energie gewinnen, und die sie in ihren Körper einbauen und auch bei der Reproduktion verwenden. Roboter können das prinzipiell nicht. Kein Roboter kann so konstruiert werden, dass er Erze frisst und daraus Metalle zum Ersatz korrodierter Bauteile herstellt. Aus der Eigenschaft der Organismen zu descent with modification folgt, dass die Analogie via Artefakte nicht plausibel ist. Das war übrigens schon Humes Argument [6: 27ff]. 

Das positive Argument ist daher gescheitert. Was bleibt ist dann nur noch das negative Argument, also ein argumentum ad ignorantiam: wir wissen nicht in allen Einzelheiten, wie sich derartige Systeme ohne planerische Eingriffe entwickeln können. Das ist aber keinesfalls eine Patt-Situation, sondern ein wesensmäßiger Unterschied. Man kennt Mechanismen, die zumindest das Potenzial dazu haben, Neuheiten in der Evolution entstehen lassen zu können. Es handelt sich daher um eine Extrapolation und nicht, wie im Falle von ID, um eine Analogie. Eine Extrapolation ist um Größenordnungen überzeugender als jede Analogie, denn sie ist zumindest prüfbar. Nun kann ID natürlich sagen, dass es genau das macht, und die Darstellung nach der Prüfung verwirft. Technisch gesehen hat ID damit nichts für die eigene Position erreicht: die Widerlegung einer Alternative ist kein Beweis für eine andere Alternative, es sei denn, man kennt alle Alternativen, und nur zwei bleiben möglich. ID vs. ungelenkte Mechanismen ist keine gültige Alternative, denn hier wird willkürlich der eigenen Position der gesamte Rest gegenübergestellt. Wie wenig Sinn das macht, wird schon daran deutlich, wenn man konkret angeben soll, was denn ID nun konkret behauptet. Die Anzahl der verschiedenen Auffassungen innerhalb von ID dürfte nicht kleiner sein als die innerhalb des "Rests". 

Natürlich wird ID nun einwenden, dass das eine Immunisierungsstrategie des Naturalismus ist: wenn alle bekannten Mechanismen widerlegt sind, kann man immer noch behaupten, es gäbe welche, die noch nicht bekannt sind. Letztendlich ist das auch die Wahl zwischen einer Analogie ("Menschen können schaffen, was ungelenkte Prozesse nicht können") und einer Extrapolation ("Wir kennen Mechanismen, die bestimmte Dinge leisten, daher vermuten wir, dass es auch Mechanismen gibt, die den Rest schaffen"). Dazu kommt noch eine weitere Asymmetrie: wenn die Entstehung einer Struktur naturalistisch erklärt wurde, kann ID immer noch sagen, dass es durchaus noch andere Strukturen gibt, deren Genese eben noch nicht erklärt werden kann. So gesehen fordert ID auch eine Art eliminativer Induktion ein: erst wenn alles erklärt wurde, ist kein Designer mehr plausibel. Ist das nicht auch eine Immunsierungsstratigie? Ein einziges Beispiel für Design würde auf der anderen Seite den Naturalismus endgültig widerlegen. Daher ist die naturalistische Position viel leichter prüfbar. 

Aus den genannten Gründen halte ich den Ansatz von ID, eine ernsthafte Alternative zur naturalistischen Wissenschaft zu sein, für gescheitert. Auf der einen Seite kann ID weder eine ausformulierte Theorie vorbringen, woraus folgt, dass es nicht möglich ist, plausibel zu machen, dass eine Struktur designed wurde. Auf der anderen Seite ist eine eliminative Induktion, zumindest für die Systeme, die eigentlich interessant sind, praktisch nicht möglich. Daraus folgt, dass ID nur der Analogieschluss bleibt. Der basiert aber auf der Ähnlichkeit zwischen zwei Systemen, die man erst beurteilen kann, wenn man beide Systeme gut erforscht hat. Das ist bei Naturgegenständen noch nicht der Fall. 

Daher ist ID zurzeit als Wissenschaft ein fünftes Rad am Wagen. Es kann nur naturalistisch forschen und hoffen, dass man an Grenzen stößt. Und an diesen Grenzen beginnt nicht Design, sondern Nichtwissen.

   

Literatur 


[1] Ross, M.R. (2005) 'Who Believes What? Clearing up Confusion over Intelligent Design and Young-Earth Creationism' Journal of Geoscience Education 53 (3):319-323 URL: https://nagt.org/files/nagt/jge/abstracts/Ross_v53n3p319.pdf letzter Zugriff: 03.10.2005

[2] Ross, M.R.; Nelson, P.A. (2006) 'A Taxonomy of Teleology: Phillip Johnson, the Intelligent Design Community and Young-Earth Creationism' in: Dembski, W.; (ed.) 'Darwin's Nemesis. Philipp Johnson and the Intelligent Design Movement' Leicester, Inter-Varsity Press S. 261-275

[3] Neukamm, M. (2007) 'Das Methodeninventar in der Ursprungsforschung: Was spricht für Intelligent Design? Ein Kommentar zum Beitrag: "Sind Kreationismus und Intelligent Design 'science stopper'?" von R. Junker' URL: https://ag-evolutionsbiologie.de/app/download/3174081302/junker_axonas.pdf letzter Zugriff: 03.02.2007

[4] Junker, R. (2006) 'Irreduzible Komplexität (Stand: 23.11.2006)' URL: www.genesisnet.info/pdfs/Irreduzible_Komplexitaet.pdf letzter Zugriff: 12.01.2007

[5] Waschke, T. (2003) 'Intelligent Design: Eine Alternative zur naturalistischen Wissenschaft?' Skeptiker 16:128-136

[6] Hume, D. (1981) 'Dialoge über die natürliche Religion' Stuttgart, Philipp Reclam jun. GOULD, S. J. & VRBA, E. S. (1982) Exaptation-a missing term in the science of form. Paleobiology 8, S. 4-15.

  

 

Autor: Thomas Waschke 

     

          

     

   

                       

           


© AG Evolutionsbiologie des VdBiol.          05.03.2007