Rezension
Jähnig, W. (2020) Treffpunkt der Innenansichten von Religion, Bibel, Naturwissenschaft und Evolutionsgegnern
Frieling & Huffmann, Berlin. 352 S. Preis: 19,90 €. ISBN: 3828035647
Wolfgang Jähnig, geboren 1935 in Leipzig, ist
Geograph und
Mitglied der AG Evolutionsbiologie, die sich naturwissenschaftlich mit
der Evolutionstheorie und mit weltanschaulich motivierter
Evolutionskritik befasst. Das Buch dokumentiert eine von 2008 bis 2010
andauernde Diskussion mit dem Psychologen Werner Harke, Autor mehrerer
evolutionskritischer Bücher und Flugblätter. Im
ersten, kurzen Teil setzt sich Jähnig mit dem
protestantisch-fundamentalistischen Bibelverständnis Harkes
auseinander. Dabei spielen für ihn Quellen der akademischen
Theologie zumindest anfangs keine Rolle. Nach eigenem Bekunden ist der
Autor seit seiner Jugend in der DDR – trotz der damit
verbunden gewesenen Nachteile – evangelischer Christ,
befasste sich aber erst jenseits der 70 mit theologischer
Fachliteratur. Durch eigenes Nachdenken kam er dazu, die Bibel als (wie
oft kurz gesagt wird) "Gotteswort im Menschenwort"
zu verstehen und damit auch – nicht nur – als
zeitgebundene Literatur. Vielleicht wäre es nicht schlecht,
wenn Theologinnen und Theologen in sein Buch schauen und sich Gedanken
darüber machen würden, wie vergleichsweise belanglos
ihre akademischen Debatten und Erkenntnisse für einen
naturwissenschaftlich gebildeten Mitchristen sein können.
Nicht dass der Autor theologiefeindlich wäre. Während
der Debatte bildet er sich weiter. Er greift auf Hans Küng und
andere populäre Theologen zurück, die Harke
erwartungsgemäß als liberale
Glaubensverwässerer abtut.
Für die AG Evolution ist diese Seite der Debatte weniger von
Belang. Interessant für ihre Anliegen ist die umfangreiche
Darlegung naturwissenschaftlicher Evolutionskonzepte, die
Jähnig der zentralen Überzeugung Harkes
entgegensetzt. Dieser hält nämlich "Evolution
für die größte
Denkblockade der Gegenwart, um zu Gott zu finden (außerdem
für einen wissenschaftlichen Flop)". (S. 27)
Inhaltlich befindet er sich auf der Linie der "Studiengemeinschaft Wort
und Wissen", auch was
sein Schwanken zwischen Kurzzeit-Kreationismus und "Intelligent Design"
(ID) angeht. Wie bei "Wort und Wissen" findet sich eine Verteidigung
der
Historizität der Sintflutgeschichte, einschließlich
des Überlebens aller Landtiere in der Arche. Andererseits
versucht Harke, aus den Merkmalen der Lebewesen die Notwendigkeit eines
"intelligenten Designers" zu begründen.
Wie die beiden Narrative, das des Kurzzeit-Kreationismus und das von
ID, zusammengehen sollen, erfährt man nicht.
