DNA-Bausteine und Metaboliten des Citratzyklus in
Meteoriten entdeckt
"Molekulare
Baukästen" unterstützen die Entstehung des Lebens
Das
Bombardement, dem sich die Erde vor rund 4,5 bis 3,8 Milliarden Jahren
ausgesetzt sah, war nach heutigen Maßstäben
infernalisch. Kometen, Asteroiden und andere Überbleibsel der
Planetenentwicklung regneten als Meteoriten unentwegt auf die noch
junge Erde nieder und führten wiederholt zu einem enormen
Anstieg der Erdtemperatur. Wie gigantische Staubsauger sogen die
Planeten die Überreste der umliegenden protoplanetaren Scheibe
- Gas, Staub und Gestein - in sich auf. Bis zu 50 km groß
waren die Gesteinstrümmer, die mit der Erde kollidierten; fast
klein erscheint im Vergleich dazu jener Asteroid, der das Aussterben
der Dinosaurier verursachte. Kein Wunder, dass dieses erdgeschichtliche
Äon, das Hadaikum, nach HADES, dem griechischen Gott der
Unterwelt, benannt wurde.
Die Auswirkungen des
"Großen Bombardements" (englisch: Late Heavy Bombardment)
erscheinen aber nur auf den ersten Blick zerstörerisch. Denn
die kosmischen Bomben, die unablässig auf der Erde
einschlugen, trugen kostbare Fracht. Heute wissen wir, dass
Gesteinsmeteoriten nicht nur erhebliche Mengen an Wasser enthalten
können (tatsächlich stammt ein Großteil des
Wassers der Weltozeane von einschlagenden Meteoriten), sondern auch
einen komplexen Cocktail chemischer Verbindungen in sich tragen - eine
Art von "Chemiebaukasten", mit dem die Evolution ihre großen
Experimente begann. Angefangen von Gasen wie Ammoniak und
Blausäure über Aminosäuren bis hin zu
DNA-Bausteinen und Metaboliten des heutigen Citratzyklus - fast alle
wichtigen Bausteine des Lebens konnten in Meteoriten nachgewiesen
werden.
Nukleinbasen
im Kosmos
Bereits seit rund 50 Jahren
vermuten Wissenschafter, dass insbesondere die so genannten kohligen
Chondriten, eine besondere Klasse von Gesteinsmeteoriten,
die Bausteine
des Lebens enthalten. Schon länger ist bekannt, dass diese
Meteoriten einen hohen Gehalt an Kohlenstoff, unter anderem in Form
proteinogener Aminosäuren (die Bausteine der Proteine)
aufweisen. Im Jahre 2001 ging die spektakuläre Nachricht durch
die Presse, dass in kohligen Chondriten auch Zucker bzw. Zuckerderivate
nachgewiesen wurden. Die Reihe reicht vom Zuckeralkohol Glycerin bis zu
6 C-Atome enthaltenden Zuckersäuren (SEPHTON 2001). Allerdings
war lange Zeit unbekannt, dass auch Nukleinbasen - die Bausteine der
DNA - im Weltall entstehen können.
Jüngst konnte eine
Forschergruppe um James Cleaves vom Carnegie Geophysikal Laboratory
auch diese Lücke schließen (CALLAHAN et al. 2011).
Cleaves und Mitarbeiter untersuchten ein Dutzend kohliger Chondrite,
darunter ein Individuum des berühmten Murchison-Meteoriten,
mittels Hochdruckflüssigkeitschromatographie (HPLC) auf
Nukleinbasen. Identifiziert wurde ein breites Spektrum
unterschiedlicher Nukleobasen, und zwar nicht nur die üblichen
("kanonischen") Nukleobasen wie Guanin und Adenin, sondern auch so
genannte Nukleinbasen-Analoga,
die ähnlich aufgebaut sind.
Eine Kontamination durch irdisches Material kann damit sicher
ausgeschlossen werden, denn drei der gefundenen Nukleinbasen-Analoga
sind auf der Erde sehr selten und wurden in irdischen Referenzproben
nicht gefunden. Folglich müssen sie im interstellaren Medium
entstanden sein.
Um diese Hypothese mechanistisch
zu untermauern, stellten die Forscher die Chemie im interstellaren
Medium im Labor nach. Die Wissenschaftler griffen auf
Ausgangsmaterialien wie Ammoniak und Blausäure
zurück, die im Weltall vergleichsweise häufig
vorkommen, und ließen sie miteinander reagieren. Die
Experimente konnten bestätigen, dass aus der Reaktion von
Ammoniak und Blausäure Nukleinbasen und Nukleinbasen-Analoga
hervorgehen, die denen stark ähnelten, die sie in den kohligen
Chondriten nachgewiesen hatten. Bezüglich der relativen
Häufigkeiten dieser Moleküle ergaben sich jedoch
gewisse Unterschiede, was die Forscher auf die Gegenwart weiterer
Chemikalien sowie auf die besonderen thermischen Bedingungen
zurückführten, denen die Meteoriten ausgesetzt
waren.
Nach CLEAVES Ansicht belegen die
Ergebnisse, dass Meteoriten Molekül-Fabriken gleichen -
molekularen Werkzeugkästen, die alle wesentlichen Bausteine
des irdischen Lebens enthalten. "Dies hat unabsehbare Folgen
für die Entstehung des Lebens auf der Erde und
möglicherweise anderswo", meint CALLAHAN. "Wurden die
Bausteine des Lebens auch an andere Orte im Kosmos transportiert, wo
sie der Entstehung des Lebens nützten? Können auch
andere Bausteine verwendet werden, um alternative Lebensformen zu
kreieren?" Dies sind spannende Fragen, denen die Forschung noch
nachzugehen hat. Die Ergebnisse könnten unser Weltbild
nachhaltig verändern, denn alles spricht dafür, dass
wir nicht allein sind im Kosmos. Jedenfalls ist der interstellare Raum
durchdrungen von den Ingredienzien irdischen Lebens, von denen nur ein
kleiner Teil durch Meteoriteneinschläge auf die Erde
gelangt(e).
