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Faktenwissen

Die Evolution der Fledertiere aus Sicht von 'Wort und Wissen'

Was wissen wir über die Entstehung der Fledermausflügel?


Townsend-Langohr

Die Fledertiere treten im Eozän fast ohne fossile Übergangsformen auf - für Kreationisten ein Argument gegen Evolution. Auch Reinhard JUNKER, Geschäftsführer von WORT UND WISSEN, macht seine Evolutionskritik an der Fluganpassung dieser Säugerordnung fest. Er stellt es so dar, als hätten alle Anpassungen an das Fliegen gleichzeitig stattfinden müssen, als sei der Bauplan der Fledertiere in diesem Sinn nicht-reduzierbar komplex.

Titelbild: Townsend-Langohr (Corynorhinus townsendii). Bildquelle: PD-USGov, exact author unknown, Big-eared-townsend-fledermaus, als gemeinfrei gekennzeichnet, Details auf Wikimedia Commons.

Weiterhin behauptet er, die Taxonomie der Fledermäuse mache die evolutionäre Entstehung ihrer Echoortung unwahrscheinlich. Seine Kritik enthält jedoch gravierende Fehler, und er verschweigt wichtige Informationen.

Erstens ist die Evolution des Echoortungssystems nicht so unplausibel wie er es darstellt. Zweitens ist es gelungen, die entwicklungsgenetischen Mechanismen weitgehend aufzuklären, die aus den Vordergliedmaßen eines Säugetiers Flügel entstehen lassen: Sowohl die Bildung von Flughäuten als auch die funktionale Verlängerung der Fingerknochen kann durch relativ einfache Veränderungen der Genregulation hervorgerufen werden.

Beteiligte Untermerkmale wie Muskeln, Nerven, Blutgefäße usw. können automatisch mitwachsen und sich reorganisieren. Weitreichende morphologische Veränderungen, die einen Gleitflug ermöglichen, könnten sich also vergleichsweise einfach und rasch vollzogen haben, was auch das Fehlen fossiler Übergangsformen erklären würde. Weitergehende Spezialisierungen (z.B. Erwerb der Echoortung, der leichten Knochen usw.) sind als das Ergebnis schrittweiser Optimierung der Funktion bestehender Strukturen interpretierbar.

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PDF-Dokument [30 Seiten/ 9 Abb.]



Aus dem Inhalt

▪ The same procedure as last year? The same procedure as every year!

▪ Fossilien und Baupläne

▪ Was braucht es zum Fliegen?

▪ Die Entwicklungssteuerung der Fledermausflügel: Erklärt sie die Evolution?

▪ Das Echoortungssystem der Fledermäuse und blinder Menschen

▪ Scheinprobleme: Homologien und Konvergenzen

▪ Zusammenfassung: Welcher Methoden bedient sich Reinhard JUNKER?

▪ Literatur

▪ Anhang 1: Von der Pfote zum Flügel. Entstand zuerst die Gleitflughaut?

▪ Anhang 2: Flipper lässt grüßen


Zusammenfassung

Um es wieder einmal klar zu sagen: WORT UND WISSEN kann nicht liefern, was die Studiengemeinschaft zu liefern vorgibt: naturwissenschaftliche Gründe, um die Evolutionstheorie in Zweifel zu ziehen. Die Biologie wird vermutlich nie imstande sein, die Stammesgeschichte der Fledertiere (oder anderer Lebewesen) vollständig aufzuklären. Sie ist aber sehr wohl dazu imstande zu erklären, welche Prozesse diese Geschichte ausmachen und welche nicht. JUNKER präsentiert den wissenschaftlichen Sachverhalt unvollständig und manipulativ, um die Erklärungskraft und Reichweite der modernen Evolutionsbiologie zu verschleiern. Um nur die eindeutigen Manipulationen zu benennen:


▪ Er verschweigt den passiven Gleitflug als möglichen Übergang zum aktiven Schlagflug.

▪ Er verschweigt in diesem Zusammenhang, wie häufig Gleitfliegen bei Wirbeltieren ist.

▪ Er behauptet, das Fliegen erfordere eine Reihe spezieller Anpassungen. Dabei übergeht er, dass es sich bei etlichen der von ihm genannten Merkmale um nachträgliche Optimierungen der Flugfähigkeit handelt, die es für das Fliegen anfangs nicht brauchte.

▪ Er lässt außer acht, dass bei den Vorfahren der Fledermäuse fast alle an der Echoortung beteiligten Strukturen (Stimmbildung, Ohren, Gehirn, Bewegungskoordination) schon existierten. Die Evolution beschränkte sich hauptsächlich auf die Optimierung dieser Strukturen.

▪ Er leugnet den Zusammenhang zwischen ontogenetischen und phylogenetischen Mechanismen. So erzeugt er den Eindruck, als könnten die Mechanismen der Entwicklungssteuerung der Fledermausflügel nichts zur Erklärung der evolutionären Sachverhalte beitragen.

▪ Er suggeriert, die Unvollständigkeit einer Erklärung sei gleichbedeutend mit dem Fehlen einer Erklärung. Zum Beispiel soll die Tatsache, dass der BMP-Signalweg die Entstehung wesentlicher (nicht aller) Merkmale des modernen Fledermausbauplans erklärt, evolutionäre Erklärungen, die sich auf diesen Signalweg berufen, entwerten.

▪ Er erweckt den Eindruck, eine konvergente Entstehung der spezialisierten Echoortung bei Fledertieren sei unwahrscheinlich, was weder vom Sachverhalt noch von der Literatur, die er zitiert, gedeckt wird.

▪ Er verschweigt, wie häufig einfache Formen der Echoortung sind und dass viele Säugetiere "von Haus aus" zu einer einfachen Echoortung befähigt sind.

▪ Er berichtet über die Ähnlichkeit des Motorproteins Prestin bei Zahnwalen und Fledermäusen so, als ob es sich um eine unerklärte Anomalie handele (Anhang 2). Dabei verschweigt er das Echoortungssystem der Zahnwale.

▪ Er behauptet mit einer offensichtlich falschen Begründung, dass der Verlust der Echoortung in der Evolution der Flughunde schwer erklärbar sei.


Es ist bedauerlich, dass solche Texte geschrieben und publiziert werden, und dass sich Leserinnen und Leser davon in die Irre führen lassen.

Autoren: Hansjörg Hemminger, Martin Neukamm & Andreas Beyer

Copyright: AG Evolutionsbiologie