Man kann allerdings aus Harkes Reaktionen auf die Argumente
Jähnigs entnehmen, wie ein intelligenter,
sprachfähiger protestantischer Fundamentalist denkt, welche
Funktion der Kreationismus für sein Welt- und Selbstbild hat,
und warum sämtliche, selbst die offensichtlichsten, Aporien
seiner Position nicht zum Umdenken führen. Harkes Denkweise
wird deshalb so gut sichtbar, weil er kein Fanatiker ist, sondern im
Ton verbindlich bleibt – ein Verdienst, das man hervorheben
muss. Er polemisiert nicht. Er argumentiert (obwohl er selbst das
anders sieht) auch nicht wirklich, denn dafür hat er keine
sachliche Grundlage. Er bekennt und bezeugt und macht damit deutlich,
was ihn bewegt. Es gibt einen Schlüsselsatz in Harkes
Ausführungen, der nicht entlarvender sein könnte:
"Die Konsequenz eines Glaubens an die Wissenschaft ist der
Abfall vom Glauben an Gott." (S. 89) Darum geht es nicht nur
ihm, sondern dem Kreationismus allgemein: Letztlich zählt
nicht die Geltung ihrer Spitzfindigkeiten und
Scheinargumente, sondern ein absolutes Entweder-Oder. Wissenschaftliche
Wahrheit und Glaubenswahrheit sind für Kreationisten
gleichartig und gleichrangig. Man schlägt sich auf die eine
oder auf die andere Seite, tertium
non datur. Wer das so sieht,
möge es so sehen, allerdings auf Kosten der Realität
von Welt und Mensch. Dieser Realitätsverlust ist der Grund,
warum jede Diskussion mit dem Kreationismus auf wissenschaftlicher
Ebene zu nichts führt, so wie die zwischen Jähnig und
Harke zu nichts führt. Von Argumenten angesprochen werden nur
diejenigen Zeitgenossen, die noch fragen und suchen. Die sind auch die
Zielgruppe der AG Evolutionsbiologie.
Eine Rezension bietet nicht den Raum, die Argumente Jähnigs
und die Gegenbekenntnisse Harkes inhaltlich nachzuzeichnen. Aber ein
interessanter Punkt sollte erwähnt werden: Jähnigs
Argumentation nimmt viel mehr Raum ein als Harkes Antworten. Der
Kreationist wird von dem Kreationismus-Kritiker regelrecht mit
Argumenten umzingelt, nicht nur aus der Naturwissenschaft, auch aus
Philosophie und Geschichte. Dabei ist der Autor, das muss man in aller
Freundlichkeit doch feststellen, aggressiver als sein kreationistisches
Gegenüber. Das Buch folgt insgesamt weder einer erkennbaren
Handlung noch klar abgegrenzten Themen. Vielmehr kehren die Themen
immer wieder. Leserinnen und Leser werden in die Rolle von Voyeuren
versetzt, die beobachten, was sich da so alles abspielt.
Jähnig berichtet seinem Gesprächspartner auch
ausführlich aus seiner Biographie, die in vieler Hinsicht
schwierig war, und die mit seinem Glauben eng verbunden ist
(schwerpunktmäßig S. 260-280). Auch das bringt Harke
nicht dazu, den Glauben des Autors als genuin anzuerkennen.
Man spürt Jähnig ab, wie sehr es ihn
verblüfft und herausfordert, dass ein gebildeter und
gesprächsfähiger Mensch gesetzten Alters (wie er
selbst) an Überzeugungen festhält, die der Vernunft
widersprechen. Es könnte sein, dass sich in dieser
Verwunderung eine Prägung durch die Kultur der DDR
ausdrückt. Wahrheit begründete sich im Bildungssystem
der DDR durch Wissenschaft, und das Ergebnis wissenschaftlichen Denkens
war der dialektische Materialismus. Auch diejenigen, die diesem
Ergebnis widersprachen, übernahmen weithin die Methode,
nämlich die Forderung nach wissenschaftlicher, mindestens
vernünftiger, Argumentation. Der im Westen nach der
68iger-Zeit wuchernde Subjektivismus oder (fachlicher
ausgedrückt) die Selbstermächtigung des Subjekts,
richtig und falsch nach Bedarf festzulegen, ist zumindest den
Älteren unter den gebildeten, ehemaligen
DDR-Bürgerinnen und Bürgern immer noch fremd. Falls
das zutrifft, wäre es nicht die schlechteste Nutzanwendung des
Buchs, den ausufernden Subjektivismus des Bildungsbürgertums
in der neuen BRD kritisch ins Auge zu fassen. Wer sich in die
Diskussion um Bibel. Evolution und Evolutionskritik hineinbegeben
möchte, kann dies mit Hilfe dieses Buchs ebenfalls tun.
Autor: Hansjörg Hemminger