Hat der
Citratzyklus seinen Ursprung in Meteoriten?
Im Rahmen einer weiteren Studie
entdeckten Forscher in kohligen Chondriten Biomoleküle, die
eine große Rolle bei der Entstehung eines besonders alten und
besonders wichtigen biochemischen Stoffwechselwegs zur Energiegewinnung
gespielt haben dürften: des so genannten
Zitronensäure- oder Citratzyklus. Der Citratzyklus ist eine
wichtige Drehscheibe in der Verstoffwechslung verschiedenster Klassen
von Biomolekülen (Abb.). Dabei werden Stoffwechselprodukte der
Glukose (Pyruvat /Acetyl-CoA) oxidativ abgebaut, wobei so genannte
"Reduktionsäquivalente" (NADH, FADH2) entstehen und
Kohlendioxid abgespalten wird. In einem der Schritte des Citratzyklus
wird direkt Energie in Form von GTP gewonnen. Außerdem sind
einige Metabolite des Citratzyklus wichtige Ausgangsstoffe für
andere Stoffwechselprozesse, etwa für die Fettsäure-
und Aminosäureherstellung.
Abb.:
Schematische Darstellung des Citratzyklus und der mit ihm
verknüpften metabolischen Wege. Quelle: Wikipedia.
Wie kann man die Entstehung dieses
komplizierten Prozesses erklären? Auf den ersten Blick
erscheint
das Problem vertrackt: Zum einen ist der Citratzyklus ein enzymatisch
gesteuertes System, er kann daher nicht komplett abiotisch entstanden
sein. Andererseits benötigen solche
Stoffwechselvorgänge eine
Reihe von Verbindungen, von denen einige relativ instabil sind, wie
z.B. Ketosäuren. Man muss also annehmen, dass insbesondere die
labilen Ausgangsstoffe wie Pyruvat (das Salz der
Brenztraubensäure), auf der Urerde kontinuierlich nachgebildet
wurden. Bis heute konnten aber Verbindungen wie
Oxalessigsäure,
Zitronensäure, Isocitronensäure und
alpha-Ketoglutarsäure (allesamt Mitglieder des
Zitronensäure-Zyklus) weder unter plausiblen
präbiotischen
Bedingungen erzeugt noch im interstellaren Medium nachgewiesen werden.
Lediglich die Brenztraubensäure (Pyruvat) konnte in Anlehnung
an
die präbiotischen Experimente des Patentanwalts und Chemikers
G. WÄCHTERSHÄUSER unter hydrothermalen Bedingungen
auf
Pyritoberflächen (Eisensulfid) erzeugt werden (CODY et al.
2000).
Jüngst konnte eine
Forschergruppe am NASA Ames
Research
Center all diese Verbindungen sowie einige weitere
Substanzen auch in kohligen Chondriten nachweisen (COOPER et al. 2011).
Zudem konnten die Wissenschaftler im Labor zeigen, dass sich unter
"milden" Bedingungen aus der Brenztraubensäure fast alle
Mitglieder des Zitronensäure-Zyklus (nicht-enzymatisch)
herstellen
lassen, einschließlich der Oxalessigsäure. Es steht
damit
außer Frage, dass auch die Evolution komplexer
Stoffwechselwege
wie des Zitronensäurezyklus auf einfache,
physikalisch-chemische
Gesetzmäßigkeiten rückführbar
ist.
Das plausibelste Szenario sieht
wie folgt aus:
Meteorite stellten eine Vielzahl chemischer Verbindungen (etwa die
Metabolite des Citratzyklus) zur Verfügung, die von den ersten
Lebensformen auf der Erde genutzt wurden. Schritt für Schritt
übernahmen die ersten Zellen die Regie, indem sie die
existierenden Verbindungen nicht nur nutzten, sondern gezielt
herstellten bzw. die Herstellung durch Enzyme optimierten. Nach und
nach entwickelten die Zellen eigene Stoffwechselwege, die noch immer
den ursprünglichen Synthesewegen ähneln. "Es ist", so
George COOPER gegenüber Space.com, "aufregend, im Kosmos 4,6
Milliarden
Jahre alte organische Verbindungen nachzuweisen, die auf der Erde eine
Rolle bei der Entstehung des Lebens gespielt haben."
Freilich steht die Hypothese, dass
Meteoriten
die Entstehung des Lebens unterstützt haben, nicht im
Widerspruch
zu Modellen, wonach die ersten Biomoleküle auf der Erde
entstanden
sind. Die neuen Befunde sprechen eher dafür, dass die
Grundbausteine des Lebens unter einer großen Bandbreite
physikalisch-chemischer Anfangs- und Randbedingungen entstehen - nicht
nur auf der Erde.
Literatur
CALLAHAN, M.P./ SMITH, K.E./CLEAVES et al. (2011) Carbonaceous
meteorites contain a wide range of extraterrestrial nucleobases. PNAS
108, 13995-13998.
CODY, G.D./BOCTOR, N.Z./FILLEY, T.R. et al. (2000) Primordial
carbonylated iron-sulfur compounds and the synthesis of pyruvate.
Science 289, 1337-1340.
COOPER, G./REED, C./NGUYEN, D. et al. (2011) Detection and formation
scenario of citric acid, pyruvic acid, and other possible metabolism
precursors in carbonaceous meteorites. PNAS 108, 14015-14020.
SEPHTON, M.A. (2001) Life's sweet beginnings? Nature 414, 857-858.